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Kultur: Orgienmysterien

begegnet Affenmasken, Blutspuren und einem betrunkenen Faun Das Mysterium, seit dem 16. Jahrhundert gleichbedeutend mit „Geheimlehre“, „Geheimkult“ oder „religiöses Geheimnis“, hat eine interessante ethymologische Herleitung.

begegnet Affenmasken, Blutspuren und einem betrunkenen Faun Das Mysterium, seit dem 16. Jahrhundert gleichbedeutend mit „Geheimlehre“, „Geheimkult“ oder „religiöses Geheimnis“, hat eine interessante ethymologische Herleitung. Der Begriff lässt sich auf das griechische Wort „Mystes“ zurückführen, was soviel heißt wie „der Eingeweihte“ beziehungsweise „wer die Augen schließt“. Wissenswert ist eventuell noch, dass die Mysterien in der Antike mit einem Schweigegelübde verbunden waren, denn das liefert das Stichwort für die Dresdner Künstlerin Lisa Junghanss, Jahrgang 1971, die derzeit in der Galerie Echolot ihre Installation „Auf der Flucht“ zeigt (Schröderstraße 10, bis 26. Februar). Der Titel teilt über die Arbeit eigentlich schon alles Wesentliche mit. Im ersten Raum hängen 15 Fotos an den Wänden und ein Knäuel Plastikplanen von der Decke, außerdem steht in einer Ecke eine Art klaustrophobe Kabine. Die Fotos sind Filmstills aus dem Video, das im zweiten Raum läuft. Eine junge Frau hastet durch den Wald. Eine Figur im Militärlook und Affenmaske schleicht um die Bäume. Ein Typ im Bademantel macht Morgengymnastik, derweil eine Frau im rosa Overall sich in einer Kuhle schlafen legt. Dazu hört man einen Soundtrack, der nichts Gutes ankündigt (Video 1500 Euro, Fotos 500 Euro). Hätte der Betrachter nicht den Eindruck, das alles sei irgendwie konstruiert, effekthaschend und sich im Effekt restlos erschöpfend, dann wäre das vielleicht sogar mysteriös. So aber verhält es sich hier mit dem Geheimnis ungefähr wie mit der Frage, wann man das letzte Mal richtig schlecht geschlafen hat – beides will man nicht unbedingt wissen.

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Hermann Nitsch, der große alte Mann des Mysterienspiels, ist da schon näher dran. Man mag zu öffentlichen Tierschlachtungen, Farbspritzen, Blutausschütten und massenweise Nackten stehen wie man will – Augenzeugen des Nitsch’schen Aktionstheaters berichten trotz Vorbehalten glaubhaft von einer gewissen existentiellen Erfahrung, die sich dort im Lauf der mehrtägigen Aufführungen einstellt. Unter dem Motto „Orgien“ präsentiert die Galerie Völcker&Freunde (Auguststraße 62, bis 31. März) malerisch überarbeitete Reste einer Aktion, die 1987 in Prinzendorf und der Wiener Secession über die Bühne gegangen ist. Fazit: Wenn man das ganze Brimborium einmal beiseite lässt, offenbart Nitsch sich als informeller Maler von hohen Graden (7200 bis 14000 Euro ). Thematisch ergänzt wird Nitsch von Künstlern aus der jungen Generation: mit düsteren Gemälden von Andreas Heiszenberger (ab 1600 Euro) und Andrea Lehmann (9000 Euro) sowie etwas vordergründigen Filmen von Alex McQuilkin (verkauft) und Felix Müller (900 Euro ) .

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Die wirklichen Orgien finden woanders statt. Zum Beispiel im Hotel Crillon am Place de la Concorde. Als Juergen Teller vor anderthalb Jahren das letzte Mal in Berlin war, erzählte er von Fotos, die er in Paris von einer bekannten Filmschauspielerin gemacht habe. Für sie, so Teller damals, seien die Arbeiten wie ein Schock gewesen. Jetzt erfährt man in der Galerie Contemporary Fine Arts, was es mit der 25-teiligen Serie „Louis XV“ (98000 Euro) tatsächlich auf sich hat: Sie ist ein Meisterwerk geworden. In einer Suite des Hotel Crillon haben sie sich einander hingegeben, der Fotograf Juergen Teller und die Schauspielerin Charlotte Rampling. Herausgekommen ist eine Bilderfolge, die ausschweifend und zärtlich ist, rätselhaft und anrührend. Die überbordend sinnlich und gleichzeitig ziemlich schonungslos wirkt. Auf einem der ersten Fotos schaut man Teller dabei zu, wie er nackt und mit herausgestreckter Wampe auf einem Marmortisch in einen Aschenbecher uriniert. Auf einem anderen Bild tanzt er wie ein trunkener Faun vor einem Spiegel, bedeckt nur mit einem fragilen Blumengesteck. Auch die Rampling entblößt die Brust und lächelt sybillinisch. Dann wieder scheint sie zu schmollen, am Ende umarmen sich beide liebevoll und liegen beieinander wie junge Hunde. Dies klingt in der Beschreibung sehr viel anzüglicher als es ist. In Wahrheit nämlich handelt es sich um feinstes Rokoko, um reine zügellose Poesie, um das Mysterium einer Zusammenkunft in einem sehr, sehr glücklichen Moment (Sophienstraße 21, bis 26. Februar).

Ulrich Clewing

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