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Otto-Nagel-Ausstellung: Die verlorene Stadt

Kommunist, Künstler, KZ-Überlebender: Otto Nagel malte Berlin, bevor es im Krieg zerstört wurde. Eine Ausstellung im Berliner Käthe-Kollwitz-Museum.

Er hat etwas Gerades, Ernstes, Hochkonzentriertes. Die Oberlippe vorgeschoben, die Wangen eingezogen, hält Otto Nagel die Farbpalette in der linken, den Pinsel in der rechten Hand. Blickt angespannt auf eine Leinwand, die verborgen bleibt. „Selbstbildnis mit rotem Schal“ von 1949 ist kein schmeichelndes Porträt. Es zeigt einen herben Künstler, einen, der viel Kaputtes gesehen hat. Und weil kein Gemälde der Welt das Kaputte wiederherstellen kann, will der Maler unbedingt festhalten, wie es vorher war.

„Mein Schaffen wurde ein Wettrennen mit der Vernichtung“, schrieb Nagel im Zweiten Weltkrieg, als er durch Alt-Berlin zog und Fassaden skizzierte, Häuser, die es bald nicht mehr geben würde. „Manches Gebäude, manche Ecke, von denen ich an einem Tage ein Bild gemalt hatte, war am nächsten Tage nur noch ein Trümmerhaufen.“ Von den Nazis wurde Nagels sozialistisch-realistische Kunst schnell als „entartet“ eingestuft, dem Künstler war das Malen im eigenen Atelier untersagt. Also ging er raus, lief durch die Gassen, saß in Gartenlokalen und Parks.

Die „Berliner Bilder“, die dabei entstanden, stellt das Käthe-Kollwitz-Museum nun aus. Bereits zum wiederholten Mal, kann man doch nicht genug von ihr sehen, von der Hauptstadt, wie sie einmal war. Die leeren Hinterhöfe in Spandau. Das Fachwerkhaus in der Müllerstraße. Den Buddelkasten im Humboldthain. Berlin war ein Dorf, könnte man meinen, gäbe es auf manchen Pastellen nicht die rauchenden Schornsteine, die Laternen, die ihre Schatten auf die Straßen werfen. Oder die paar Menschen, die wie Geister durch die Szenerie huschen, die Gesichter schemenhaft. Als bräuchte der Künstler die Gestalten, um sich selbst zu versichern, dass Berlin noch lebt.

Manchmal ist man froh über die dunklen Figuren mit ihren Regenschirmen, die Gehwege entlangeilend. Wenn – wie bei Nagels „Blick auf die Grüntaler Straße im Nebel“ von 1937 – der Himmel ein wenig heller ist als die Straße. Haus, Wagen und Horizont sind in tristes Braun und trübes Gelb gehüllt. Man freut sich sogar an den drei alten Damen auf einer Bank. Obwohl sie da sitzen, als würden sie auf etwas warten, das nicht kommt. Obwohl die Baum- blüte bloß durch Tupfen angedeutet ist.

Nichts Romantisches, nichts Sentimentales haftet diesen Werken an. Sie sind leise Anklage eines Künstlers, der zur Anpassung verurteilt wurde. Und sie sind Bekenntnisse eines Arbeiterkinds. Wie Heinrich Zille, mit dem er befreundet war, liebte auch Nagel die Motive des Milieus, aus dem er stammte. Die Fabriken, die Hallen, die Kneipen. Anders als Zille hätte er sie aber nie ironisiert.

Otto Nagel wurde 1894 als Sohn eines Tischlers in Wedding geboren. Mit 18 trat er der SPD bei, mit 26 der KPD, die Nazis deportierten ihn ins KZ Sachsenhausen, er überlebte. Bereits zur Gründung der DDR feierte man ihn als Vorzeigebürger, er wurde SED-Mitglied und Präsident der Akademie der Künste. Eigentlich ein mutiges Vorhaben des Charlottenburger Museums, 60 seiner Arbeiten zu präsentieren. Im Osten Berlins ist Nagel fast eine Legende, im Westen ist sein Name bis heute weitgehend unbekannt.

„Er war ein guter Freund der Kollwitz“, sagt Museumsdirektor Martin Fritsch. Nagel verfasste Monografien über die Künstlerin, setzte sich dafür ein, dass eine Straße nach ihr benannt wurde. Nicht zuletzt geht es Fritsch mit der Ausstellung auch darum, eine – zeitlich befristete – Gedenkstätte für Nagels Erinnerungsbilder zu schaffen. 1973, sechs Jahre nach dem Tod des Malers, wurde am Märkischen Ufer zwar das Otto-NagelHaus eröffnet, um jene Kunstwerke zu präsentieren, die man 1945 aus seinem Atelier hatte bergen können. In den Achtzigern wurde das Haus allerdings zum schicken Accessoire der Ostberliner Nationalgalerie und beherbergte bald eine „Sammlung proletarisch-revolutionärer und antifaschistischer Kunst“.

Nach der Wende zog das Bildarchiv der Staatlichen Museen dort ein, die Nagel-Bestände wurden verteilt. An die Familie, private Sammler, die Landesbank Berlin, die Akademie der Künste und die Neue Nationalgalerie. Tochter Sibylle Schallenberg-Nagel fühlte sich ungerecht behandelt und führte einen jahrelangen Rechtsstreit um ihr Erbe. 2003 durfte sie endlich auch die 18 Kunstwerke des Vaters ihr Eigen nennen, um die sie mit der Berliner Stiftung Stadtmuseum gestritten hatte.

Walentina, Nagels zweite Ehefrau, eine Schauspielerin, war „tough“, meint der Museumsdirektor. „Sie hat Nagel gefördert und seine Arbeiten im Westen zu einem guten Preis verkauft.“ Wie genau sie die Bilder über die Grenze geschleust hat, das bleibt wohl ein Geheimnis.

„Abschied vom Fischerkiez“ heißt eine der Bilderserien. Otto Nagel malte sie 1965, da war das historische Stadtviertel auf Anordnung Ulbrichts längst durch Plattenbauten ersetzt worden. Was blieb dem Maler anderes übrig, als den Fischerkiez so auf die Leinwand zu bringen, wie er ihn kannte. Sein Alt-Berlin. Er musste es sich ins Gedächtnis rufen, nachdenken, den Kopf aufrichten, den Blick festigen, den Pinsel ansetzen. So sieht er aus, in „Selbstbildnis mit rotem Schal“.

Käthe-Kollwitz-Museum, Fasanenstr. 24, bis 30.6., tägl. 11–18 Uhr. Weitere Informationen: www.kaethe-kollwitz.de

Annabelle Seubert

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