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Kultur: Palast der Republiken

Alles so global hier: Die Biennale in Venedig versammelt mehr Länder als je zuvor. Und Thomas Schütte gewinnt den Goldenen Löwen

Dass etwas Überraschendes passieren würde, darauf ist der Besucher des deutschen Pavillons dank der Vorberichterstattung gefasst. Aber dann erschrickt er doch. Denn sobald er die riesige Tür zu dem neoklassizistischen Bau aufgestemmt und sich hineingeschoben hat, tänzeln drei Aufseher auf ihn zu, drehen Pirouetten und intonieren dazu: „This is so contemporary!“ Die anderen Besucher beobachten amüsiert die Verlegenheit des Neuankömmlings, der dieser gesungenen und getanzten Aufmerksamkeit des Aufsichtspersonals zu entkommen sucht. Ein echter Tino Sehgal also, bei dem andere Personen seine Handlungsanweisungen ausführen, um das Publikum zu irritieren.

Doch was, bitte schön, ist daran so zeitgenössisch? Nein, der Künstler stellt sich selbst in Frage, überhaupt den Kunstbetrieb oder zumindest die Biennale di Venezia, die im 110. Jahr ihres Bestehens tatsächlich in die Krise geraten scheint. Im Herbst, hat Präsident Davide Croff angekündigt, wird eigens ein Kolloquium einberufen, damit das Urbild aller Biennalen, das mittlerweile rund um den Globus kopiert worden ist, seine Führungsrolle wieder zurückgewinnt.

In den Giardini wird von Selbstzweifeln allerdings nichts spürbar. Das Ritual der dreitägigen Vorbesichtigung mit anschließender Verleihung des Goldenen Löwen ist seit Jahr und Tag unverändert geblieben. Thomas Schütte, der 51-jährige Düsseldorfer Bildhauer, hat ihn diesmal als bester Künstler für seine Skulpturen und Grafiken erhalten, die in der Sonderaustellung „Always a Little Further“ zu sehen sind. Gegen eine Krise spricht auch die beständig wachsende Zahl neuer Teilnehmerländer. Durch die Aufnahme von Afghanistan, Albanien, Marokko, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan ist der Umfang diesmal auf 70 Nationen gestiegen.

Den Überblick behält da keiner mehr. Obwohl unter nationalistischen Vorzeichen gegründet, hat die Biennale von Anbeginn ein Sinnbild davon abgegeben, was knapp ein Jahrhundert später unter dem Schlagwort Globalisierung alltägliche Erfahrung geworden ist. Das traditionelle Areal der Giardini hat diese Kraft schon längst gesprengt; die Nachrücker müssen sich ihre Quartiere im Zentrum Venedigs, in gemieteten Palazzi oder leeren Kapellen suchen. Auch diese Aufweichung alter Strukturen lässt sich als Parabel auf die New Economy lesen. Hier soll allerdings nicht Profit gemacht, sondern Aufmerksamkeit erzeugt werden – für die Kunst und die Fragen der Zeit. Und die sind – Ironie der Geschichte – gerade bei den neu hinzugekommenen Ländern häufig genug nationaler Natur.

Die schönste Volte schlägt da Daniel Knorr, der Repräsentant Rumäniens. Er hat den Pavillon seines Landes unter dem Titel „European Influenza“ komplett entleert und damit einen Projektionsraum westeuropäischer Ängste vor den neuen Nachbarn geschaffen, die nichts als ihre blanke, billige Arbeitskraft zu bieten haben. Der in Berlin lebende rumänische Künstler aber beschenkt die Besucher beim Verlassen des Pavillons – mit einem kompakten Textbuch über Europa.

Der Ukrainer Mykola Babak geht da weniger diplomatisch vor. Unter dem Motto „Jammere nicht über die ganze Welt – sprich lieber von deinem Dorf“ zeigt er Fotografien seiner aus Voronyntsi stammenden Großeltern, dazu typische Puppen der Region aus der ersten Jahrhunderthälfte und schließlich Video-

Fortsetzung auf Seite 26

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