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NS-Kriegsdrama „Das Meer am Morgen“: Volker Schlöndorff: Ich war siebzehn

Volker Schlöndorff über sein NS-Kriegsdrama „Das Meer am Morgen“ und seine Jugenderinnerungen an die Bretagne.

Die erste Einstellung zeigt ein Sehnsuchtsbild. Majestätisch brandet der Atlantik gegen die Küste der Bretagne. Aber von unten ragen Stacheldraht und Armierungen in die Postkarten-Ansicht. Herbst 1941, die Wehrmacht hat sich am westlichen Rand des von ihr zusammeneroberten Imperiums eingebunkert. Mit Stahl und Beton soll die alliierte Invasion abgewehrt werden, die von dort, vom Meer, kommen muss. Größenwahn mischt sich mit Angst, eine Gefühlslage, die keine Rücksicht auf Zivilisten lässt. „Das Meer am Morgen“, der neue, dreißigste Film von Volker Schlöndorff spielt in einer Idylle, die zum Schauplatz des Grauens wird.

Zum ersten Mal mit dem Stoff konfrontiert wurde Schlöndorff, heute 72, vor mehr als einem halben Jahrhundert. Da war er als Austauschschüler aus dem Taunus in einem jesuitischen Internat in der Bretagne gelandet, „dreißig Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt“. Es wurde von einer „schrecklichen Hinrichtung“ gemunkelt. Die Details erfuhr er erst später. Dass in Nantes ein deutscher Oberstleutnant von kommunistischen

Volker Schlöndorff.
Volker Schlöndorff.

© picture alliance / dpa

Widerstandkämpfern erschossen worden war. Und dass daraufhin die Besatzer auf Drängen Hitlers, der ursprünglich 150 Tote gefordert hatte, „zur Abschreckung“ 50 Geiseln hinrichten ließen. Das jüngste Opfer hieß Guy Môquet, ein Pariser Arbeitersohn, der inhaftiert worden war, weil er in einem Kino Flugblätter vom Rang geworfen hatte. Er starb mit 17, in einem anrührenden Abschiedsbrief schrieb er an seine Familie: „Ich küsse Euch von meinem ganzen Kinderherzen“.

Môquet stieg nach dem Krieg in Frankreich zu einer Nationalikone auf, einer „Sophie-Scholl-Figur“, so Schlöndorff. Eine Pariser Métro-Station ist nach ihm benannt, Staatspräsident Sarkozy begann seine Amtszeit mit der Aufforderung, künftig an jedem 22. Oktober, dem Todestag des Jungen, dessen Brief in den Schulen verlesen zu lassen. Am Anfang des Wunsches, einen Film über Môquet zu drehen, stand für Schlöndorff aber eine schlichte biografische Parallele: „Ich dachte: 17 Jahre – so alt warst du selber, als du nach Frankreich kamst.“ Der Regisseur fühlt sich als „halber Franzose“, er hat sein Abitur in Paris gemacht, dort Jura studiert und seine Kino-Laufbahn als Assistent von Louis Malle begonnen.

Mit seinem Historiendrama will Schlöndorff „auch zeigen, was vor gar nicht allzu langer Zeit in Europa möglich war. Wenn jemand heute Zweifel an Europa hat, dann möge er sich das anschauen“. Das sei sozusagen der „Überich-Grund“ für den Film gewesen, erzählt er im Gespräch. Und der „Ich-Grund“: die persönliche Verbundenheit mit der Landschaft der Bretagne, der Wunsch, „das lyrische Element zu zeigen, vor dem dieser Horror stattfindet“. Nachdem er mit dem Fernsehsender Arte einen Produktionspartner gefunden hatte, konnte er das eigene Drehbuch zur Low-Budget-Summe von rund 1,8 Millionen Euro im letzten Sommer verfilmen, größtenteils an den französischen Originalschauplätzen.

„Das Meer am Morgen“, der im Panorama der Berlinale seine Deutschland-Premiere feiert, erzählt mit beinahe dokumentarischer Präzision von diesen drei Tagen im Oktober 1941. Das Grauen ist nicht monströs, es entwickelt sich mit der Zwangsläufigkeit eines ablaufenden Uhrwerks aus bürokratischen Vorgängen, angefangen mit dem Attentat in Nantes und einem Ultimatum, das die deutschen Besatzer den Attentätern stellen, sich selber auszuliefern. Ein französischer Landrat weigert sich zunächst, im Auftrag der Militäradministration die Geiseln auszusuchen, dann diktiert er seiner Sekretärin die Namen von Gefangenen, die „keine gute Franzosen“ und „keine Kameraden“ seien – Kommunisten und Proletarier. Einige von ihnen sollen jung sein, so verlange es „Paris“, „Berlin“ oder „der Führer“, denn auch die Attentäter seien jung gewesen. Individuelle Schuld muss keiner der Schreibtischtäter empfinden, er kann sie bequem auf die nächsthöhere Instanz wegdelegieren.

Drei Hauptfiguren hat diese Tragödie, drei Biografien, die sich zufällig kreuzen. Da ist Guy Môquet (Léo Paul Salmain), ein sportbegeisterter Jugendlicher, der einen Wettlauf der Gefangenen gewinnt und am Zaun des Internierungslagers mit seiner Freundin flirtet. Im Hotel Majestic, dem deutschen Militärhauptquartier in Paris, wird Hauptmann Ernst Jünger (Ulrich Matthes) von seinem Chef, General Otto von Stülpnagel, beauftragt, „etwas Literarisches“ über die Geiselaffäre zu schreiben. Der Schriftsteller, der sich dünkelhaft in der Rolle des unbeteiligten Beobachters gefällt, lehnt die Hinrichtung als „barbarisch“ ab, schwärmt aber später vom „mannhaften Mut“, mit dem die Gefangenen in den Tod gegangen seien. Und in der Bretagne trifft ein junger deutscher Soldat mit großer Hornbrille ein, Heinrich Böll (Jacob Matschenz), der gleich zum Übungsschießen mit dem Karabiner verdonnert wird. Was er noch nicht weiß: Er wird auf Menschen anlegen müssen.

„Ich kann fast jeden Moment in dem Film belegen“, sagt Schlöndorff. „Das heißt aber nicht, dass er gänzlich authentisch wäre. Ich musste verdichten und dazuerfinden.“ So war Böll zwar am Atlantikwall stationiert, aber nicht Teil des Erschießungskommandos. Als Vorbild für seine Figur dienten die Erzählungen „Das Vermächtnis“ und „Der Zug war pünktlich“ sowie Teile aus dem Briefwechsel des späteren Literatur-Nobelpreisträgers mit seiner Braut. Bei seinen Recherchen für das Drehbuch war Schlöndorff außerdem auf Jüngers Denkschrift „Zur Geiselfrage“ gestoßen, die nun, versehen mit einem Vorwort des Regisseurs, zum ersten Mal in Buchform publiziert wurde.

Wem bei diesen beiden Schriftstellergrößen Schlöndorffs Sympathien gehören, ist klar: seinem „guten alten pazifistischen Freund Böll“. Der sei 1941, mit 23, zwar „kein Widerständler“ gewesen, die Briefe belegen, dass er sich durchaus mit der deutschen Seite identifizierte. Aber später in der Bundesrepublik sei er zu „unserer moralischen Instanz“ geworden, „wir sagten immer: wie gut, dass es ihn gibt“. Schlöndorff lernte ihn kennen, als er Bölls Roman „Gruppenbild mit Dame“ verfilmen wollte, drehte stattdessen „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und verbrachte mit Böll „viele Nächte in Mutlangen und bei anderen Demonstrationen“.

Den in Frankreich bis heute hoch verehrten Ernst Jünger sieht Schlöndorff hingegen als „zwiespältige Figur“. Als er von Widerständlern des 20. Juli aufgefordert wurde, Hitler bei einem Besuch in Paris zu erschießen, hatte der „Stahlgewitter“- Held des Ersten Weltkriegs geantwortet: „Ich fühle mich nicht berufen, in das Rad der Geschichte einzugreifen“. Das Selbstbild eines Abseitsstehenden, das der Regisseur ihm nicht durchgehen lassen will. „In seiner Uniform war Jünger Teil von Besatzung und Repression, sogar in gehobener Position. Er hat sich nicht ferngehalten vom Rad der Geschichte, er hat daran mitgedreht.“

Schlöndorffs nächster Film soll wieder ein Geschichtsdrama werden, mit noch mehr Kostümen und Aufwand. Es soll um den Berliner Kongress von 1878 gehen, auf dem die europäischen Großmächte die Welt imperialistisch untereinander aufteilten. Der Regisseur ist zuversichtlich, dass die Finanzierung bald gesichert sein wird. Einziger Schauplatz ist die wilhelminische Reichshauptstadt. Das Meer wird nicht zu sehen sein.

14.2., 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 15.2., 10.30 Uhr (Cinemaxx 7), 16.2., 17 Uhr (Cubix 9), 18.2., 17 Uhr (International)

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