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Kultur: Paparazza des Scheins

Die Britin Alison Jackson und ihre gefälschten Prominenten-Fotografien

Beim Cappuccino bringt Alison Jackson ihre Kunst auf den Punkt: „Kein Engländer kann sich die Königin auf dem Klo vorstellen. Aber genau das zeige ich.“ In ihrem bei Penguin erschienenen Fotoband „Private“ ist das Bild zu sehen. Schwarzweiß, am Rand verschwommen, als sei es durch eine Türritze aufgenommen. Die Monarchin thront auf der Schüssel, der Schlüpfer hängt ihr zwischen den Knien, entspannt liest sie in der Hundefachzeitschrift „Corgi“. Natürlich ist das alles Schabernack, doch ein perfekt gemachter. Jackson schlägt mit ihren simulierten CelebrityFotos zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits offenbart sie die Natur der Fotografie, andererseits nutzt sie durch Fake und Fiktion das Medium, um sich mit den Porträtierten auseinander zu setzen. „Ich zeige, wie wir unter einem aus Zelluloid und digitalen Formen fabrizierten Schleier leben – in einer Celebrity-Blase“, sagt die 41-Jährige.

Auch sie selbst befindet sich mitten drin. Ihre Bilder präsentiert sie in kleinen, teuren Auflagen in Galerien. Als Komödiantin drehte sie die Faux-Celebrity-Serie „Doubletake“ für die BBC. Die Britin ist viel gefragt, ein Treffen geht nur auf die Schnelle in ihrer Nachbarschaft. Also Chelsea, einer dieser kleinen Clubs, wo die Kreativen nachmittags beim Cappuccino ihre Geschäfte besprechen. Alison passt glänzend dazu. Schwarze Hose, extraspitze Schuhe, Kurzhaarfrisur. Sie könnte direkt aus einer Werbeagentur kommen. Tatsächlich hat die Künstlerin in einer TV-Produktion und in der Werbung gearbeitet und ist dann erst an die Akademie gegangen: „Um machen zu dürfen, was ich will.“

Seit fast sechs Jahren nun stiftet Alison Jackson Verwirrung mit Fotos einer inszenierten Realität. Für einen irritierenden Moment usurpieren ihre Bilder den Platz der Wirklichkeit – und werden zu Querschlägern unserer Wahrnehmung. Jackson gräbt Verbotenes aus unseren Köpfen, macht das Ungesehene so real, dass wir es sofort wiedererkennen. So stellt sie in einer Welt von Prominenten-Verehrern falsche Götzen auf. Denn natürlich ist der Prinz William, der nur mit einem Hermelin bekleidet heimlich vor einem Spiegel die Krone aufprobiert, ein Double. Mit „Look-alikes“ kreiert Jackson ihre anarchische Promiwelt. Karl Lagerfeld, der Camillas Ballkleid zurechtzupft, Englands Nationaltrainer Sven Erikson, den Jackson bei einem urkomischen Selbstbespiegelungsballett ertappt. Ungeahnte Aktualität gewinnt das Bild von Bush und Blair, zusammen schwitzend in der Sauna. Nicht nur die Hitze setzt den beiden zu, denen man ein solches Tete-à-Tete gerne zutrauen würde, auch der politische Druck findet so seine subtile Metapher.

Zu ihrem Thema kam Jackson in den Wochen nach dem Tod Prinzessin Dianas. Sie empfand den Trauerzirkus als „pornografisch“ und wollte das zeigen. Zunächst arbeitete die Künstlerin mit Zeitungsfotos, was wegen der Urheberrechte nicht erlaubt war. Als ihr auch verboten wurde, Dianas Unfall mit Szenen aus David Cronenbergs Film „Crash“ zu verschneiden, inszenierte sie völlig neu. Einmal gezwungen, Bilder zu erfinden, war es nur ein Schritt zum ersten „gefälschten Original“: Diana und Dodi mit glutäugigem Araber-Baby. Eine Fiktion zwar, doch der Gedanke an einen mohammedanischen Thronprätendenten löste einen Sturm der Entrüstung aus. Über Nacht erlangte Jackson Berühmtheit, wurde im Fernsehen vom Hofkorrespondenten der „Mail“ beschimpft und am Royal College of Art von der Graduierungsshow ausgeschlossen.

Unvermeidlich, dass Jackson irgendwann den Philosophen der Postmoderne Jean Baudrillard zitiert. Seine Kritik an den „Simulakren“, in denen das Simulationsprinzip die Realität überwuchert, nimmt sie als Ausgangspunkt. „Fotografie ist die Ermordung der Wirklichkeit“, sagt sie und pocht auf die ikonoklastische Natur ihrer Arbeiten. Aber wie jeder Bilderstürmer ist sie dabei von einer heimlichen Bewunderung für die Macht der Bilder beflügelt. Dies ist Jacksons Achillesferse: Eine Paparazza ist sie doch auch.

Die englische Königin auf dem WC – das hat etwas vom (wahren) „Daily Mirror“-Foto, das die Queen mit Müsli-Tupperdosen auf ihrem Frühstückstisch zeigte. Das Foto sollte entblößen, stellte aber nur größere Nähe her. Genau dieses Schlupfloch nutzt Jackson in ihrem rührenden Bild von der Queen, die ihren Enkel im huldvollen Winken unterweist. Während die Hand des Kindes schwächlich wedelt, demonstriert die weiß behandschuhte Rechte Ihrer Majestät die Kraft hoheitsvoller Herablassung. Je perfekter die Simulation, desto eher wird die Inszenatorin am Ende von der Eigenmacht ihrer Bilder eingeholt.

Alison Jackson: „Private“, nur englisch bei Penguin Books, London, 41,99 Pfund.

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