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Kultur: Paris sei fern

Blühende Provinzen: Die regionalen Kunst-Fonds von Frankreich feiern ihren 20. Geburtstag

Gespenster gehen um. Fast zwei Meter große weiße Laken mit ovalen schwarzen Augen. Die gierigen Geister gehören zu Alain Séchas’ Installation „La Pieuvre“. Ihr Treiben unter marmornen Gedenktafeln und Trikoloren des Rathauses von Avignon ist Sinnbild für das sommerliche Groß-Event „Trésors publics“. Mit 15 Ausstellungen in vier verschiedenen Ecken des Landes feiern die FRAC, die regionalen Kunst-Fonds Frankreichs, ihr 20-jähriges Bestehen. 1983 unter dem damaligen Kulturminister Jack Lang gegründet, sammeln und vermitteln sie internationale zeitgenössische Kunst an die Provinz. Zum Teil durch den Staat, zum Teil durch die Regionen finanziert, haben die FRAC seit ihrer Gründung rund 15000 Werke von 3000 Künstlern angehäuft. Jetzt werden die Schätze dem Publikum präsentiert.

Die FRAC sollen zeigen, was sie haben. Manchmal gerät das zu Protz, manchmal werden daraus feinsinnige thematische Arrangements. So gibt in Straßburg die Schau „Du côté de chez soi“ in der frisch eröffneten Villa Greiner mit Arbeiten wie John Currins „Sociology professor“ oder Urs Lüthis „Tell me who stole your smile“ die künstlerische Diskussion des Menschenbildes zu bedenken. Im „Musée d’art moderne et contemporain“ bietet „Bandes à part“ Querverbindungen zwischen Kino und Kunst. Mögen auch die Künstler durch die Bank bekannt sein, so sind es die mit sicherem Auge gesammelten, selten gesehenen Preziosen, die Lust auf die „Trésors publics“ machen.

In einem Jahr, das durch Reformen und den Kampf um Besitzstände geprägt ist, lässt sich die staatliche Institution der Kunstförderung nicht unbeschwert feiern. Kulturminister Jean-Jacques Aillagon musste seine Antrittsreise verschieben, weil er mit streikenden Festival-Helfern verhandelte (Tagesspiegel vom 3.7.). Die ministeriale Equipe, die an seiner Stelle die Reise unternahm, wurde in jedem Ausstellungsort von den Pfiffen wütender Demonstranten begleitet. Dezentralisierung, ein Kardinalthema der Regierung Raffarin, hat einen schlechten Ruf in Frankreichs Künstlerkreisen. Viele nehmen die geplanten Reformen nur als Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung für die Kultur wahr. Dabei könnten die FRAC als Gegengewicht zu einer noch immer auf Paris konzentrierten Kulturszene durchaus Vorbild für sinnvolle Reformen sein. Die Direktoren sind weitgehend autonom in ihrer Sammlungspolitik. Sie werden bei der Auswahl durch einen Beirat unterstützt, der aus Kritikern und Professionellen der Kunst-Szene besteht. Ab 2004 sollen die FRAC noch mehr, vor allem finanzielle Unabhängigkeit erlangen: Paris wird sich teilweise als Geldgeber zurückziehen, man will mehr Mäzene einbinden.

Organisiert in der „CAAP“ (Comité des Artistes-Auteurs Plasticiens), fordern Künstler und Autoren mehr Partizipation und Transparenz der Auswahlkriterien. Sammlungsgelder sollen lieber für Ateliers statt für weitere Museen ausgegeben, kulturpolitische Entscheidungen von den Kunstschaffenden der Region, nicht mehr von Beamten im fernen Paris getroffen werden. Einige der Direktoren wenden sich schon länger vom reinen Sammelgeschäft ab und der Kooperation mit Künstlern zu. Nur so könnten die FRAC tatsächlich französisch-dezentraler Kultur den Weg weisen.

Jens E. Sennewald

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