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Vom Peace-Zeichen über das Solidaritäts-Logo bis zur Aufforderung, am Abend in Paris wieder auszugehen: Das Emblem dieser Tage nach den Terroranschlägen in Paris hat der Künstler Jean Jullien entworfen.

© lefooding.com

Paris und das Peace-Zeichen: Generation Hashtag

Wir begreifen nicht, was geschieht, und bringen es auf eine griffige Formel: Nach den Pariser Anschlägen signalisiert ein Friedenssymbol mit Eiffelturm globale Anteilnahme. Im digitalen Zeitalter bieten Logos und Slogans schnellen Zusammenhalt.

Jetzt auch mit Messer und Gabel. Das „Peace for Paris“-Logo wurde diese Woche erneut über Twitter und Co. verbreitet, um die Bewohner der vom Terror erschütterten französischen Hauptstadt zu animieren, am Abend wieder auszugehen. „Tous au bistrot“: Geht vor die Tür, besucht Restaurants – wir lassen uns das normale Leben nicht nehmen, allen Ängsten zum Trotz.

Das Peace-Zeichen mit dem Eiffelturm darin ist das Emblem dieser Tage. Weltweit wird es genutzt, um Solidarität mit den Opfern der Pariser Anschläge zu bekunden, im Internet, den sozialen Netzwerken, auf T-Shirts, an der Fassade der französischen Botschaft zu Berlin. Erfunden hat es der in London lebende französische Künstler Jean Jullien. Der 32-jährige Grafiker hatte noch am Freitagabend zum Pinsel gegriffen, das Wahrzeichen der Friedensaktivisten mit dem der französischen Hauptstadt verbunden und über Twitter und Instagram verbreitet. Ein paar Striche, ein zusätzlicher Quer- und ein Längsbalken, der Kreis drumherum, fertig ist das Friedenssymbol in inzwischen durchaus kriegerischen Zeiten. 1,4 Millionen Instagram-Nutzern gefiel das seitdem.

Beim Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar war es kein Logo, sondern ein Slogan, der Drei-Wort-Satz „Je suis Charlie“. Die Welt unter Schock braucht starke, weithin sichtbare Zeichen der Gemeinsamkeit, braucht eindrückliche, eingängige Bilder auf allen Kanälen: Deshalb werden Rathäuser, Botschaften und Sehenswürdigkeiten in den Farben der Trikolore angestrahlt, Gesichter blauweißrot bemalt, auch Zeitungsseiten entsprechend gestaltet.

Nach 9/11 gingen vor allem die TV-Bilder von den einstürzenden Twin Towers um die Welt

Die Welt brauchte dies gewiss auch nach 9/11. Aber 2001 waren Facebook und Co. noch nicht erfunden. Dass das Entsetzen nach den Anschlägen auf die Twin Towers und das Pentagon am 11. September 2001 mit 3000 Toten nicht in einer Wortmarke oder einem Piktogramm zum Ausdruck gebracht wurden, bedeutet nicht, dass die globale Trauer damals geringer gewesen wäre. Sondern lediglich, dass die Öffentlichkeit sich noch anderer Medien bediente und anderen Gesetzen gehorchte. Leitmedium war das Fernsehen: Wieder und wieder zeigte es die einstürzenden Türme – Traumabewältigung als Endlosschleife. Die heutige digitale Distribution von Nachrichten, Ereignissen, Reaktionen geht noch schneller vonstatten, ist vielfältiger vernetzt und deshalb besonders auf sofortige Erkennbarkeit angewiesen.

Manchmal sind es keine Logos, sondern Slogans, die wie ein Hashtag Gleichgesinnte versammeln: Der „Je suis Charlie“-Satz nach den Anschlägen gegen das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" im Januar zierte auch die erste Ausgabe der Zeitschrift nach dem Attentat - in den Händen eines weinenden Mohammed.
Manchmal sind es keine Logos, sondern Slogans, die wie ein Hashtag Gleichgesinnte versammeln: Der „Je suis Charlie“-Satz nach den Anschlägen gegen das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" im Januar zierte auch die erste Ausgabe der Zeitschrift nach dem Attentat - in den Händen eines weinenden Mohammed.

© picture alliance / dpa

Generation Hashtag: Wir begreifen nicht, was geschieht, und bringen es auf eine griffige Formel. Die Unübersichtlichkeit und Unendlichkeit des World Wide Web erfordert Orientierung mittels Wegweisern und Sammelplätzen. Wer betroffen ist, wer Angst hat, wer Anteilnahme zeigen will, sucht die Nähe zu Gleichgesinnten. Früher rückte man am Lagerfeuer zusammen, heute geht man demonstrieren, versammelt sich an der Place de la Republique, dem Pariser Platz in Berlin oder an virtuellen Treffpunkten im Netz, die sich dank Logos wie „Peace for Paris“ leicht finden lassen. Zeichen setzen: In Zeiten der Zeichen- und Bilderflut wird daraus ein sinnstiftender Akt.

Das Protestlogo bedient sich der Werbestrategien der Konsumgesellschaft

Politische Labels und Protestzeichen sind nicht neu. Staaten haben Flaggen, Parteien reklamieren Farben für sich, die Oppositionellen erfinden Logos und Slogans für ihren Zusammenhalt. Das Wir-Gefühl ist die Waffe der Machtlosen: Der aus dem Schottischen stammende Begriff „Slogan“ bezeichnete ursprünglich den Sammel- und Schlachtruf von Clans. Und das Logo bedient sich der Werbestrategien der Konsumgesellschaft, eignet sie sich zum Zweck des Widerstands an, sei es das Anarcho-A, der Button mit der roten Sonne der Atomkraftgegner oder der militante Kalaschnikow-Stern der RAF. Bis Naomi Klein ihr konsum- und konzernkritisches Manifest „No Logo“ verfasste.

Die rote Sonne der Atomkraftgegner gab als Button und Aufkleber, auf Plakaten und T-Shirts.
Die rote Sonne der Atomkraftgegner gab als Button und Aufkleber, auf Plakaten und T-Shirts.

© Wikipedia

Das originale Peace-Zeichen hatte der britische Designer Gerald Holtom 1958 im Auftrag Bertrand Russells für dessen Abrüstungskampagne und den allerersten Ostermarsch in London entworfen. Es kombiniert zwei Buchstaben aus dem Flaggenalphabet des Militärs und der Schifffahrt: das Zeichen für N wie „nuklear“ und das für D wie „disarmament“, Abrüstung. Nonverbale Verständigung über große Entfernungen und Sprachbarrieren hinweg: Auch das leisten die Logos und Sprüche heute im Netz.

Geballte Faust, zerbrochenes Gewehr, Akw-Sonne: die Logos der Protest- und Friedensbewegung

Die Protestbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts brachten eine Fülle solcher signalhafter Zeichen hervor. Weit mehr als ihre heutigen Nachfolger markierten sie Ideologien und politische Überzeugungen, manchmal verstanden sie sich als Kampfaufrufe. Die geballte Faust der Arbeiterbewegung, später der Black-Power-Kämpfer und erst kürzlich der Occupy-Aktivisten. Das zerbrochene Gewehr der Kriegsdienstverweigerer. Die pazifistische Friedenstaube auf blauem Grund. Das Schwerter-zu-Pflugscharen-Emblem der DDR-Abrüstungsinitiativen. Sie zogen ihre Kraft aus ihrer ihrer Unmittelbarkeit: Man erkennt die Zeichen und weiß Bescheid. Manchmal genügt eine Geste; auch das Victory-Zeichen kann zum Friedensgebot werden.

Mit Worten ist das ebenfalls möglich. „Make Love not War“, „Stuttgart 21“, „We are the 99 Percent“, „Not in Our Name“ – in solchen Formeln gerinnt kritische Gesinnung zur Parole. Das funktioniert auf der Gegenseite nicht anders, vom mörderischen Satz der Nationalsozialisten „Jedem das Seine“ bis zum antikommunistischen „Lieber tot als rot“. Die Verkürzung birgt Risiken, vor allem die Gefahr der Simplifizierung eines komplexen Sachverhalts.

Das unterscheidet das mit knappen Strichen skizzierte Solidaritäts- und Protestlogo von Kunst und Karikatur. Alle drei verdichten einen Sachverhalt, kondensieren, konzentrieren, in einem Vers, einer Personenkonstellation, einer Szenerie, einer Ton- oder Farbkomposition, einer Pointe. Aber Kunst und Karikatur – wenn sie denn gelingen – reißen dabei einen Fantasieraum auf, eröffnen einen neuen Bedeutungshorizont, weit über ihre kommunikative Funktion hinaus.

Das Logo als Rohling: vom Peace-Zeichen über den Hippie-Button bis zum Pariser Soli-Signal

Der Vorteil des Logos ist seine Wandelbarkeit. Wer mit „Je suis Charlie“ Probleme hatte, konterte mit „Ich bin nicht Charlie“ oder mit „Je suis Ahmed“. Und jetzt heißt es „Je suis Paris“ oder „Nous sommes Paris“. Logos und Slogans können Debatten lostreten, Kontinuitäten offenlegen, sie sind nicht nur Sammel-, sondern auch Ausgangspunkt für Testläufe der Toleranz und Meinungsvielfalt. An ihnen lässt sich die eigene Haltung profilieren.

Im Idealfall taugen sie als Rohling, den die Zeitläufte sich je nach Bedarf anverwandeln. Die Hippie-Generation nutzte das Peace-Logo von 1958 als Symbol gegen den Vietnamkrieg, die Studentenbewegung eignete es sich ebenso an wie Kalte-Kriegs-Gegner, Tierschützer, Apartheid- oder Irakkriegs-Kritiker. Und nun Paris im Zeichen des verunsicherten Friedens – gerne auch mal mit Messer und Gabel.

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