zum Hauptinhalt

Kultur: Patient Amerika

Fortsetzung von Seite 29 Therapie 4: Mehr Sicherheit. Eigentlich liegt es seit dem 11.

Fortsetzung von Seite 29

Therapie 4: Mehr Sicherheit. Eigentlich liegt es seit dem 11. September ja nahe, sich auf verstärke Sicherheit zu kaprizieren. 2003 will Bush 11 Milliarden Dollar für das Crusader-Artillerie-System ausgeben, eine 42 Tonnen schwere mobile Kanone, die nach Einschätzung der Armee allerdings zu langsam ist. Zwei Milliarden hat Bush für die V-22 Osprey von Boeing vorgesehen. Auf Testflügen kam es jedoch zu zahlreichen Abstürzen, 23 Soldaten starben dabei. Dreieinhalb Milliarden stehen für die F-35 von Lockheed bereit, deren geringe Reichweite es ihr verbietet, küstenferne Länder wie Afghanistan zu erreichen. Und 9,3 Milliarden für das Star-Wars-Abenteuer, das noch immer nicht funktioniert.

Mittlerweile gab der Generalinspektor des Pentagon bekannt, dass das Verteidigungsministerium 25 Prozent seiner Ausgaben nicht belegen kann – 2,3 Billionen Dollar Umsatz und 13 Milliarden für Waffenkäufe zwischen 1985 und 1995. Kein Wunder, dass es der Regierung bis heute nicht gelungen ist, das Geheimnis der Milzbrand-Briefe zu lösen, die Geheimdienstinformationen über Terroristen zu sortieren, die Kämpfe in den Bergen Afghanistans zu beenden oder Wasserspeicher und Flughäfen zu sichern. Eingesammelt wurden lediglich Badewannen voller Nagelscheren .

Therapie 5: Alternative Energien. Amerika hängt vom ausländischen Öl ab. Man könnte also meinen, der erste Schritt einer Antwort auf den 11. September sei die Entwicklung alternativer Energiequellen. Aber hier sind Bush & Co. die Hände gebunden, denn sie haben sich groß in die Ölindustrie eingekauft. Ob es einen Krieg in Afghanistan gegeben hätte, wenn die Verhandlungen mit den Taliban über eine Öl-Pipeline erfolgreich verlaufen wären?

Solche Fragen stellen die meisten Amerikaner jedoch nicht. Es gibt wenig Protest, keine Unruhen. Die Menschen tragen ihr Geld in die Geschäfte; mit der Wirtschaft soll es bald aufwärts gehen. Eine Durchschnittsfamilie verdient 42000 Dollar im Jahr, eine mit College-Abschluss 71500 Dollar. Damit sind College-Absolventen reicher als 95 Prozent des Rests der Menschheit. Und sie glauben an den Überfluss, an die unbegrenzten Möglichkeiten, den ewig nahen Erfolg und die Neuerfindung des Selbst. Nicht nur bei der Arbeit, sondern auch bei Freizeitaktivitäten aller Art.

Selbst nach dem Dotcom-Crash und dem 11. September fließt in Amerika das Risikokapital, sprießen die Start-Ups wie nirgendwo sonst. Noch fester als die weiße Mehrheit glauben die Angehörigen der Minderheiten daran, dass es ihnen in zehn Jahren besser gehen wird als heute. Und so geben sie optimistisch ihr Geld aus und bringen damit die sich selbst verstärkenden Effekte einer Stehauf-Männchen-Wirtschaft hervor. Es ist eine fundamentalistische Einstellung, die Mentalität über Realität setzt und viel tiefer wurzelt als jener „Kreuzzug“, den Bush nach dem 11. September so ungeschickt ausrief – und den so mancher für den rechts-christlichen Bruder des Dschihad hielt.

Wer diesem Fundamentalismus anhängt, für den verblasst die Welt, die hinter dem Rauch der Vorgarten-Grillpartys manchmal noch aufblitzt.

Marcia Pally lebt als Publizistin in New York. Sie lehrt an der New York University und der Fordham University.

Aus dem Amerikanischen von Robin Detje

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false