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Patti Smith auf der Bühne.

© dpa

Patti Smith in Berlin: Patti for President!

Patti Smith, die Grande Dame der Punk-Poesie, spielte im Berliner Tempodrom ihr legendäres "Horses"-Album - bis das Publikum tobte.

Von Jörg Wunder

Rumtrödeln, etwa weil man noch in Ruhe das Wegbier austrinken möchte, ist hier keine gute Idee. Denn wer zum Auftritt von Patti Smith im ausverkauften Tempodrom auch nur fünf Minuten zu spät kommt wie die bedauernswerten Tröpfe auf den Sitzplätzen neben dem (selbstredend pünktlichen) Berichterstatter, der hat schon Entscheidendes verpasst. Schließlich gibt die Grande Dame der Punk-Poesie nicht einfach irgendein Konzert.

Vielmehr führt sie mit ihren vier bewährten Begleitern Lenny Kaye, Jay Dee Daugherty, Tony Shanahan und Jack Petruzzelli jenes Album auf, mit dem sie vor 40 Jahren die träge Rockszene der 70er aufscheuchte wie ein Blitzschlag eine Schafherde. Und dieses sagenhafte Debüt „Horses“, das in jeder Liste der besten Platten der Rockgeschichte vertreten ist und das so ziemlich alles, was danach kam, von der Punk-Bewegung über die Riot Grrrls der 90er bis zum Garage-Rock-Revival der letzten 15 Jahre, entscheidend beeinflusst hat, dieses Album hat nun mal einen der emblematischsten Einstiege überhaupt: „Jesus died for somebody’s sins / but not mine“, man kann diese Zeilen am Merchandisingstand auf T-Shirt gedruckt kaufen, mit diesem Schlachtruf wirft sich Patti Smith in ihre Version von „Gloria“.

Patti Smith, die Urgewalt

Allein dieses Lied zeigt, welche Urgewalt damals entfesselt wurde. Ein Jahrzehnt vor „Horses“ war „Gloria“ der größte Hit der nordirischen Beatband Them, komponiert von Van Morrison. Der hat das Stück auch neulich bei seinem eigenen Auftritt in der Zitadelle Spandau tapfer gespielt. Aber: Es ist nicht mehr sein Lied. Patti hat es ihm weggenommen. Und es ganz und gar zu ihrem gemacht. Wie sie sich nach und nach vom immer schneller werdenden Galopp der Instrumente mitreißen lässt, sich in eine vibrierende Ekstase hineinsingt, das war schon auf Platte einer der Urknallmomente der Rockmusik. Und genau das ist es auch hier.

Denn dies ist, auch das wird schnell klar, keine historisch-kritische Aufführung. Die akademische Anmutung, die manche der in den letzten Jahren beliebten Live-Inszenierungen echter oder vermeintlicher Klassikeralben auch bei ehemaligen Bilderstürmern wie etwa Sonic Youth hatten, die fehlt hier völlig. Die fünf Menschen auf der Bühne, von denen drei – Smith, Kaye und Daugherty – ja schon damals bei den Aufnahmen dabei waren, pfeifen auf stilistische Korrektheit und setzen ganz auf die Energie des Moments. Die Band schraubt munter an den Arrangements herum, schickt bei „Break It Up“ Petrozzellis Sologitarre auf eine Extrarunde, planiert das Reggae-Feeling von „Redondo Beach“, lässt Daughertys Trommeln bei „Kimberly“ ordentlich scheppern und muskelt „Free Money“ wie einen Springsteen-Song auf.

Dunkler, spröder, rauer

Im Zentrum steht natürlich immer diese gänzlich uneitle, in Ehren ergraute Frau, mit dieser so einzigartigen Stimme, die im Laufe der Jahre dunkler, spröder, rauer geworden ist, aber dafür auch immer noch mehr Kraft gebündelt hat. Und dazu muss Patti Smith nicht mal singen. Das über zehnminütige „Birdland“ ist im Grunde eine Dichterlesung, die sie tatsächlich – Frau Smith ist 68 – mit Lesebrille vom Blatt rezitiert. Na und? Ihr Vortrag, unterlegt von Lenny Kayes quecksilbrig in alle Richtungen züngelnder Gitarre, steigert sich vom Wispern zum brüllenden Crescendo, das sie mit bebender Körperspannung ins Mikro spuckt. Und als die Band bei „Land“, dem zweiten überlangen Song der Platte abweichend von der Studioversion nochmals und noch furioser auf „Gloria“ zurückkommt, gibt es wohl kaum jemand, der nicht begeistert die Fäuste in die sauerstoffarme Hallenluft reckt.

„Horses“ endet mit Pattis „Elegie“, dem bittersüßen Klagegesang für all die Toten ihres Lebens, jene, die es schon damals waren – Jim Morrison, Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin – und jene, die seither dazu kamen: ihr Freund Robert Mapplethorpe, ihr Mann Fred „Sonic“ Smith, Lou Reed oder die vier Ramones  Joey, Johnny, Dee Dee und Tommy. Die acht Stücke von „Horses“ bilden auch vom Format her eine perfekte LP: Acht Stücke, zwei Plattenseiten, 40 Minuten lang. Live wird daraus eine magische Stunde. Was, bei aller Großartigkeit, natürlich noch kein komplettes Konzert ist.

Love, Peace and Rock’n’Roll

Also gibt es noch ein fast ebenso langes Zugabenset obendrauf, mit Hits wie „Pissin‘ In The River“, „Because The Night“ und dem unvermeidlichen, auf Platte ein wenig nach Kirchentag, hier aber einfach nur ermutigend klingenden „People Have The Power“, aber auch mit sperrigen Brocken wie „Privilege (Set Me Free)“. Nach der Kernschmelze der ersten Stunde ist es unvermeidlich, dass nun auch mal der Druck etwas abfällt, etwa bei der Hommage an jene Band, ohne die wiederum Patti Smith gar nicht denkbar gewesen wäre: Velvet Underground. Das Medley aus „Rock’n’Roll“, „Waiting For My Man“ und „White Light/White Heat“ überlässt Patti ihren Jungs, die sich denn auch wacker an diesen Überklassikern abmühen, ohne allzu große Funken der Inspiration daraus zu schlagen. Völlig egal, schon das folgende „Beneath The Southern Cross“ mit wundervollen, sich quer durch die Rockgeschichte zitierenden Improvisationen von Petrozzelli an der Leadgitarre und Bassist Shanahan reißt es wieder raus.

Ganz zum Schluss wirft man sich ungestüm in „My Generation“, noch so ein Klassiker, den die Patti Smith Group allerdings musikalisch nicht wirklich auf ihre Seite ziehen kann: Schließlich waren The Who zu ihren besten Zeiten sowieso eine der grandiosesten Live-Bands überhaupt. Dafür gibt diese Hymne Patti Smith nochmal das Stichwort zu einer ihrer aufrüttelnden Ansprachen: Mit „Love, Peace and Rock’n’Roll“ habe ihre Generation versucht, die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Nun seien die Jüngeren an der Reihe. Warum eigentlich? Das ist doch ein spitzenmäßiges Programm. Und wo steht geschrieben, dass die erste Präsidentin der USA eine Clinton sein muss? Patti Smith ist schließlich auch nur ein paar Monate älter als Hillary. Patti for President! Die Unterstützung des vor Begeisterung tobenden Publikums wäre ihr sicher.

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