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PAUKEN & Trompeten: Chopin im Paillettenhemd

Jörg Königsdorf freut sich auf den David Bowie der Orgel

Allen Organisten, die der Versuchung erliegen, bei Youtube den Namen Cameron Carpenter einzugeben, dürfte der kalte Schweiß ausbrechen. Denn der 28-Jährige ist gerade dabei, die Maßstäbe in Sachen virtuosen Orgelspiels gewaltig nach oben zu treiben. Sein im letzten Jahr veröffentlichtes und prompt für den „Grammy“ nominiertes Album „Revolutionary“ schlägt jedenfalls ein neues Kapitel in der Geschichte des Instruments auf. Und wäre nicht eine DVD beigelegt, die den Wunderknaben am Spieltisch zeigt, würde man kaum glauben, dass beispielsweise die atemberaubend schnellen Pedalläufe in Carpenters eigener Bearbeitung von Chopins „Revolutionsetüde“ überhaupt menschenmöglich sind. Die DVD ermöglicht es auch, sich etwas länger nicht nur an Carpenters Fuß- und Fingerfertigkeit, sondern auch an seinen hinreißenden Outfits zu erfreuen – mit seiner Schwäche für eng anliegende Glitzerklamotten erinnert der Orgelmann an den jungen David Bowie und die Fotos im Internet zeigen ihn auch schon mal im Drag. Klasse! So etwas kann dem immer noch etwas vermufften Image des Orgelspiels nur gut tun, zumal bei Carpenter ja nichts Aufgesetztes dabei ist (bis auf die Perücke): Wie sich selbst verkleidet er eben auch die Musik und hüllt in seinen Transkriptionen Stücke von Chopin bis Schostakowitsch in ein Paillettenhemd. Denn natürlich spielt der Exzentriker auch ultraexzentrische Stücke: Während das klassische Orgelrepertoire in seinen Konzerten höchstens am Rande vorkommt, wildert er nicht nur hemmungslos in der Klavier- und Orchestermusik (so in seiner Orgelversion von Mahlers fünfter Sinfonie), sondern wartet auch mit bizarren Eigenprodukten wie einer „Hommage an Klaus Kinski“ auf. Die steht auch am Freitag auf dem Programm, wenn der Orgel-Paganini sein Berlin-Debüt an der frisch überholten Orgel der Schöneberger Matthiaskirche gibt. Darüber hinaus dürften Bearbeitungen von Liszts Mephisto-Walzer und Debussys „Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns“ die Herzen all derer höher schlagen lassen, für die Klassik auch ein bisschen mit Show zu tun haben darf.

Dass in der Programmfolge von Carpenters buntem Abend auch ein Stück des deutschen Nachromantikers Sigfrid Karg-Elert auftaucht, liegt am Anlass des Abends: Carpenters Konzert eröffnet ein kleines Orgelfestival, mit dem die dem Andenken des Komponisten gewidmete Karg-Elert-Gesellschaft ihr 25-jähriges Jubiläum feiert. Wer am Freitag durch dessen „Hymn to the stars“ auf den Geschmack gekommen ist, hat am Tag darauf Gelegenheit, seine Kenntnisse zu vertiefen: Mit fünf Konzerten verschiedener Organisten in drei Berliner Kirchen hat die Gesellschaft einen Karg-Elert-Marathon auf die Beine gestellt. Nähere Informationen unter www.karg-elert.de.

Jörg Königsdorf

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