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PAUKEN & Trompeten: Der Rücken oder der Daumen

Es war eine zentnerschwere Last, die einem am Ende von Maurizio Pollinis letztem Klavierabend in der Philharmonie von den Schultern fiel: Nachdem er in der ersten Hälfte in Schumanns „Kreisleriana“ noch knapp an der Katastrophe vorbeigeschlittert war, zeigte der 68-Jährige mit seinen Zugaben, dass er immer noch alles kann. Pollinis atemberaubende cis-Moll-Etüde aus Chopins Opus 10 war eine Erinnerung daran, was die Faszination eines Klavierabends ausmacht: nicht, dass jemand blitzschnell schwarze und weiße Tasten drücken kann, sondern es fertig bringt, den trockenen Notentext auf eine Weise transzendieren zu lassen, dass sich jedem im Saal die differenziertesten Gefühlswerte der Musik quasi intuitiv mitteilen.

Es war eine zentnerschwere Last, die einem am Ende von Maurizio Pollinis letztem Klavierabend in der Philharmonie von den Schultern fiel: Nachdem er in der ersten Hälfte in Schumanns „Kreisleriana“ noch knapp an der Katastrophe vorbeigeschlittert war, zeigte der 68-Jährige mit seinen Zugaben, dass er immer noch alles kann. Pollinis atemberaubende cis-Moll-Etüde aus Chopins Opus 10 war eine Erinnerung daran, was die Faszination eines Klavierabends ausmacht: nicht, dass jemand blitzschnell schwarze und weiße Tasten drücken kann, sondern es fertig bringt, den trockenen Notentext auf eine Weise transzendieren zu lassen, dass sich jedem im Saal die differenziertesten Gefühlswerte der Musik quasi intuitiv mitteilen. Als Gesamtes war der Abend aber auch ein Beispiel dafür, wie schwer dieses Ziel offenbar selbst für Pianisten der derzeitigen Weltklasse zu erreichen ist. Beim Konzert der Staatskapelle am Montag (Philharmonie) und Dienstag (Konzerthaus) stehen die Chancen jedoch gut, dass der Meister sich in Schumanns Klavierkonzert freispielen kann. Denn mit Daniel Barenboim steht Pollini ein Dirigent zur Seite, der das Stück früher selbst einmal ganz wunderbar gespielt hat und wissen dürfte, wann der Solist seine Hilfe braucht.

Sind es bei Pollini die Nerven, die auch nach einem halben Podiumsjahrhundert noch quer schießen, sind es bei anderen der Rücken oder der Daumen – Belege dafür, wie gefährdet diese in zweihundert Jahren abendländischer Musikkultur hochgezüchtete Spezies offenbar ist. Jeder der Pianisten, die in der kommenden Woche in Berlin gastieren, sitzt nicht nur auf seinem Klavierhocker, sondern gewissermaßen auch auf einer mehr oder weniger dicken Krankenakte. Selbst der Norweger Leif Ove Andsnes, der auf den ersten Blick einen sportlichen Eindruck macht, hatte sich schon im frühesten Stadium seiner Karriere an Werken wie Rachmaninows drittem Klavierkonzert so verhoben, dass er unter schweren Rückenbeschwerden litt. Andsnes half sich mit Alexander-Technik, lernte, sorgsamer mit seinem Körper umzugehen und legte sich in Zukunft leichteren Stoff aufs Pult: Haydn, Schubert und Mozart. Auch beim Deutschen Symphonie-Orchester hat er sich am Mittwoch und Donnerstag mit Mozarts A-Dur-Konzert ein Stück vorgenommen, bei dem dicke Muskeln wenig nützen. Dass Andsnes frischen, dialogfreudigen Mozart spielen kann, hat er zuletzt auf einigen schönen CD-Einspielungen gezeigt. In der Philharmonie trifft er auf Altmeister Herbert Blomstedt und dessen klassisch- gediegenes Mozart-Ideal.

Angesichts der physischen Beanspruchung ist es kein Wunder, dass immer wieder Pianisten ihre Karriere längere Zeit unterbrechen oder ganz aufgeben müssen. Auch bei Murray Perahia reiht sich seit gut zehn Jahren eine Zwangspause an die nächste, jeden Klavierabend erkauft sich der New Yorker mit Schmerzen. Dass er in diesem Monat zwei Mal in Berlin gastiert, ist ein Hoffnungszeichen: Am 28. gibt er in der Philharmonie einen Soloabend mit Bach, Brahms und Beethoven und von Freitag bis Sonntag untermauert er seinen Ruf als ausgezeichneter Beethoven-Interpret bei den Philharmonikern mit dem vierten Klavierkonzert.

Damit nicht der Eindruck entsteht, Pianisten seien die Sorgenkinder des Konzertbetriebs, sei noch auf ein Gegenbeispiel verwiesen: Die 67-jährige türkische Pianistin Idil Biret hat im Laufe ihrer Karriere nicht nur die größten Brocken der Klavierliteratur gemeistert (wovon unter anderem mehr als zwei Millionen verkaufte CDs Zeugnis ablegen), sondern ist gerade eine Gesamteinspielung der Klaviersonaten und -konzerte Beethovens sowie der neuen Sinfonien in den Klavierarrangements von Franz Liszt angegangen. Ob sie diese Konstitution ihrem Lehrer Wilhelm Kempff zu verdanken hat, der selbst bis in die hohen Achtziger aktiv war? Jedenfalls pflegt Biret bis heute das Andenken an den größten deutschen Klavierkünstler und lässt es sich auch nicht nehmen, ihm anlässlich der Kempff-Ausstellung im Potsdamer Haus der Brandenburg-Preußischen Geschichte am Samstag mit einem Klavierabend zu huldigen.

Jörg Königsdorf

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