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PAUKEN & Trompeten: Scheitern bringt weiter

Mal ein offenes Wort an die Hagiografen in den Künstleragenturen, die für das Abfassen von Biografien verantwortlich sind: Leute, glaubt ihr wirklich, dass das mit den Adjektiven „umjubelt“ und „gefeiert“ garnierte Herunterbeten der Auftritte von Künstler X irgendjemanden interessiert? Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Weil die Musikerviten in den Programmheften alle aus denselben Textbausteinen zusammengesetzt sind, vermitteln sie eher die Botschaft von der Austauschbarkeit eines Künstlers, statt Interesse für das Besondere seiner Interpretation oder gar für seine Persönlichkeit zu wecken.

Mal ein offenes Wort an die Hagiografen in den Künstleragenturen, die für das Abfassen von Biografien verantwortlich sind: Leute, glaubt ihr wirklich, dass das mit den Adjektiven „umjubelt“ und „gefeiert“ garnierte Herunterbeten der Auftritte von Künstler X irgendjemanden interessiert? Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Weil die Musikerviten in den Programmheften alle aus denselben Textbausteinen zusammengesetzt sind, vermitteln sie eher die Botschaft von der Austauschbarkeit eines Künstlers, statt Interesse für das Besondere seiner Interpretation oder gar für seine Persönlichkeit zu wecken. Jeder weiß, dass das Image des von Erfolg zu Erfolg eilenden Musikers gar nicht wahr sein kann – und selbst wenn es so wäre, würde es ihn kaum sympathischer machen. Denn es ist doch gerade das Scheitern, das Menschen wachsen lässt. Glaubt man einem Musiker, der schon einige Bruchlandungen hinter sich hat, nicht viel eher, dass er die dunklen Seiten versteht, die sich in fast allen großen Werken finden?

Wäre es mithin nicht viel erfrischender, etwa in die Biografie von Eiji Oue hineinzuschreiben, dass er die größte Chance seines Lebens, die Premiere des Bayreuther Marthaler-„Tristan“ gründlich versemmelt hat? Oder wenn in der Biografie von Daniel Reuss stünde, dass es mit ihm und dem Rias-Kammerchor einfach nicht geklappt hat? Es ist ja nicht so, dass beide keine Erfolge aufzuweisen hätten: Der japanische Dirigent hat als Chef des NDR-Rundfunkorchesters in Hannover über Jahre eine erfolgreiche Arbeit geleistet und der Niederländer Reuss gilt als einer der besten Chordirigenten überhaupt und kommt mit dem Estnischen Kammerchor, den er seit 2008 leitet, offenbar bestens klar. Kein Grund zur Lebenslaufkosmetik also.

Beide sind jedenfalls in der kommenden Woche in Berlin und können zeigen, dass sie aus ihren Misserfolgen gelernt haben: Reuss gastiert am Donnerstag mit seinen Esten im Kammermusiksaal und leitet beim Deutschen Kammerorchester Mozarts c-Moll-Messe. Oue dirigiert das Konzerthausorchester mit Schostakowitschs fünfter Sinfonie und Saint-Saëns erstem Cellokonzert (Konzerthaus, Donnerstag bis Samstag). Und wenn eines der beiden Konzerte wider Erwarten schiefgehen sollte, darf das gerne bei der nächsten Überarbeitung der Biografien berücksichtigt werden.

Jörg Königsdorf

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