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Kultur: Penetrant im Porzellanladen

Theatertreffen: Münchens „Dunkel lockende Welt“

Ja, man versteht eigentlich nichts. Ein Text im österreichischen Zuckerbäckerstil, eine Drei-Personen-Prosa über den Tod und das Alleinsein und schreckliche Mütter. So ungefähr. Was sich selbst liebt, das jelinekt sich. So kompliziert ist die „Dunkel lockende Welt“ von Händl Klaus, geboren 1969 in Tirol, nun auch wieder nicht. Eine Art Rätselanordnung, und am Ende will man die Auflösung vielleicht gar nicht wissen.

Theatertreffen, zum Zweiten. Eine Uraufführung. Die Münchner Kammerspiele mit einem, ja, Kammerspiel im Berliner Festspielhaus. Regisseur Sebastian Nübling war schon 2004 mit einem Händl-Klaus-Stück („Wilde – Der Mann mit den traurigen Augen“, vom Steirischen Herbst) zum Theatertreffen eingeladen. Diesmal hat er drei wirklich gute Schauspieler – und ein Designer-Bühnenbild. Muriel Gerstner versetzt uns in eine braun getäfelte Wohnraumwelt mit überraschenden Schiebetüren.

Hier wohnt Herr Hufschmied, ein leicht teuflischer Zeitgenosse. Jochen Noch schiebt und schleicht mit hängenden Lefzen und weit aufgerissenen Stummfilmaugen über den Teppichboden, unter dem er dann auch mal verschwindet. Wiebke Puls, das Fräulein Schneider, zieht offenbar gerade aus: eine große, elegante, auch etwas altertümlich wirkende Blonde, die einen Putzwahn hat und schön singen kann (Sinatra). Gundi Ellert, ihre finnische (?) Mutter Schneider mit seltsamem Hang zur Botanik, terrorisiert erst Madame Tochter, dann den unmöblierten Herrn. Mamas Endlosmonolog über die Fotosynthese der Pflanzen: eine Wahnsinnsleistung, ins Leere.

Ja, in jedem Satz sagen sie ja. Es ist ja ein durchaus musikalischer Text, sie spielen das ja wirklich mit großem Einsatz, dem Regisseur ist ja eine Menge eingefallen, slapstickmäßig. Und der BossaNova-Soundtrack klingt ja auch locker und fein. Aber es ist alles so schrecklich gepflegt, abgezirkelt und brav. Und zusammengeholt: aus Botho-Strauß-Surrealismen („Die Zeit und das Zimmer“ zum Beispiel), Ionesco, Pinter, und Marcel Duchamps Grabspruch („Es sind immer die anderen, die sterben“) steht da geschrieben – und der verschwundene Geliebte der jungen Dame heißt Marcel. Und der Stücktitel („Dunkel lockende Welt“) rekurriert auf Tanja Blixens Afrika-Bücher . . .

Wie ist das alles gebildet und durchstrukturiert, man kommt nirgendwo dazwischen. Hermetisch, neurotisch, belanglos, oberflächlich. Die Theatertreffen-Jurorin Karin Cerny aus Wien erkennt bei Händl Klaus und Nübling „abgründige“ Filmzitate („Psycho“, „Blue Velvet“, Jacques Tati), ein äußerst seltsames Qualitätskriterium. Lebt das Theater nur noch von Querverweisen auf andere Medien? Hier haben wir ein Beispiel für das wahre Ekel-Theater, im Sartre’schen Sinn: Es ist der Ekel vor der Leere, der Überdruss. Er stellt sich ein, weil dieses an menschlichen und materiellen Ressourcen immer noch so reiche Theater wortreich nichts zu sagen hat. Es gibt solche Abende nicht nur in München, und nicht nur beim Theatertreffen.

So aufwändig ist die Leere arrangiert. In Gesten erstarrt. Herr Hufschmied scheint Porzellan zu sammeln, man sieht einmal, als die Schrankwand sich auf voller Breite einen Spalt nach oben schiebt, seine Kannen und Schüsseln und Tassen. Ja, ein Sammeltassentheater. Nichts geht kaputt. Die Zimmerschlacht erschöpft sich im Auskippen der Asche aus Mama Hufschmieds Urne, und das weiße Pulver wird sogleich wieder zusammengekehrt. Hatte Hufschmied mal was mit der alten Schneider? Hat die junge Schneider ihren Marcel um die Ecke gebracht? Nein, nicht noch mehr Details. Man hätte gern mal was Ganzes.

Rüdiger Schaper

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