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Kultur: Persönlichkeit braucht keine Rüschen

Käufliche Kunst: In der Berliner Neuen Nationalgalerie präsentiert Giorgio Armani seine Kollektionen aus 25 Jahren

Von Susanna Nieder

Die Modenschauen von Armani sind im Vergleich zu denen seiner internationalen Kollegen zurückhaltend. Keine untragbar hohen Absätze für die Damen, keine Strumpfhosen für die Herren wie bei Vivienne Westwood; keine Kleider aus rasiermesserscharfen Muscheln und wippenden Straußenfedern wie bei Alexander McQueen; keine Silhouettenverschiebungen wie bei Rei Kawakubo. Der 1997 ermordete Gianni Versace, König der barocken Übertreibung, sagte 1992 über Armani: „Er ist so langweilig, dass es mich umhaut. Immer das gleiche Zeugs, immer von einer fürchterlichen Langeweile. Seine Jacken sind beige, sein Haus ist beige, er selbst ist beige.“

Giorgio Armani hat sich immer aus dem Modezirkus herausgehalten. Er macht keine Haute Couture. Was von ihm kommt, ist für den Gebrauch bestimmt – und genau deswegen ist nicht Versace der Designer, der den Stil des späten 20. Jahrhunderts geprägt hat, sondern Armani. Sein Einfluss lässt sich nur mit dem von Coco Chanel sechzig Jahre zuvor vergleichen. Beide verstanden, wo der Trend des 20. Jahrhunderts hinging: weg von Förmlichkeit und Einengung, hin zu Bewegungsfreiheit und Gleichberechtigung. Chanel befreite die Frauen vom Korsett, Armani erleichterte das Jackett um Futter, Schulterpolster und steife Einlagen – und schuf damit erst für Herren und dann für Damen einen neuen Look, der das moderne Bedürfnis nach Eleganz ohne Steifheit mitten ins Schwarze traf.

In der Ausstellung mit dem schlichten Titel „Giorgio Armani“ stehen die grünlich-grauen, beigen, „greige“-farbenen Alltagsanzüge für Damen und Herren gleich am Anfang. Auf dem Laufsteg mögen sie manchen eintönig vorkommen – in der Ausstellung begreift man sofort, was diesen Designer von allen anderen unterscheidet. Die weichen Materialien, klaren Linien und neutralen Farben sind geradezu eine Aufforderung an den Träger, sich zu entspannen und die eigene Persönlichkeit wirken zu lassen. Breite Schultern, taillierter Schnitt und fließender Stoff für die Damen erinnern an die unschlagbare Eleganz der Vierzigerjahre; weiche, fast wie vom Vater geerbte, ein bisschen zerknautschte Jacken geben den Herren die Lässigkeit derer, die es nicht nötig haben, sich abzustrampeln.

Die Puppen ohne Köpfe stehen leicht erhöht, so dass der Blick des Betrachters direkt aufs Detail gelenkt wird. Bei anderen Designern würde man die Bewegung eines lebendigen Körpers mehr vermissen als bei Armani, dessen Schlichtheit auch in der Ruhe aussagekräftig bleibt. Ein beiger Herrenanzug mit Weste, der durch den Fischgrätstoff ebenfalls an die Vierziger erinnert, durch den legeren Schnitt und das kragenlose Hemd jedoch radikal neu interpretiert ist, ein schlichtes Abendensemble aus langem Kleid im hellsten Grau mit anthrazitfarbenem Mantel, hauchfeine Wolltops zum einfachen langen Rock – diese Kleider beziehen ihre Wirkung aus der Reduktion auf ihre absolute Essenz.

Man hätte gerne noch mehr von Armanis Alltagsmodellen gesehen, doch der größte Teil der Ausstellung besteht aus glitzernden, perlen- und paillettenbestickten Abendkleidern. Natürlich sind auch diese schön anzusehen, doch an Abendmode sieht man sich schneller statt, weil dort weniger Veränderung stattfindet. Mode zeigt sich in der Alltagskleidung, gerade bei Armani. „Armani muss man nicht chronologisch anordnen, weil er zeitlos ist. Wir haben eine Anthologie seiner Sprache geschaffen“, sagt Germano Celant, Chefkurator des Guggenheim Museums. Das ist nachvollziehbar, doch andererseits fragt man sich, warum der größte Teil der Ausstellung, die 2000 als Retrospektive zum 25-jährigen Bestehen des Hauses Armani gezeigt wurde, aus den Neunzigerjahren stammt. Auch Minimalisten machen Entwicklungen durch, von denen man gerne mehr zu sehen bekommen hätte.

Schön ist die Ausstellungsgestaltung des Theaterregisseurs Robert Wilson, die nach der Hektik der Pressekonferenz mit drängelnden Fotografen und einem aufgeregten Generaldirektor Peter-Klaus Schuster Armanis Kleider mit der Ruhe präsentiert, die sie auch selbst ausstrahlen. „Es gibt nur zwei Sorten von Linien“, sagt Wilson: „die gerade und die gekrümmte. Wir haben gekrümmte Linien verwendet, um mit den geraden Linien von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in einen Dialog zu treten.“ Auf einem schlangenförmigen Laufsteg, der sich durch den gesamten Raum windet, sind die über 400 Exponate thematisch in Kategorien wie „Schwarz/Weiß“, „Ethnische Einflüsse“ oder eben „Alltagskleidung“ eingeteilt. Den Abschluss macht ein ganzer Auflauf von Smokings und Abendkleidern, die Stars zu OscarVerleihung und anderen großen Anlässen getragen haben.

Es ist kein Zufall, dass gerade Armanis Werk durch Museen in der halben Welt tourt. Er hat es immer verstanden, understatement mit der größtmöglichen publicity zu verbinden. Seine Kleider tragen Leute, die der Erfolg souverän gemacht hat, und keiner liebt seinen Look so sehr wie die pragmatischen, erfolgsverliebten Amerikaner. Eine Julia Roberts braucht keine ausgefallenen Kleider, sondern solche, die ihre eigene Ausstrahlung unterstreichen. Dazu ist nichts so geeigent wie ein schlichtes schwarzes Kleid mit kleinem runden Auschnitt. Niemand könnte eine bessere Werbeträgerin für einen Modeschöpfer sein als sie – und die Scharen anderer Weltstars von Richard Gere, dessen Ausstattung für „American Gigolo“ (1981) Armani selbst zum Star machte, über Ältere wie Claudia Cardinale bis zu Jüngeren wie Matt Damon und Angelina Jolie.

Eine Art Werbeveranstaltung ist denn auch die Ausstellung, die erstmals zum 25-jährigen Firmenjubiläum im Guggenheim Museum New York gezeigt wurde, 2001 in Bilbao und im Anschluss an Berlin nach London, Tokio und Las Vegas geht. Die Eröffnung in New York war nicht unumstritten, da die Planung lief, als Armani dem Guggenheim Museum 15 Millionen Dollar Sponsorengelder in Aussicht gestellt hatte. Vielleicht dankte er auf der gestrigen Pressekonferenz darum gleich zwei Mal „denen, die diese Ausstellung gewollt haben“, um sich „nicht in den Vordergrund zu drängeln.“ Hauptsponsor für Berlin und die folgenden Stationen ist Daimler-Benz.

Auch die Frage, ob Kleider in ein Kunstmuseum gehören, haben Kritiker schon in New York aufgeworfen. Beantwortet wurde sie zumindest von einer Seite eindeutig: Mit keinem Picasso und keinem van Gogh hat das Guggenheim je so viele Besucher angezogen wie mit Armani. Mode ist für das ganz breite Publikum interessant. „Wir müssen relevant bleiben“, sagt Thomas Krens, Direktor des Guggenheim Museums. „Deshalb zeigen wir neben den schönen Künsten auch Mode- und Industriedesign.“

In der Neuen Nationalgalerie ist „Giorgio Armani“ gelandet, weil weder das Berliner Guggenheim noch das Kunstgewerbemuseum ausreichend Platz haben. Nach dem Kauf der weltweit bedeutendsten Privatsammlung von Kostümen aus dem 18. bis 20. Jahrhundert liegt das Kunstgewerbemuseum seit neuestem in Sachen Mode gleichauf mit dem Victoria & Albert in London. Die Armani-Ausstellung ist ein erster Test, wie das Berliner Publikum den ungewohnten Schwerpunkt Mode aufnimmt.

Giorgio Armani, Neue Nationalgalerie, bis 13. Juli. Katalog: 39 Euro.

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