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Kultur: Pessimismus für Hoffnungsvolle

Eine Einführung in die Kritische Theorie

Die Gesellschaft“, so schrieb Max Horkheimer im Jahr 1932, „erweist sich in ihrer heutigen Form außerstande, von den Kräften, die sich in ihr entwickelt haben, und von dem Reichtum, der in ihrem Rahmen hervorgebracht worden ist, wirklich Gebrauch zu machen.“ Das Buch, mit dem Gerhard Schweppenhäuser knapp und kompetent die Kritische Theorie vorstellt, erinnert an ein Denken, das Zustände nicht fraglos hinnimmt, die anders sein könnten, gerechter vor allem. Der Autor vertritt die These, dass für Horkheimer, Marcuse und Adorno ebenso wie für Habermas und Honneth, eine andere, vernünftige Gesellschaft zumindest vorstellbar ist.

Schweppenhäuser widerspricht damit der verbreiteten Meinung, die Mitarbeiter des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ seien hoffnungslose Negativisten. Man versteht, woher dieses Vorurteil kommt, wenn er erklärt, nach welcher Methode sie verfahren: Beschreiben, Analysieren, Beurteilen, Kritisieren – sie leisten das alles zugleich. Ein neutraler Standpunkt kommt für sie nicht infrage, sie sind parteiisch. Sie vergleichen das, was ist, mit dem, „was sein sollte und sein könnte“. Das Negative steht deshalb unweigerlich im Zentrum ihrer Texte. Vereinfacht gesagt, ist dann der Widerspruch das Beste, was zu haben ist: eine Orientierungshilfe für die Erkenntnis; und ein „moralischer Impuls“, der darauf drängt, das Elend abzuschaffen, Gerechtigkeit herzustellen, Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden.

Es ist der Geist des Marxismus, der 1922 die ersten Arbeitstreffen der linken Intellektuellen bestimmt. Sie bleiben ihm treu; distanzieren sich jedoch von seinen Gewissheiten. Zu einem Denken, das immer ruheloser, beweglicher, offener wird; das auch mithilfe der Freudschen Psychoanalyse erkundet, was eine ökonomisch strukturierte Gesellschaft aus dem Menschen macht. Zu einem solchen Denken passen keine dogmatischen Glaubenssätze. Bereits der Name Kritische Theorie sollte das dokumentieren. Als Direktor des Instituts führt Horkheimer ihn 1937 ein, um mit der klaren Abgrenzung von der marxistischen Orthodoxie, so Schweppenhäuser, auch „wissenschaftspolitische Schwierigkeiten“ im US-amerikanischen Exil zu vermeiden.

Das Institut hat seinen Standort 1934 nach New York verlagert. Unter dem Druck des Faschismus gibt es für die jüdischen Mitarbeiter Grund genug zur Emigration. Und zum fundamentalen Zweifel an der Vernunft, die der Autor im Anhang der „Schlüsselbegriffe“ definiert: Seit der Aufklärung gelte sie als Leitmotiv einer gesellschaftlichen Praxis, die nicht nur ihre Ziele, sondern auch die damit verbundenen Werte bestimmen will.

Wenn Adorno und Horkheimer die Zerstörung der Aufklärung in ihrem berühmten Gemeinschaftswerk als „Dialektik der Aufklärung“ rekonstruieren, ist es im Grunde auch um diesen Vernunftbegriff geschehen. Den meisten Interpreten erscheint das Buch nur noch als Blick in den schwarzen Abgrund einer missglückten Zivilisation. Schweppenhäuser dagegen versteht dies als Entwurf einer radikalen Selbstkritik der Vernunft.

Tatsächlich geben die Kritischen Theoretiker das Ideal der Aufklärung nicht preis: Sie verbinden die Erwartung einer vernünftigen Wirklichkeit mit mündigen Menschen. Schweppenhäuser zeigt diese Hoffnungsspur in den 1950er und 60er Jahren: „Pessimistisch in der Theorie, optimistisch in der Praxis“ setzen sich die Mitglieder des wiedereröffneten Instituts für eine kritische Pädagogik ein.

Besonders Adorno fordert eine „Erziehung zur Mündigkeit“. Der Maßstab des Widerspruchs zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, ist für ihn noch präziser geworden. Er will seine Mitmenschen nie wieder als Mitläufer erleben. Allerdings erkennt er die Mechanismen, mit denen die kapitalistische Gesellschaft Autonomie verhindert. Er durchschaut die Macht des Konsums und der Fixierung auf das, was ‚sich rechnet’. In diesem Sog wird die Kraft zur Utopie verbraucht. Angelika Brauer

Gerhard

Schweppenhäuser:

Kritische Theorie. Grundwissen

Philosophie.

ReclamVerlag,

Ditzingen 2010.

140 Seiten, 9,90 €.

Angelika Brauer

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