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Der Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue.

© Doris Spiekermann-Klaas

Peter Raue zum neuen Kulturgutschutzgesetz: Und das soll keine Enteignung sein?

Mit dem geplanten Kulturschutzgesetz, will die Bundesregierung den grenzüberschreitenden Handel mit Kunst- und Kulturgütern strenger regeln. Das diffamiert den Kunsthandel. Experte Peter Raue fordert eine "Entgiftung" des Gesetzes.

Das hat es im Kulturbetrieb noch nicht gegeben: Dass ein Gesetzesvorhaben, bevor auch nur eine Zeile des Entwurfes in die Öffentlichkeit gelangt ist, eine derart vehemente Reaktion auslöst. Seit bekannt wurde, dass Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, kurz BKM, ein neues Kulturgutschutzgesetz plant und darin die Ausfuhrbeschränkungen gegenüber dem bisherigen Zustand verschärft und auf das europäische Binnenland erstreckt, hagelt es Proteste des Kunsthandels, aber auch der Sammler.

Seit Kurzem ist der Referentenentwurf im Internet abrufbar. Ein monströses Gesetzesvorhaben mit 90 Paragrafen liegt auf dem Tisch und übertrifft alle Befürchtungen. Dieses Gesetz ist der beispiellose Versuch, dem Staat den Zugriff auf alle jene Arbeiten mit leichter Hand und wenig Geld zu ermöglichen, die er – aus welchen Gründen auch immer – dem öffentlichen Besitz einverleiben will.

Mit diesem Gesetz soll ein, so die Begründung zur Novelle, „Instrument“ eingeführt werden, das den „zuständigen Landesbehörden die Sicherstellung von Kulturgut“ ermöglicht. Dass die neue Regelung in den Ländern einen erheblichen finanziellen Aufwand bedeutet, verkennt das BKM nicht. Alle archäologischen Gegenstände, die mehr als 1000 Euro wert sind, alle Bilder und Gemälde, deren Wert mindestens 150 000 Euro beträgt, müssen von den Ländern vor einer Ausfuhr (oder auch nur Ausleihe) auch innerhalb Europas auf die Frage abgeklopft werden, ob dem Werk die Ausfuhr untersagt werden kann, weil die Experten es für Kulturgut halten könnten.

Der Staat verschafft sich mit diesem Gesetz das Recht, bei allen einschlägigen Kunstwerken (einschließlich Kunstgewerbe) die Ausfuhr zu verbieten. So kommt der Staat – angesichts des gesperrten internationalen Marktes – billig an all das heran, was er gern in den deutschen Museen und Archiven hätte. Zwei Beispiele belegen das signifikant. Nachdem die Erben Alexander von Humboldts beschlossen hatten, sich von den Tagebüchern von Alexander von Humboldt zu trennen, um das Humboldtschloss sanieren zu können, wurde das Konvolut nach England verschafft.

Leichter Zugriff mit wenig Geld: Und das soll keine Enteignung sein?

Von dort aus konnten die Tagebücher auf dem internationalen Markt angeboten werden. Zu den Mitbietern gehörte auch die Bundesrepublik Deutschland, die das Konvolut für einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag erwerben konnte. Nach der vom Kultusministerium geplanten Neuregelung hätten die Tagebücher nicht ausgeführt werden können, man hätte den Eigentümern – da es in Deutschland keinen Markt für den Erwerb solcher Archivarien gibt – statt des gezahlten Betrages mit einer Million abgefunden. Und das soll keine Enteignung sein?

Als die nordrhein-westfälische Spielbank sich von Arbeiten Andy Warhols trennen wollte, wanderten diese Werke ins Ausland und wurden dort für über 150 Millionen Euro versteigert. Da es sich nach dem Selbstverständnis des Kultusministeriums bei diesen Arbeiten angeblich um deutsches (!) Kulturgut handelt, wäre eine Ausfuhr aufgrund der geplanten Neuregelung nicht mehr möglich. Statt des erzielten Kaufpreises wären in Deutschland für diese Arbeiten vielleicht zehn Prozent davon zu erzielen gewesen. Mit dem geplanten Gesetz soll nunmehr die Enteignung des kulturellen privaten Besitzes legalisiert werden. Paragraf 6 des geplanten Gesetzes lautet: „Nationales Kulturgut als Teil des kulturellen Erbes Deutschlands unterliegt dem Schutz gegen Abwanderung aus dem Bundesgebiet.“

Was aber ist denn nationales Kulturgut? In Paragraf 2 des Gesetzes werden die Begriffe, die in dem Gesetz verwendet werden, in 18 Positionen definiert, von „Ausfuhr“ bis „Vertragsstaat“. Der Begriff des „nationalen Kulturgutes“ kommt dort nicht vor. Da heißt es lediglich in Ziffer 8: „Kulturgut (ist) jede bewegliche Sache … aus Geschichte, Wissenschaft und Kunst, insbesondere aus … Musik, Literatur… oder anderen Bereichen des kulturellen Erbes.“

"Triple Elvis" (1963) und "Four Marlon" (1966) von Andy Warhol.
"Triple Elvis" (1963) und "Four Marlon" (1966) von Andy Warhol. Die Westdeutschen Spielbanken wollten in New York zwei ihrer wichtigsten Bilder versteigern lassen und erhofften sich dafür 100 Millionen Euro.

© Christie`s/The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc/ dpa

Auch zufällig Gefundenes lässt sich auf die Liste setzen

Wann wird ein Kulturgut zum nationalen Kulturgut, dessen Ausfuhr verboten werden kann? Das bleibt das Geheimnis des Gesetzgebers. Wie dramatisch die Folgen dieses Gesetzes sein werden, ergibt sich daraus, dass die Eintragung in ein Kulturgutverzeichnis auch dann erfolgen kann, wenn der Eigentümer an Ausfuhr gar nicht denkt, sondern großzügig eine Arbeit etwa einem Museum leiht. Will dieses erreichen, dass die Arbeit auf Dauer in Deutschland bleibt, so kann es den Antrag auf Eintragung in das Kulturgutverzeichnis stellen. Wird dem stattgegeben, bleibt dem Eigentümer nur die Möglichkeit, noch innerhalb Deutschlands das Werk zu verkaufen.

Mit welcher Konsequenz und Nachspürlust auch in Häusern, in denen sich traditionsgemäß Bilder und Möbel befinden, das Ziel des Ausfuhrverbotes verfolgt wird, belegt die Pflicht der Besitzer, den Kulturgutschützern der Länder sowie „sachverständigen Personen den Zutritt zu Wohnungen oder Gebäuden, in denen das Kulturgut verwahrt wird, zu ermöglichen“. In schöner Offenheit heißt es im Gesetz: „Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung … wird insofern eingeschränkt.“ Entdeckt der ungebetene Besucher in einer Wohnung weiteres „Kulturgut“, so wird er sein Recht, dessen Ausfuhr für immer zu verhindern, wahrnehmen, indem er auch das zufällig Gefundene auf die Liste setzen lässt.

Finanzierungsmöglichkeiten von Terrororganisationen sollen eingeschränkt werden

Das geplante Kulturgutschutzgesetz legt auch dem Handel in einer Weise Ketten an, die beängstigend sind. Das Gesetz diskriminiert den gesamten deutschen Kunsthandel, wenn in der Begründung zu dem Gesetz formuliert wird: „Mit dieser Neuregelung soll nicht nur gegen den illegalen Handel mit Kulturgut in Deutschland vorgegangen werden, sondern es sollen auch Finanzierungsmöglichkeiten von Terrororganisationen eingeschränkt werden … .“ Der kriminelle Kunsthandel, die Terrororganisationen: In diesem Verbund steht der Kunsthandel nicht. Diese pauschale Diffamierung des deutschen Kunsthandels und der Galeristen ist schwer erträglich und fatal lebensfremd.

Auktionshäuser und Galeristen, die mit einem Kulturgut (gleichgültig, ob es auf der Liste steht oder nicht) handeln, müssen nach dem Gesetzesentwurf Unterlagen anfertigen, aus denen sich ergibt, wer eingeliefert hat, wie und mit welchem Effekt die Provenienz geprüft wurde, wer zu welchem Preis die Arbeit wann erworben hat, und diese Unterlagen müssen bei einem höheren Kaufpreis als 2500 Euro dreißig Jahre lang aufbewahrt werden. Keinem Unternehmen, keinem Anwalt, keinem Arzt wird eine solche Verpflichtung auferlegt!

Wie ungeniert das neue Gesetz auf Enteignung von wertvollem Kulturgut abzielt, betont Monika Grütters in einem „FAZ“-Interview, in dem sie die Übernahme der englischen Regelung ablehnt. Dort kann die Ausfuhrgenehmigung nur für ein Jahr versagt werden, in dieser Zeit muss das Land entscheiden, ob England das „beschlagnahmte“ Werk zum „fair market value“ erwirbt oder ziehen lässt. Denn auch im vergangenen Jahr habe, so Monika Grütters, England „Kunstwerke im Wert von mehr als hundert Millionen Pfund ziehen lassen, weil die Kaufsumme im Inland nicht aufgebracht werden konnte. Deshalb ist die Regelung für mich alles andere als vorbildlich für Deutschland.“ Wenn Deutschland nicht den Wert unter Schutz gestellter Werke zahlen kann, soll der Eigentümer dieser Werke sich mit einem Bruchteil des Wertes zufrieden geben.

„Auf den Knien meines Herzens“ kann ich unsere um die Kultur so hoch verdiente und kluge Kulturstaatsministerin nur anflehen: Entgiftet das geplante Gesetz, damit es den Kunsthandel und die Freude am privaten Kulturbesitz nicht verdirbt – mit letalem Ausgang. Das Gesetz, das hinsichtlich des Handels mit Raubkunst vernünftige und begrüßenswerte Regelungen getroffen hat, schadet Deutschland als Kunsthandelsplatz, verunsichert die privaten Sammler und schafft einen erschreckenden bürokratischen Apparat. Das „Big brother is watching your art“ ist einfach unheimlich.

Peter Raue lebt als Rechtsanwalt und Kunstexperte in Berlin.

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