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Kultur: Phönix aus den Steinen

Pritzker-Preis für Architektur an Wang Shu.

Schlimmer als ein Weltkriegsbunker, lästerte Tess, als ich ihr begeistert Fotos des Stadtmuseums von Ningbo geschickt hatte. Bestimmt haben sie – sie, das sind in China die da oben, die wichtigtuerischen Kader, die Provinzfürsten, die Propaganda mit Kultur verwechseln – dafür einen Architekten aus dem Fernen Westen angeheuert, irgendein abgehalftertes Genie oder einen wendigen Technokraten, wie sie in China derzeit scharenweise bauen, Hauptsache ausländisch, Hauptsache monumental.

Tess Johnston ist die Grande Dame der Schanghaier Kulturgeschichte und eine Koryphäe für Architektur. Doch diesmal lag sie daneben. Architekt Wang Shu istChinese. Und die da oben lagen richtig. Wang wurde nun mit dem Pritzker-Preis geehrt, der weltweit höchstdotierten Auszeichnung für Baukunst. Zuvor gewann er schon den Preis der Erich-Schelling-Architekturstiftung in Karlsruhe und die Goldmedaille der französischen Académie d’Architecture. Er ist Leiter der Abteilung Architektur an der Chinesischen Kunstakademie in Hangzhou und Gastprofessor in Harvard. In China ist er eher auf Baustellen als in seinem Büro anzutreffen, bevorzugt fremden. Wie in allen chinesischen Städten werden auch in Ningbo, einer Fünf-Millionen-Metropole südlich von Schanghai, ganze Stadtviertel abgerissen, um Büro- und Apartmentkomplexen, Einkaufszentren und Regierungsgebäuden zu weichen.

Der Bauschutt wird dann geschreddert. Oder er landet bei Wang Shu. Der Architekt trägt alte Ziegel und Dachplatten zusammen, von Wohnhäusern, Lagerhallen und einstigen Stadtmauern. Die wiederverwendeten Steine sind sein Markenzeichen. Besonders sinnfällig wird das beim Ningbo Museum, das Geschichte nicht nur ausstellt, sondern selbst daraus besteht: ein Zeitspeicher. Trotz der gewaltigen Dimensionen – es hat die Abmessungen eines Hangars und die Wucht eines Meteoriten – wirkt das Gebäude filigran. Die Mauern aus Millionen alter Ziegel strahlt nicht Imponiergehabe aus, sondern Verantwortung, Kultiviertheit. Wo Beton zutage tritt, hat Wang ihn mit Bambusmatten überfangen, deren Strukturen den rohen Beton besänftigen.

Nun besitzt Ningbo ein historisches Museum, aber die Historie selbst ist entsorgt. Im Mittelalter war die Stadt ein Tor zur Welt. Arabische Seefahrer und japanische Handelskonvois landeten hier an, Schiffe aus Ningbo nahmen an Expeditionen nach Indien und Sansibar teil. Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sich die Europäer am „Bund“ nieder, der kolonialen Uferzeile, lange bevor das Pendant in Schanghai zu erstrahlen begann. Bankgebäude, Villen, Speicher, neugotische Kirchen reihten sich dort aneinander. Davon ist kaum etwas geblieben, ebenso wenig von der altchinesischen Bebauung.

Wangs Ansatz stemmt sich der Zeit entgegen und weist in seinem avantgardistischen Gestus über sie hinaus. Er konnte seinen Entwurf genauso kompromisslos ausführen konnte, wie er ihn erdacht hatte. Ningbo ist in China die Ausnahme, denn meist werden die Pläne von einem unberechenbaren Bürgermeister wieder über den Haufen geworfen. Nicht geistlose Macht hat sich hier verewigt, sondern machtvoller Geist. Stefan Schomann

Der Autor hat im Ningbo Museum gerade eine Ausstellung mit historischen China-Fotografien gezeigt.

Stefan Schomann

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