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Kultur: Pianist Artur Schnabel: Wiederentdeckung eines Wiedererweckers

Eines der schönsten Bilder: Der alte Mann zeigt seine Hände. Schaut halb ungläubig, halb verschmitzt in die Kamera, als könne er das Interesse der Welt an seinen zehn Fingern nicht recht begreifen.

Eines der schönsten Bilder: Der alte Mann zeigt seine Hände. Schaut halb ungläubig, halb verschmitzt in die Kamera, als könne er das Interesse der Welt an seinen zehn Fingern nicht recht begreifen. Und dabei hätten sich in Amerika, wohin Artur Schnabel 1933 emigriert war, vermutlich sämtliche Insurance companies darum gerissen, die Hände des berühmtesten Beethoven-Pianisten der Welt mit einer angemessen spektakulären Summe zu versichern. Ebenso wie das Publikum verrückt danach war, dem Wiedererwecker der großen Klassiker auf die wundertätigen Finger zu schauen: Denn gerade damals, in den dreißiger Jahren, hatte der 1882 in einem Winkel des Austro-ungarischen Vielvölkerstaats geborene Artur Schnabel den Zenith seiner Karriere erreicht. In seiner Heimatstadt Berlin durch seine frenetisch gefeierten Beethoven-Zyklen in der alten Volksbühne und weltweit durch seine Konzerttourneen und vor allem die Epoche machenden Gesamtaufnahmen für die britische EMI. Schnabel war Instanz und ist es allen Stilwandlungen zum Trotz noch immer für Interpreten wie Alfred Brendel und Andras Schiff, der sich mit dem Hinweis auf die Gültigkeit von Schnabels Zyklus hartnäckig einer eigenen Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten verweigert.

Ein anderes Bild: Es zeigt den etwa achtjährigen Jungen, der aus seinen dunklen Augen mit geradezu ungebührlichem traurigem Ernst herausblickt. Als würde der gnadenlos analytische, unbedingt schriftentreue Geist des Musikers schon ganz zu Beginn seiner Klavierstudien beim Wiener Klavierpapst (und Enkelschüler Beethovens) Theodor Leschetitzky gegenwärtig gewesen sein. Den Eindruck bestätigen auch die frühesten Klangbeispiele in der kleinen Hörtheke, mit der die Akademie der Künste die Plakate, Fotos und Briefe ihrer Schnabel-Ausstellung ergänzt: Ein Schubert-Impromptu und eine ungewöhnlich auf ihre Entwicklungslinie hin abgeklopfte und in ihrer Brillanz unterspielte Chopin-Etüde, die Schnabel 1905, sieben Jahre nach seinem Umzug in die preußische Hauptstadt für den Klavierrollenproduzenten Welte-Mignon aufnahm. In nur einem geräumigen Saal im ersten Stock des Akademiebaus findet die ganze Ausstellung zum fünfzigsten Todestag des Pianisten, Komponisten und Lehrers Artur Schnabel statt, und dennoch dokumentiert sie einen Glücksfall: Mit einer großzügigen Geste entschlossen sich 1998 die beiden inzwischen verstorbenen Söhne Schnabels, Stefan und Karl Ulrich, den Nachlass ihres Vaters dem Archiv der Berliner Akademie zu stiften - in der Überzeugung, dass Berlin trotz der Emigration die geistige Heimat ihres Vaters geblieben war.

Was zurückkehrte, ist nicht nur Material zur Familien-Biografie eines Jahrhundert-Musikers, sondern belegt auch ein gewichtiges Kapitel Berliner Musikgeschichte aus dem ersten Drittel des letzten Jahrhunderts - einer Epoche, in der Berlin eine für das Musikleben der ganzen Welt bis heute nicht wieder erreichte Bedeutung besaß.

Horowitz, Nikisch, Klemperer, Bruno Walter und Schönberg, alle Heroen des damaligen Musiklebens tauchen irgendwo, auf einem Gruppenfoto oder mit einem Brief auf und zeigen die zentrale, über Jahrzehnte gewachsene Stellung Schnabels im Berliner Musikleben. Denn schon den Zeitgenossen war klar, dass Schnabel weit mehr war als ein bloßer Klavierspieler. Im Gegenteil basierten Schnabels Erfolge nie auf virtuoser Vorführkunst, wie sie seine Zeitgenossen Ignaz Friedman, Moritz Rosenthal und Leopold Godowsky beherrschten - mit deren Kabinettstückchen hatte Schnabel schon zu Beginn seiner Karriere nie etwas im Sinn. Statt dessen zeigen schon die frühesten in der Ausstellung präsentierten Konzertprogramme die strikte Repertoirebegrenzung, mit der Schnabel zum Vorbild für die nachfolgenden Pianistengenerationen wurde: Aufgenommen in den spielwürdigen Werkkanon wurden nur die großen Klassiker: Beethoven, Brahms, Schumann, Schubert, dessen Sonaten er auf dem Konzertpodium etablierte, Bach und Mozart, den er endgültig vom Ruch des Rokoko-Komponisten befreite. Heiliges, das Schnabel mit einer bis dahin unbekannten Treue dem Notentext gegenüber intepretierte. Gingen noch die Pianisten seiner Generation an die Klassiker mit starker eigenschöpferischer Kreativität heran, oktavierten und transponierten immer dort, wo die Komposition selbst nicht brillant genug schien, setzte Schnabel als erster die Gültigkeit des Komponistenwillens auf dem Podium durch. Als Interpret wie in seiner umfangreichen Editionsarbeit, für die die umfangreichen Autographenbestände der Berliner Staatsbibliothek ihm eine ideale Basis boten.

Ein Hauptverdienst der Ausstellung ist freilich, dass sie sich nicht nur auf die Darstellung von Schnabels Pianisten- und Lehrtätigkeit beschränkt, sondern auch den bislang weitgehend vergessenen Komponisten Artur Schnabel restituiert: Mit Klangbeispielen aus seinen wichtigsten Werken, Notenmaterial, und vor allem einem 15-teiligen Konzertzyklus in Zusammenarbeit mit den diesjährigen Festwochen. Zwischen deren Schönberg- und Beethoven-Blöcken bildet Schnabel das "Missing link". Das entscheidende Erlebnis für den Komponisten Schnabel, erklärt Ausstellungskurator Werner Grünzweig, sei schließlich die Mitwirkung an den Poben zu Schönbergs "Pierrot lunaire" gewesen, quasi als Initialzündung für ein umfangreiches eigenes Oeuvre.

Dass damit nach Jahren auf einem Umweg auch ins Festwochen-Programm wieder Neues, Neugierig-Machendes einzieht, ist hoffentlich ein Signal: Denn noch vieles gäbe es in de Stadt Ferruccio Busonis, Wilhelm Kempffs und Furtwänglers wieder zu entdecken, an Kompositionen genauso wie an zu Interpretation geronnener Geistesgeschichte. Und Artur Schnabel ist der beste Anfang, den man sich dafür denken kann.

Jörg Königsdorf

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