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Kultur: Piatti und Profil

Der Deutsche Taschenbuchverlag – alias dtv –  wird 50. Verleger Wolfgang Balk erinnert sich

„Eine bessere Lage gibt es kaum“, sagt Wolfgang Balk und blickt aus seiner Mansarde über die Schwabinger Dächer. Seit der Gründungsverleger Heinz Friedrich nach einem Intermezzo in der Nachbarschaft 1963 passenderweise in die Friedrichstraße zog, residiert der Deutsche Taschenbuchverlag, kurz dtv, gemeinsam mit einem Auktionshaus vis-à-vis eines kleinen Parks. Balk, seit 1996 verlegerischer Geschäftsführer, hat unterm Dach ein holzgetäfeltes Büro mit Westbalkon – die Wohnung des früheren Hausbesitzers. Auf einem Tisch prangt in leuchtendem Rot der Nachdruck von Giambattista Bodonis „Handbuch der Typografie“ von 1818.

Der 62-jährige gebürtige Münchner, der durch seine Zeit beim S. Fischer Verlag auch Frankfurt schätzen lernte, bezeichnet sich als „Eklektizist“: „Mir macht das Mitgestalten von Umschlägen genauso Spaß wie Papier auszusuchen und mich mit dem Handwerklichen zu beschäftigen. Aber auch die programmatische Arbeit, die Diskussionen mit den Lektoraten, der Umgang mit Autoren. Verleger zu sein, ist ein wunderbarer Beruf. Es ist ein Gestalten im Dialog.“

Heinz Friedrich war als Gründungsmitglied der Gruppe 47 und Programmdirektor von Radio Bremen nach München gekommen, in einer Zeit, als nach der geistigen Isolation durch den Nationalsozialismus Taschenbuchauflagen von 50 000 Exemplaren keine Seltenheit waren. Taschenbücher kosteten ein Zehntel von Hardcovern, Buchhandlungen orderten komplette Jahresproduktionen. Das goldene dtv-Zeitalter brach an, mit elf Gesellschaftern der wichtigsten Verlage von Piper bis Insel. „Das Ganze hat sich aus den ‚Büchern der 19' entwickelt“, erinnert sich Balk. „Diese Werbegemeinschaft bot monatlich ein verbilligtes Buch für 16 DM an. Die Initiative ging von den Verlagen Artemis und Piper aus, die ihre Taschenbuchrechte gemeinsam verwerten wollten. Sie haben Heinz Friedrich gewonnen, der Anteile bekam. So wurde dtv gegründet.“

Dreißig Jahre sollte Friedrich dtv leiten, stets in dem Bewusstsein, das Taschenbuch nicht erfunden, aber „etwas daraus gemacht“ zu haben, wie er es formulierte. So sorgte gleich die Plakataktion „dtv – ein neuer Typ des deutschen Taschenbuchs“ bundesweit für Aufsehen. Erster Titel war 1961 Bölls „Irisches Tagebuch“, das jetzt auch in der Jubiläumsedition vertreten ist, neben Werken von Wilhelm Weischedel, T. C. Boyle oder Paula Fox. Ob Literatur, Sachbuch oder Unterhaltung: Die Jubiläumsbücher erscheinen nun als sogenannte Flexcover in Leinen mit einer Schwarzweiß-Fotografie auf dem Umschlag – eigentlich heimliche Hardcover.

Doch echte Hardcover wären bei den verbliebenen Gesellschaftern ohne eigene Taschenbuchreihen – Hanser, C.H. Beck, Hoffmann & Campe, Oetinger – nicht gerne gesehen. Empfinden diese Verlage die 1996 gegründete Reihe „dtv premium“, die im deutschsprachigen Bereich Autorinnen wie Antje Rávic Strubel oder Judith Zander lancierte, nicht ein bisschen als Konkurrenz? „Sie drücken es richtig aus: ein bisschen", so Balk. „Mit ,dtv-Premium’ können wir inhaltlich und gestalterisch tätig werden. Aufgrund des Schwunds der lizenzgebenden Gesellschafter mussten wir anders auftreten, um unsere Marktanteile zu halten. Andererseits arbeiten wir eng zusammen. Ich habe vor meinem Studium der Germanistik und Philosophie eine Buchhändlerlehre bei Hanser gemacht. Wir kaufen gemeinsam Titel und empfehlen uns gegenseitig Autoren wie Martin Mosebach, Thomas Glavinic oder Alex Capus, die erst bei uns erschienen, dann bei Hanser. Es ist ein Geben und Nehmen. Wir kaufen ja auch Lizenzen von anderen Verlagen, etwa die Kirchhoff-Werkausgabe von der FVA.“

Die Möglichkeit, dass sich die Zahl der Gesellschafter wieder erhöhen könnte, beurteilt Balk skeptisch: „Es gibt ja immer weniger freie Verlage, wir zählen uns selbst zu den Unabhängigen. Und Konzernverlage bleiben uns verschlossen, obwohl ich etwa Ulla Hahns Roman ,Aufbruch’ von Bertelsmann gekauft habe.“

Die Backlist von dtv beziffert er auf etwa 5000 Titel, zumeist Lizenzausgaben. Inzwischen besteht das Programm fast zur Hälfte aus Original- und Erstausgaben, bei dtv junior sogar fast zu hundert Prozent. Zur vorsichtigen Neupositionierung des Publikumsverlags zwischen Goethe- und Nietzsche-Gesamtausgaben und Bestsellern von Dora Heldt oder Henning Mankell zählen E-Books und der Relaunch des Internetauftritts. Auf der dtv-Homepage koexistiert die Empfehlung für Peter Probsts Krimi „Personenschaden“ mit der Rubrik „Auf einen Kaffee mit … Aristoteles“.

Die Buchgestaltung aber ist ein Lieblingsthema des Verlegers, beim Tee und einer Selbstgedrehten. Für den in München lebenden Schriftsteller Uwe Timm verbindet sich mit dieser Balkschen Rauchgewohnheit „das Hören von Jazz und Stockhausen, die Lektüre von René Char und Camus, die intensive Diskussion über ästhetische Konzepte, Richtungen und Werke“, wie er in einer Geburtstagshommage an Balk schrieb.

Generationen von dtv-Lesern sind mit den berühmten „weißen Taschenbüchern“ aufgewachsen, gestaltet von dem Schweizer Grafiker Celestino Piatti (1922-2007). Ihn hatte Friedrich 1960 für den Verlag angeworben. Für Wolfgang Balk ist Piatti „ein begnadeter Grafiker“. Mit seinen minimalistischen Covern bestimmte der Eulenliebhaber die Buch-Ästhetik der sechziger und siebziger Jahre entscheidend mit. Aber Piatti stand nach dreißig Jahren nicht mehr zu Verfügung. Die Titel vermehrten sich rasant, auf den Bleisatz folgte der Fotosatz. Doch Piatti plagiieren – das wollte man bei dtv nicht. Zudem veränderte Balk das Programm und verstärkte das Unterhaltungssegment genauso wie die Bereiche Sachbuch und Kinder- und Jugendbuch.

Auch die Taschenbuch-Rezeption hat sich verändert, und die Verlage denken kaum noch in Reihen, sondern nur in der Kategorie von Spitzentiteln. „Das sind aber nicht immer die Bücher, an denen das Herz des Verlegers am stärksten hängt.“ Weshalb man sicher sein darf, dass Wolfgang Balk in seiner Schwabinger Mansarde noch viele Herzenstitel bringen wird, mit der Typografen-Legende Giambattista Bodoni als Leitstern.

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