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Kultur: Pisspott und Paradies

„Foi“: Sidi Larbi Cherkaoui meditiert an der Berliner Schaubühne über den Glauben

Bei einem Abend, der sich mit Fragen des Glaubens befasst, darf die Frage nach dem Namen nicht verboten sein. Manche sagen „Tanzstück“, andere „inszeniertes Konzert“. In Frankreich, wo „Foi“ (Glaube) im März uraufgeführt wurde, kam die Bezeichnung opéra médiéval (Mittelalter-Oper) in Umlauf. Das alles stimmt. Und greift doch zu kurz.

Die Bühne ist ein schmutziger Winkel aus hohen Betonwänden. Oben links sind drei Fensteröffnungen, die den Blick in eine Art Loge freigeben. Dort spielt später die Musik. Nach und nach tauchen menschliche Wesen auf, teils in neutralen, beigefarbenen Kleidern, drei im übertrieben bunten Outfit abgehalfterter Vorstadtexistenzen. Darryl E. Woods macht dabei als Transvestit noch die beste Figur. „Jesus loves you!“, sagt er wiederholt, später, als das Glaubens-Geschehen rabiater wird, auch: „Du sollst nicht stehlen“, oder sogar: „Du sollst nicht töten!“. Aber niemand beachet ihn. Natürlich wird gestohlen, gequält, getötet. Wahrscheinlich im Namen des Glaubens.

Das weiß man aber nicht so genau. Denn die plakativen Szenerien, welche die elf Tänzerdarsteller gemeinsam mit den sieben Musikern der Capilla Flamenca, einem Ensemble für Alte Musik, ausrollen, legen sich nicht fest. Stattdessen raffen sie alle Symbolwerte zusammen, die einem zum Thema einfallen können. Da ohrfeigt sich Lisbeth Gruwez mit Inbrunst und spricht: „Jesus loves me.“ Da stehen die Tänzer wie arme Sünderlein mit dem Gesicht zur Wand, manche beschmieren sich mit blutroter Farbe, eine malt ein Herz. Jemand zieht sich mit einer Seilwinde an den Füßen in die Luft, während eine Kollegin mit Boxhandschuhen auf ihn eindrischt.

Aus solchen Versatzstücken baut der belgische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui sein Stück. Es ist unter anderem mit dem Preisgeld des renommierten Nijinsky Award entstanden, den Larbi vergangenen Dezember als „wichtigster Nachwuchs-Choreograph“ erhielt. Tatsächlich bietet „Foi“ eine durchkomponierte Struktur, verstört durch die Schonungslosigkeit der Tänzer und führt den Blick sicher durch eine filmisch gegliederte Bilderfolge. Doch so innig die Verbindung von Alter Musik mit den Ansichten von Gefühlskälte und Gewalt gefügt ist, so holzschnitthaft bleiben sie. Die Szenen gefallen sich selbst.

Auch wenn die Musikperformerin Joanna Dudley auf dem Pisspott hockend mit dem Paradies telefoniert und Nachrichten aus dem Schlaraffenland erfährt, bleibt das bestenfalls erheiternd. Und ist es nicht purer Betroffenheitskitsch, wenn Damien Jalet sich die Augenhöhlen rot anmalt und als Überlebender des Atomkriegs die Geschichte einer Frau vorträgt, die nach der Apokalypse vergeblich ihren Säugling stillen will? Vielleicht ist es aber auch nur ein anderer Umgang mit Pathos und prekären Themen, in seinem Ernst eindrucksvoll und penetrant. Denn das Einverständnis mit dem emotionalen Gestus scheint immer vorausgesetzt. Die manichäische christliche Glaubenslehre war im Mittelalter unbestritten; es ging nur um den Umgang mit Ängsten und Sehnsüchten. So ähnlich funktioniert auch „Foi“: Die Profanierung des Glaubens, die Radikalisierung der Politik und der Verfall der bürgerlichen Gesellschaft gelten als ausgemacht. Deswegen muss man sich nicht mit Analysen befassen, sondern kann sich auf Zustandsbeschreibungen beschränken.

Darin liegt das Paradox der post-politischen Gesellschafts-Bühne, wie sie die flämische Theaterszene (Larbi Cherkaoui gehört zu Alain Platels Gruppe Les Ballets C. de la B.) aufbaut. Je elender, je lebensnäher die Motive, desto wahrer das Stück. Fern der herkömmlichen Kategorien will man eigene Gesetze einer sozial relevanten Betroffenheitskultur aufstellen. Die aber bleibt, auch in ihrem gerechten Zorn, immer nur - Inszenierung.

Noch bis Sonntag, jeweils 20 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz

Franz A. Cramer

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