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Kultur: Plaste ist geduldig

Wie kommt die DDR ins Museum? Besichtigungen in Berlin, Leipzig und Eisenhüttenstadt

Es muss der Bodenbelag sein. Oder die Schuhcreme. Vielleicht aber auch die Sprelacart-Möbel. Was immer es ist: „Et riecht jenau wie früher!“ Eine Art wohliges Schaudern schwingt in solchen Sätzen mit, die in unzähligen Variationen zu hören sind im neuen Berliner DDR-Museum an der Karl-Liebknecht-Brücke, 45 Jahre nach dem Mauerbau. Ein komplettes Plattenbau-Wohnzimmer nebst Küche ist da nachgebaut mit allem, was die landläufige Meinung seit „Sonnenallee“ und „Goodbye Lenin“ einer Ost-Wohnung zurechnet: Gedecke aus Plaste und Kaffee aus Getreide, im Fernsehen Sudel-Ede Schnitzlers „Schwarzer Kanal“, an der Wand ein Honecker-Porträt. Und vor allem jener Geruch, den früher niemand bemerkt haben will und heute mancher zu vermissen behauptet, jetzt, wo ein anderer Wind weht in diesem Land, das es nicht mehr gibt. Tief einatmen, schaudernd ausatmen, und wahlweise das Aroma der Erinnerung (Ost) oder den Kitzel einer fremden Welt (West) genießen. Gruselkabinett DDR.

Vor ein paar Wochen hat die neue, privat geführte DDR-Ausstellung eröffnet, und prompt stolperte sie in eine Diskussion hinein, die kurz zuvor unter dem Stichwort „Sabrow-Papier“ Furore gemacht hatte. Unter der Leitung des Potsdamer Historikers Martin Sabrow hatte eine Expertenkommission im Bundesauftrag einen „Geschichtsverbund Aufarbeitung der SED-Diktatur“ konzipiert. In der abschließenden Empfehlung konstatierten die Kommissionsmitglieder unter anderem eine „deutlich übergewichtige Konzentration auf Orte der Repression und der Teilung“, während „in der gegenwärtigen Gedenklandschaft insbesondere Alltag und Widerstand einer diktaturunterworfenen Bevölkerung weitgehend ausgeblendet“ blieben.

Kritiker des Papiers monierten umgehend, mit der Akzentverschiebung auf den Alltag werde einer Verniedlichung der DDR-Diktatur das Wort geredet – obwohl im Sabrow-Papier ausdrücklich argumentiert wird, gerade die museale Ausblendung des Alltags würde „den erinnernden Umgang mit dem Leben in der Diktatur unkritischen Sammlungen zur DDR-Alltagskultur überlassen“.

Das Wort vom Alltag jedenfalls war in der Welt – und als kurz darauf das Berliner Museum eröffnete, wirkte es wie eine Illustration aller Befürchtungen, die Kritiker und Befürworter der Sabrow-Empfehlungen vereinen: eine museale Zirkus-DDR zum Anfassen, heruntergekocht auf ihre griffigsten und bereinigt um ihre erschreckendsten Aspekte. Die Zusammenstellung der Exponate wirkt hier so beliebig wie die Setzung von Schwerpunkten, wenn etwa dem Phänomen FKK gleich viel Platz eingeräumt wird wie dem Phänomen Stasi. Manche Ausstellungstexte gehen gerade noch als holprig formuliert durch („Als sich 1989 das Volk erhob, versagte die Stasi kläglich“), andere rangieren an der Grenze zur Geschichtsklitterung („Viele wiesen die Werbeversuche des MfS ab, den meisten entstand daraus kein Nachteil“).

Und dennoch: Der rege und merklich nicht auf Ostalgiker beschränkte Zulauf des Privatmuseums legt nahe, dass hier trotz aller manifesten Mängel ein Bedürfnis nach Alltagserinnerung bedient wird, dem öffentliche Institutionen in Berlin bislang schlecht zu begegnen wissen. Als direkten Konkurrenten gibt es in der Stadt nur die überschaubare DDR-Abteilung im Deutschen Historischen Museum. Die bettet die DDR in ein gesamtdeutsches Davor und Danach ein: Sie beginnt mit einem Grenzpfahl, an dem sich die deutsche Geschichte in zwei parallele Erzählungen spaltet – links DDR, rechts BRD –, die erst zum Ende der Halle wieder ineinanderfließen. Motivische Spiegelungen stellen grenzüberschreitende Bezüge her: links Ostmark, rechts Westgeld, links ein Trabi, rechts ein Käfer. Gerade diese Parallelsetzungen haben der Ausstellung allerdings auch Kritik von Bürgerrechtlern eingebracht: Die Differenz zwischen Demokratie und Diktatur rücke in den Hintergrund, hieß es.

Ein anderer Vorwurf ist die wohl nur implizit auf das DHM gemünzte Kritik der Sabrow-Kommission: Eine Gedenklandschaft, die sich vorrangig auf das politische System und die Repressionsapparate der DDR konzentriere – Ersteres stärker im DHM ausgeprägt, Letzteres in den Gedenkstätten Normannenstraße und Hohenschönhausen –, folge gewissermaßen „der Herrschaftslogik des SED-Regimes“. Der Kommission schwebt deshalb ein neu zu gründendes, von wechselnden Institutionen bespieltes „Forum Aufarbeitung“ in Berlin vor, das sich den Aspekten Gesellschaft und Widerstand widmen soll – und als entscheidendem Teilbereich dem „Alltag in der durchherrschten Gesellschaft“.

An der Konzeption störe ihn eigentlich nur eins, sagt Kommissionsmitglied Rainer Eckert: „Im Prinzip gibt es so ein Haus schon.“ Allerdings nicht in Berlin. Mit dem „Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig“ unternimmt die Stiftung Haus der Geschichte auf 7500 Quadratmetern Fläche eine alltagsorientierte Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Eckert, der das Haus leitet, betont: „Was die DDR-Herrschaft gefestigt hat, war nicht nur der Repressionsapparat.“ Entscheidend sei ein Geflecht aus sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, wirtschaftlicher Grundsicherung und sozialistischer Ideologie gewesen. Dieser Wechselbeziehung spürt das Leipziger Forum auf durchweg hohem musealen Niveau nach – indem es den widersprüchlichen DDR-Alltag mit exemplarischen Objekten illustriert. Da hängen etwa selbstgebastelte Empfangsanlagen fürs Westfernsehen direkt neben dem Schulformular, mit dem Eltern versicherten, ihre Kinder keinen Fremdsendern auszusetzen. Schwerpunkte der Ausstellung sind Opposition und Widerstand, für die der ehemalige Bürgerrechtler Eckert viele Exponate durch persönliche Kontakte zusammengetragen hat: etwa das Neonkreuz, das der DDR-Pfarrer Oskar Brüsewitz an seiner Kirche aufhing, bevor er sich 1976 selbst verbrannte, Wolf Biermanns erste selbstgebaute Gitarre oder den Adressstempel des Leipziger Neuen Forums.

Bleibt die Frage, wieviel der organisierte Widerstand mit dem Alltag des Durchschnittsbürgers zu tun hatte. „Natürlich wird es immer Besucher geben, die sagen: Das ist doch nur die Westsicht“, sagt Eckert. Er hoffe aber, gerade ostdeutschen Gästen vermitteln zu können, „dass es hier eine Tradition des Widerstands im Alltag gab, auf die wir stolz sein können“.

Während Eckerts Forum großzügig mit Bundesmitteln ausgestattet ist, schlägt sich eine kleinere Institution seit Jahren mit knapper Finanzierung aus der Brandenburger Landeskasse durch: das „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt. Die Ausstellung im Gebäude einer ehemaligen Kinderkrippe fällt naturgemäß weniger opulent aus als die in Leipzig, dafür legt Andreas Ludwig, der Leiter des Zentrums, erhöhten Wert auf seine Sammlung: „Wir sammeln beim Bürger: Jeder ist aufgefordert, uns zur Verfügung zu stellen, was für seinen Alltag wichtig war.“ Über 50 000 Objekte sind so zusammengekommen, mit denen das Dokumentationszentrum insbesondere Massenorganisationen und Wirtschaftsgeschichte der DDR beleuchtet – etwa mit einer aktuellen Sonderausstellung über die Konsumgenossenschaften. Auch hier wird – in einem nachgebauten Konsum-Laden – der Duft vergangener Zeiten verströmt, aber mit Ostalgie hat das für Ludwig nichts zu tun: „Das ist so ein Totschlagargument, das gegen jede nicht-politische Form der DDR-Aufarbeitung ins Feld geführt wird“, sagt er. „Aber die DDR-Erinnerung kommt ohne den Alltag nicht aus. Sehen Sie sich die politischen Protokolle der Honecker-Zeit an: stapelweise Papier, in dem absolut nichts drin steht.“ Auch für das neu zu gründende Forum in Berlin drängt Ludwig auf interpretative Offenheit: „Was nicht dabei herauskommen sollte, ist eine Ausstellung nach dem Motto: Das war die DDR.“

Sicher kein schlechter Gedanke – denn verhält es sich mit dem DDR-Alltag nicht letztlich wie mit seinem Duft? Jeder kennt ihn – aber was ihn ausmachte, dazu gibt es so viele Theorien wie DDR-Bürger.

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