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Kultur: Plastikmasse Mensch

Die Erben des Lego-Zeitalters: Seit dreißig Jahren regiert Playmobil im Kinderzimmer

Sie sind alle gleich. Playmobil-Figuren bestehen zu 95 Prozent aus Kunststoff und sind 7,5 cm groß. Sie können stehen, sitzen, liegen, greifen, den Kopf drehen. Sie haben bewegliche Arme und Beine. Aber keine Nase. Einen Spagat bringen sie auch nicht zustande, denn die Beine können nicht einzeln bewegt werden und auch nicht zur Seite. Daher sind die Figuren leicht breitbeinig. Damit können sie wenigstens reiten. Denn die Pferde haben eine Wespentaille, damit sie leicht breitbeinige Reiter tragen können. Die Figuren sind nicht nackt, aber so richtig angezogen wirken sie erst, wenn sie beispielsweise ein Schwert in der Hand halten und eine Kopfbedeckung tragen – etwa einen Cowboyhut, eine Pilotenmütze oder einen Bauarbeiterhelm. Die können auf eine Umlaufrille gesteckt werden, die in den Haaren zu finden ist. Playmobil-Figuren lächeln immer, ihr Gesicht wirkt wie ein Piktogramm. Punkt, Punkt, Strich. Fertig.

Also ziemlich simpel das alles. Wenn kommenden Monat wieder einmal der Deutsche Spielepreis vergeben wird, fragt man sich, was bloß den Reiz dieser Miniaturmännchen ausmacht, die seit 30 Jahren in den Kinderzimmern ihr stummes Regiment entfalten und kaum je kaputt gehen.

Das Licht der Welt erblickten sie 1974, dem Jahr, in dem der erste VW Golf vom Band lief und die erste Ikea-Filiale in Deutschland eröffnete. Manche sehen darin die drei Basisprägungen der zu dieser Zeit gerade heranwachsenden Generation. Und das vermeintliche Ende des Lego-Zeitalters: „Wer jemals ein Plastikhaus von Playmobil geschenkt bekam, für den war es albern, sich wieder die Mühe zu machen, dasselbe mühsam und weniger schön mit Legosteinen zusammenzubauen“, diagnostizierte Florian Illies und sah darin die „völlige Gleichgültigkeit der Generation Golf gegen Theoriegebäude jeder Art“ sowie ihren „Hang zur praktischen Philosophie“ gespiegelt. Nicht zu vergessen die generelle Neigung zu Traditionsbewusstsein und Konservativismus.

Matthias W. aus Overath ist 36 Jahre alt und interessiert sich für Geschichte. Welchen Wagen er fährt und woher er seine Möbel bezieht, wissen wir nicht, aber er baut zurzeit eine napoleonische Armee aus Playmobil-Figuren auf, die später einmal 50000 Soldaten umfassen soll. Ein Vorhaben, das Respekt verdient – vor kurzem konnte man das monumentale Vorhaben in einer Playmobil-Ausstellung in Speyer bewundern – und zeigt, wie kindliche Rollenspiele nahezu mühelos in die erwachsenen Planspiele historischen Bewusstseins überführt werden können. Konservativismus? Ja, aber mit modernem Antlitz. Denn Matthias W. hat nicht nur Legoland links liegen gelassen, sondern auch die alten Zinnsoldaten ihrer Daseinsberechtigung beraubt, um ihr Erbe sogleich in Form einer ewig lächelnden Truppe aus Plastik wieder auferstehen zu lassen.

Harald Schmidt, zum „großen Erzieher unserer Generation“ (Illies) ausgerufen, hatte es sowieso als erster begriffen und – ein alter pädagogischer Trick – die Bildungslücken seiner Zuschauer auf spielerische Weise, genauer: unter Zuhilfenahme des ihnen vertrauten Spielzeugs zu beheben versucht. Mit Wagners „Lohengrin“ fing es an, es folgte altgriechische Dramenkunst, auch „Hamlet“, ehe Schmidt etwa einen Monat vor dem Ende seiner Show wieder zum Musiktheater zurückkehrte: „Orpheus“ – ein hochsymbolisches Finale. Der betörende Sänger, dem niemand widerstehen konnte und dessen Gesang maßlose Reaktionen auslöste, zog sich, nach dem Verlust seiner Eurydike, von den Menschen zurück. Lächelnd.

Warum sich Playmobil-Figuren für solche Rollenspiele eignen, hat deren genialer Erfinder Hans Beck so erklärt: „Die Fantasie soll den Charakter bestimmen.“ Deswegen zeigen die Playmobil-Figuren auch keine Gefühlsregungen, verzichten auf Mimik und werden erst durch ein paar Accessoires, die sie steifgliedrig und umständlich mit sich herumschleppen, aus ihrer Neutralität befreit. Was also dem Außenstehenden zunächst wie eine Armee geklonter Krieger vorkommen mag, wird in spielpraktischer Wirklichkeit schnell zur ausdifferenzierten, individualisierten Masse Mensch, die selbst den Anforderungen hoher Theaterkunst genügt. Da sieht man einmal wieder: Auf Äußerlichkeiten kommt es gar nicht an.

Der Erfolg der Firma Geobra Brandstätter aus dem fränkischen Zirndorf, die Playmobil inzwischen weltweit in etwa 60 Länder exportiert, ist ungebrochen. Klar, da wirkt das Kindchenschema, der runde, überproportional große Kopf, der auch schon Comicfiguren wie den Peanuts zum internationalen Durchbruch verholfen hat. Nützlich war und ist sicher auch, dass man auf aktuelle Trends reagiert, wenn auch in Maßen: „Bonanza“ machte den Schauplatz Wilder Westen saloonfähig, „Star Wars“ die ScienceFiction-Figuren. Und mit dem Bibeljahr wurde die Arche Noah ausgeliefert, die als klobiges Schiffsungetüm die große Flotte schwimmender Nutzfahrzeuge erweitert.

Das wirklich Revolutionäre liegt aber auf einer anderen Ebene. Es ist die integrative Kraft des System-Spielzeugs Playmobil, die zu einer lustigen Vereinnahmung überlieferter Spielzeugformen im Kinderzimmer geführt hat: imitatorisch, eklektizistisch und geschlechtsneutral. So waren bei Playmobil schon recht früh Autos im Spiel, was Matchbox eine Menge Autonarren abspenstig machte. Irgendwann kam dann eine elektrische Modelleisenbahn hinzu, die Märklin Konkurrenz bescherte. Und die Ritter sind wie gesagt die Nachfahren alter Zinnfiguren. Die nostalgische „Spielwelt 1900“, die 1989 auf den Markt geworfen wurde, ist schließlich eine moderne Variante der Puppenstube. Gerade letztere verdeutlicht ein Phänomen, das noch immer nicht selbstverständlich ist: Mädchen und Jungen spielen mit dem gleichen Spielzeug – ohne Rechtfertigungsnot.

Mit dreißig Jahren ist man längst erwachsen. Und die Zeit ist auch an den Playmobil-Figuren nicht spurlos vorübergegangen: Sie sind nicht mehr ganz so schlicht wie früher, und die weiblichen Figuren dürfen inzwischen sogar Brustansatz zeigen. Was noch fehlt im Sortiment? Auf jeden Fall die antike Welt, vorstellbar etwa in Gestalt eines befestigten Römerlagers oder auch einer Galeere. Von der Ernüchterung, wie sie sich inzwischen bei der Generation Golf breit gemacht hat, ist bei Playmobil jedenfalls nichts zu spüren.

Siehe auch Felicitas Bachmann: 30 Jahre Playmobil. Heel-Verlag, Königswinter 2004. 160 Seiten, 24,95 €.

Oliver Fink

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