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Kultur: Plaudert, gelehrte Herren

DISKUSSION

Platon, Spinoza, Benjamin, Steiner und Nietzsche marschieren im Programm-Prospekt zur Tagung der Evangelischen Akademie Loccum auf. Wird hier womöglich, so steht zu befürchten, die Postmoderne vor den Altären der Klassik über „Leidenschaft und Kalkül“ meditieren? Und wäre es nicht arg weit vom Auftritt der Götter zu den aktuell Stichworten – Bildungspolitik, erweiterter Kulturbegriff und Hochkultur?

Nichts dergleichen. Studienleiter Burmeister hat bei der Auswahl der Referenten glücklich gewählt. Erst plaudert Mihaly Vajda aus Debrecen mit ungarischem Akzent und weisem Charme über Begierden, Triebe, Affekte und Vernunft. Dann Friedrich Dieckmann: Nicht so kräftig vom Podium, aber in den Diskussionen blitzt geballtes Wissen über die Entstehungskämpfe von Kultur auf – und über den immerwährenden Theaterdonner im Kunstbetrieb. Schließlich als eigentliches Ereignis das Trio der Jungen: Toni Tholen, Heike Schmitz und Wolfgang Bock. Tholen fasziniert mit gedanklichen Blicken auf Simmel, Broch und die Fähigkeit des homo oeconomicus, Lebenskunst in den Alltag zu integrieren. Schmitz erläutert, wie unser gewohnter kultureller Raum in unbekannte Richtungen auseinander stürzt. Bock lässt gedankliche Essenzen von Steiner, Aquin, Freud, Brecht und Benjamin für die These paradieren, die Positionierung zur Massenkultur sei die Nagelprobe jedweden kulturwissenschaftlichen Diskurses. Sinnlicher ausgedrückt: Es gelte gleichsam, Naddel gegen ihre Liebhaber zu verteidigen.

Kein Wunder – ein Einvernehmen darüber, was unter Kultur, Hochkultur oder Kunst zu verstehen ist, ist auch in Loccum nicht zu erzielen. Doch das Verhältnis, dies immerhin ein Befund, zwischen elitärer Kunst und Massenkultur verdichtet sich. Dazu eine Anekdote. Als Erich Fromm mit seinem Frankfurter Institut zu Beginn der dreißiger Jahre politisch links stehende Haushalte untersuchte, nahm er auch deren Wohnungseinrichtungen in seine Anamnese auf. Und, siehe da, mit der linken Gesinnung vertrugen sich aufs Prächtigste die röhrenden Hirsche überm Sofa. Aus diesem Ergebnis schlossen die Forscher, es sei besser, das Institut einzupacken und in die Vereinigten Staaten zu retten. Die einzige soziologische Untersuchung, so Bock, die mit einem praktischen Ergebnis endete.

Bocks nächster Verweis gilt der Pisa-Studie: Länder wie Finnland, die musische Fächer in den Schulen hoch schätzen, bringen die am besten gebildeten Kinder hervor. Das korrespondiert mit Dieckmanns Satz, ohne Bewusstsein eines Erbes sei Kultur nicht zu denken. Menschen brauchen höchstentwickelte Kunst, um sich die verdichteten Erfahrungen individueller und gesellschaftlicher Subjekte anzueignen.

Fazit: Dieses Land braucht erstens ein Einvernehmen darüber, dass Kunst als Erkenntnismöglichkeit gelehrt und gelernt werden muss. Es ist zweitens absurd, dass eine Kulturpolitik, die Gesellschaftspolitik sein will, dies nicht problematisiert. Stattdessen zieht sie gegen Institutionen zu Felde, die als Voraussetzungen für die allgemeine Bildung dringend gebraucht werden.

Edda Rydzy

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