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Kultur: Pleite, aber es passt

Sie nennen sich Haferflocken Swingers und spielen Trash-Jazz. Wie ein Sextett auf der Bühne lebt – und stirbt

Manche Lebensträume sind günstig. Florian Metzger hat es durchgerechnet, seiner kostet 500 Euro im Monat. Und was hat er nicht alles schon ausprobiert? Malerei studiert, als Designer gearbeitet, gekocht, eine Firma für Spielprogrammierung gehabt. Jetzt kehrt er jeder sicheren Einkommensquelle den Rücken und zieht in ein Zimmer mit Kohleofen und ohne Kühlschrank, Toilette auf dem Hof. Er befreit sich von allem, weil er gemerkt hat, was für ihn wirklich zählt: Musik.

Auf der Bühne heißt Florian Metzger „Flocko Motion“ und trägt wechselnde Kostüme, meist Anzug, Strohhut und indische Tücher. Er spielt den Kontrabass und sein grölender Bariton klingt nach betrunkenem Matrosen. Konzerte seiner Zigeunerjazz-Band Les Haferflocken Swingers sind Freakshows. Da ist Talis Mortalis, der Banjo, Gitarre, Saxofon und Kazoo spielt. Manchmal hängen alle Instrumente zugleich an seinem Körper. Über seiner Mütze klemmt eine Taucherbrille, auf der Nase liegt eine Nickelbrille mit viel zu dicken Gläsern, über die Mortalis hastige Blicke zur Seite wirft, um seinen Mitmusikern Zeichen zu geben. Nach vorne blickt er nie. Andrea Scarlett Roseé bläst in Klarinette und Saxofon, beim Singen wendet sie den steifen Charme einer Jazz-Diva augenzwinkernd ins Ironische. Wenn sie ihr Kleid hebt und die Druckknöpfe ihres Schlüpfers öffnet, unter dem sie eine alte Strumpfhose trägt, gibt es im Publikum kein Halten. Vor Lachen.

Und schließlich ist da Ophélie Tam Tam, die mit angeschminkten Katzenwimpern und einer Krone aus Papierblüten hinter ihrem Schlagzeug sitzt, kokett blinzelt und zwischen den Stücken aufspringt, um in französischem Akzent zu rufen: „Buy our new CD!“ Der trockene Klang ihrer Drums sorgt mit dafür, dass die Haferflocken Swingers auf der Bühne klingen wie achtzig Jahre alte Swing- Schallplatten. Wenn Talis Mortalis seinen Nuschelgesang ins Mikro presst, lässt sich nicht entscheiden, welche Sprache er verwendet. Das ist auch nicht so wichtig. Bei einem Deutschen, einem deutschen Letten, einer Kanadierin, zwei Franzosen und einem Israeli ist die einzige Sprache, die jeder versteht, Englisch.

Die Haferflocken Swingers machen Trash, Slapstick, Kabarett. Flocko Motion und Talis Mortalis haben vor fünf Jahren begonnen, Klezmer zu spielen, ein Genre, mit dem es sich laut Mortalis verhält wie mit Punk: „Drei Akkorde, und du kannst alles spielen.“ Damals nannten sie sich noch Rabbiz of Breaktanz, und wenn sie auf der Straße spielten, hielten sich Passanten die Ohren zu. Inzwischen verfügen die Haferflocken über ein Repertoire von über 50 Liedern, haben im King Kong Club und auf Festivals gespielt und im Sommer in Amsterdam ihre erste CD aufgenommen. Neue Stücke testen sie aber noch immer zuerst auf der Straße. Bei Auftritten auf der Wrangel- oder Bergmannstraße verdienen sie inzwischen mehr als auf Konzerten. Und sie spielen viele Konzerte. Spontane Auftritte auf Partys eingerechnet, ist die Band fast täglich zu sehen.

Durch zahllose Kontakte können die Haferflocken jederzeit spontan einen Auftritt „klarmachen“, oft in selbst verwalteten Theatern wie dem „Gaia“ in Neukölln, das zugleich auch Künstlerhotel ist. Auch ohne Flyer und Erwähnungen in Stadtmagazinen kommen mehr Gäste, als hineinpassen, die meisten sind Studenten, und fast alle machen selbst was mit Kunst. Auch für jeden der sechs Musiker ist Musik das Wichtigste. Drei von ihnen wohnen im „Funhouse“, einem Künstlerhaus im Gräfe-Kiez, und verzichten auf jeden Luxus, um sich auf nichts anderes konzentrieren zu müssen als Musik. Talis Mortalis bringt es auf den Nenner: „Man ist pleite, aber es passt. Ich werd überleben.“ Er fühlt sich sogar besser, wenn er kein Geld hat. „Sonst geb ich’s für Scheiße aus.“ Eine Vorzeige-Künstlergeschichte aus der Hauptstadt des Prekariats. Zukunftssorgen scheint hier niemand zu haben. „Du musst ins kalte Wasser springen“, sagt Motion, „dann klappt’s auch.“

Einem Sprung ins kalte Wasser gleicht auch die Bühnenshow, jedes Mal eine Sprengladung an Unbekümmertheit, guter Laune und Spontaneität. „Wir improvisieren die ganze Zeit“, erzählt Andrea, „niemand weiß wirklich, was passiert“. Jeder singt mal, die anderen geben den Backgroundchor. Oft werden kleine Sketche eingebunden oder ein Zauberer kommt für eine Nummer auf die Bühne. Die Haferflocken sind mehr als eine Band, sind Freundeskreis, Künstlerkollektiv und Theatergruppe. Sobald Talis Mortalis ein neues Trash-Theaterstück geschrieben hat, spielen die anderen selbstverständlich mit. Es gibt keinen Grundkonflikt und keinen Spannungsbogen, Geschlechterrollen werden travestiert, und wenn es blutet, riecht man den Rote-Beete-Saft. Am Ende sterben alle.

Talis Mortalis reagiert energisch, als Andrea sich „Entertainer“ nennt. „Das ist kein Hobby. Wir leben und sterben auf der Bühne.“ „Wir unterhalten uns selbst“, schlägt Andrea vor. „Nein“, stellt Mortalis klar, „das ist kein Entertainment. Es ist mehr.“ Fest steht, dass die Haferflocken jedes Klischee von Unterhaltung dekonstruieren und dabei verdammt unterhaltsam sind. Andrea zitiert ihr Idol Ella Fitzgerald: „It ain’t what you do, it’s the way how you do it.“ Nicht was du tust, zählt, sondern wie du es tust.

Kommende Woche gehen die Haferflocken Swingers wieder auf die Straße – nach Sizilien, für zwei Monate. Das erspielte Geld reicht immer, um solche Reisen zu finanzieren. „Du fährst mit 20 Euro los und kommst mit 20 Euro zurück“, sagt Flocko Motion. Und zu Hause wartet ein Zimmer auf dem Standard von 1930.

Les Haferflocken Swingers, am 8. November, 20 Uhr, im Frau Mittenmang (Rodenbergstr. 37, Prenzlauer Berg); am 10. November, 20 Uhr auf einem Swingband- Battle im Zielona Gora (Friedrichshain). Informationen: www.haferflocken.net.

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