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Kultur: Poesie des Betons

Der Fotograf Hans-Christian Schink zeigt im Martin-Gropius-Bau sein „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“

Zunächst sieht man nur Baustellen. Autobahnen mit monumentalen Betonstelen, graue Brücken, massiven Lärmschutzwänden. „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ lautet der hintersinnige Titel der im letzten Jahr abgeschlossenen Serie von Hans-Christian Schink, die nun im Martin-Gropius-Bau zusammen mit Fotografien aus Los Angeles zu sehen ist. Acht Jahre hat der 1961 in Erfurt geborene Fotograf die Umwälzungen im Osten Deutschlands verfolgt: von Baugruben, Betonierungen und neuen ICE-Trassen bis zu anschließenden Versuchen der Renaturierung.

Damit dokumentiert er nicht nur ein Stück deutsch-deutsche Geschichte. Er entdeckt auch die Schönheit dieser zubetonierten Welt: Obwohl auf den Bildern fast immer Winter ist, der Himmel in seiner farblosen Leere unendlich weit und die domestizierte Natur karg und leblos erscheinen, faszinieren die Bauten in ihrer skulpturalen Unberührtheit. Schink sucht in Tunneln oder Gleisverläufen die perfekten Fluchtpunkte, lässt Gerüste unter neuen Brücken wie filigrane Steckspiele erscheinen und verleiht seinen Fotografien mit dem zeitlos-diesigen Himmel und den tiefen Horizonten eine ungeheure Weite. Man denkt an die Perspektiven eines Caspar David Friedrich.

Höchst selten nur verirrt sich ein Lebewesen in diese Szenarien; der einzige, unter einer Betonbrücke dahin gleitende Schwan verstärkt noch den Eindruck totaler Stille. Menschen sind nie zu sehen – um so mehr dafür die Spuren, die sie hinterlassen.

Das gilt auch für die zweite Serie im Gropius-Bau, die größtenteils während eines dreimonatigen Stipendiums der Villa Aurora in Los Angeles entstand. Schink, der Fotografie in Leipzig studiert hat, ging bewusst an einen Ort, zu dem er kaum einen Bezug hatte – und warf erst einmal alle im Vorfeld entwickelten Konzepte über Bord. Zu blau war der Himmel für die Melancholie seiner Bilder, zu wenig greifbar die ausufernde kalifornische Stadt. Erst als der Künstler an den Grenzen der Metropole entlangfuhr, dort, wo Landschaft und Stadt nicht mehr zu unterscheiden sind, und begann, gegen die Sonne zu fotografieren, fand er einen Zugang zu dieser Stadt.

In der Ausstellung bemerkt man den Übergang zunächst kaum: Mit ihren blassen Himmeln gleichen die amerikanischen Aufnahmen denen aus der ostdeutschen Peripherie – mit Ausnahme der Palmen, Agaven und amerikanischen Straßenschilder. Schink wird zum Erzähler: Gleich mehrfach taucht die US-Flagge auf, sogar der „Hollywood“Schriftzug in den Bergen ist zu erahnen. Aber er komponiert seine Aufnahmen ebenso penibel wie die Verkehrs-Bilder und verfällt nie ins Anekdotische.

Für die 22 Fotografien der Los-Angeles-Serie bringt er 15000 Kilometer hinter sich, kehrt mehrfach an die gleiche Stelle zurück, bis er den Moment erwischt, an dem niemand zu sehen ist. Schink jagt nicht nach dem perfekten Schnappschuss, Störendes entfernt er nicht in der Nachbearbeitung. Stattdessen wartet er wie ein besonnener Sammler und lässt sich nicht einmal vom überwältigenden Blick auf das nächtliche Los Angeles verführen. Stattdessen vergrößert er bei seinen Nachtbildern aus der Panoramaaufnahme Ausschnitte von grell farbigen Lichtern in der Dunkelheit – bis die Motive sich in Pixel auflösen. Gerade mit diesen Bildern eröffnet er sich einen anderen Umgang mit den technischen Möglichkeiten seines Mediums.

Es gibt Künstler, bei denen man heute schon zu wissen glaubt, wie ihre Werke in zehn Jahren aussehen werden. Bei anderen ist man unglaublich neugierig, wie es weiter geht mit ihrer Kunst. Zu ihnen gehört ohne Frage der Fotograf Hans-Christian Schink.

Martin-Gropius-Bau, bis 5. Juli, Mi bis Mo, 10-20 Uhr. Der Katalog kostet 20 Euro.

Katrin Wittneven

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