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IS-Kämpfer in Deir ez-Zor (Syrien) . Dieses Standbild entstammt einem undatierten Propaganda-Video, welches von der Terrormiliz Islamischer Staat am 19.05.2017 ins Internet gestellt wurde.

© Uncredited/Militant Photo/dpa

Poesiefestival Berlin: Wie klingt die Sprache des Terrors?

Auf dem Berliner Poesiefestival diskutierten Lyriker, Sprach- und Literaturwissenschaftler über das komplexe Wechselspiel von Poesie und Propaganda.

In den zwanziger Jahren unternahm Bertolt Brecht einmal das Experiment, das Kommunistische Manifest in Hexameter zu übertragen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Und nicht nur Stalin, Mao Zedong und der Albaner Enver Hoxha schrieben Gedichte, sondern auch untere Chargen, wie der Kreisführer des Stahlhelm in Kyritz, ein gewisser Dr. von Eickstädt, versuchten sich im Verfassen von Versen: „Und sollte zu Gottes Armenhaus / Die deutsche Erde werden / Wir stellen den letzten Jungen heraus / Wir opfern die letzten Herden.“

Schnittmengen zwischen Poesie und Propaganda hat es also von jeher gegeben. Doch wie gestaltet sich dieses Verhältnis in einer Welt, in der die Sprachflüsse selbst in Diktaturen nicht mehr so reguliert und kontrolliert werden können, wie diese sich das vorstellen, sondern digital flottieren? Und wo der politische Terror, wie der in Casablanca geborene und in Kapstadt lehrende Rhetorikprofessor Philippe-Joseph Salazar in seinem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buch „Die Sprache des Terrors“ zeigt, seine eigenen Evangelien schafft, indem er die Wortgewalt und den poetischen Raum des Koran okkupiert und in einer Art linguistischer Unterwanderung den Diskurs radikalisiert?

Das Kalifat schafft „Weltliteratur“

Salazar war Gast auf dem vom Haus der Poesie alljährlich ausgerichteten Poesiefestival, das unter dem Oberthema „Europa - Fata Morgana“ auch das überaus komplexe Wechselspiel zwischen Lyrik und Propaganda untersuchte. Wir würden im Westen zwar bestimmte Phänomene des Terrors wahrnehmen, des islamistischen zumal, mahnte Philippe-Joseph Salazar, seien allerdings nicht in der Lage, dessen Metaphorik, seine rhetorischen Figuren, die Art der Analogbildung zu entziffern. Das Kalifat sei trotz der Brutalität der äußeren Form im Begriff, gleich eine ganze „Weltliteratur“ zu schaffen, eine multidimensionale und multimediale Bibliothek, die auch in den Westen einwandere.

Doch stehen sich Poesie und Rhetorik, fragte die Berliner Lyrikerin und Buchpreisgewinnerin Ursula Krechel, nicht eigentlich als feindliche Brüder gegenüber, ist nicht jede Propaganda Tod der Poesie? Gibt es in den Niederungen der Huldigungsgedichte und Hymnen wie „Heil Dir im Siegerkranz“ oder „Aus Ruinen auferstanden“ überhaupt ein poetisches Surplus? Andererseits ist ohne scharfe Gegensätze, ohne Rhythmus und ohne den poetischen Bildvorrat gute Politpropaganda – wie übrigens auch gute Werbung – gar nicht denkbar. „Ein poetischer Funke genüg", analysierte Ursula Krechel, „um das Propangas der Propaganda zu entfachen“.

Zwischen Massenmedien, Populismus und Rechtsradikalismus besteht eine unheilige Allianz

Zu welchen Austauschprozessen es dabei kommt, verfolgte die Bochumer Politikwissenschaftlerin Paula Diehl am Beispiel rechtspopulistischer Diskurse. Zwischen den Massenmedien mit ihren Aufmerksamkeits- und Erregungsregeln und dem Populismus und dem Rechtsradikalismus bestehe eine unheilige Allianz. Die Art, wie rechtsradikale Botschaften in den populistischen Diskurs einsickern und von den Massenmedien in Umlauf gebracht werden, erzeugt Überbietungsfiguren und unterkomplexe, emotionale Narrative, die das Volk in Opposition zur Elite bringen. Doch welcher Raum eröffnet sich in diesem Kontext für die Poesie? Welches Schmieröl – „Mayonnaise und Marseilleise“, fragte die Moderatorin Eva Geulen pointiert, stellt sie zur Verfügung?

Vielleicht ist es ja das eigentümliche Wesen des „lyrischen Ich“, wirft der Berliner Literaturwissenschaftler und Übersetzer Josef Vogl launig in die Runde, das sich der politischen Propaganda zur Verfügung gestellt hatte. Mit seinem leicht erregbaren Herzen und seiner „affektiven Biegsamkeit“ will es spätestens seit dem Sturm und Drang nicht alleine gelassen werden und gerät in „beseelter Gemeinschaft“ in „verallgemeinerungsfähige Wallungen“. Seine Suspendierung nach dem Ersten Weltkrieg durch den „besseren“ Teil der Lyrik mit ihren Synkopen und abweichenden Rhythmen bedeutet aber nicht, dass es sich nicht weiter herumtreibt.

Selbst Bertolt Brecht, der um die Versachlichung lyrischer Emotionen bemüht war, hat sich seinem Pathos in den Lehrgedichten nicht immer entzogen.

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