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Wettkampf-Dichter: Julian Heun ist Berliner Poetry Slam-Meister 2011.

© David Heerde

Poetry Slam: Neues vom Ameisenmann

Bei den Berliner Stadtmeisterschaften im Poetry Slam wurde es im Finale erstaunlich politisch.

Sobald jemand über Politik spricht, vernehme er nur meditatives Wellenrauschen, sagt Karsten Lampe. Spannender fände er, wenn Merkel und Gabriel sich mit überdimensionalen Wattestäbchen um den richtigen politischen Kurs prügeln würden, wie es die dauergewellten Solarium-Kämpfer der Gameshow „American Gladiators“ früher getan haben. Das Publikum beim Finale der Berliner Poetry Slam Stadtmeisterschaften 2011 lacht zustimmend. Nico Semsrott („Zehn Sätze ohne Witz und dann ein Witz“) beginnt mit viel Kapitalismuskritik und hört mit einer Blondine auf, die auf einfache Fragen beim Schwangerschaftstest hofft. Verwirrung mischt sich in der Volksbühne mit belustigtem Grinsen.

So richtig zum Toben bringt die Menge Julian Heun. Basiert sein Vortrag zunächst auf der lustig-asiatischen Aussprache des Wortes „Ameisenmann“ im Stile des legendären Gurus Mr. Miagi aus den „Karate Kid“-Filmen, kommt der Tiefgang zusammen mit der Gesellschaftskritik durch die Hintertür. Der 22-Jährige ist neuer Stadtmeister – nach einem Finale, das vom Turbo-Krisenjahr 2011 geprägt war. Das Private war es vor langer Zeit, heute wird das Lyrische politisch.

„Der Ameisenmann ist ein Symbol für einen unerträglichen Opportunisten“, sagt Heun über seinen Siegertext, den er beim „Rumflachsen mit Freunden“ erdichtet habe. Genau wie die beiden anderen Finalisten packt Heun die schwerer zugänglichen Themen im letzten Durchgang aus, als es darum ging, den Siegerpokal zu holen, einen von Slam-Organisator Wolf Hogekamp persönlich angemalten roten Hammer. In der Vorrunde dagegen gab es eine gemischte Themenplatte aus lustig Persönlichem, absurd Privatem und gereimt Elaboriertem. Slammer „Hötsch“ entschuldigt sich sogar geradezu für seinen melancholischen Beitrag über eine verflossene Liebe. Die Lacherwartung des Slam-Publikums ist schließlich nichts, was ein ambitionierter Poet ignorieren sollte.

Hogekamp, der zusammen mit Marc-Uwe Kling durch den Abend führt, sieht eine „zunehmende Professionalisierung“ der Slam-Szene. Den von elf Berliner Slams ins Rennen geschickten Poeten bietet er eine Veranstaltung, bei der nichts anderes als die Texte selbst in den Vordergrund drängten. Geradezu puristisch kommt die Stadtmeisterschaft daher, außer einem Mikrofon und dem viel zu grellen Licht auf dem Gesicht des Poeten gibt es keinerlei technischen Schnickschnack, noch nicht einmal der für abendfüllende Massenevents fast schon obligatorische musikalische Beitrag erklang. Vielleicht ist es deshalb kein Wunder, dass die vom Publikum auf die vorderen Plätze geklatschten – und im Stechen sogar mit den Füßen gestampften – Poeten nicht zu den wenigen Experimentierfreudigen gehören, die den gewohnten Slam-Rahmen aufbrechen.

Der New Yorker Paul Salamone überrascht ausgerechnet bei dieser ultimativ der deutschen Wortkunst verpflichteten Dichterschlacht mit einem Beitrag auf Englisch mit „denglischen“ Elementen. „Erst seit ich die kulturellen und sprachlichen Gegensätze zwischen Deutschland und den Angelsachsen thematisiere, läuft es gut“, sagt Salamone, der seit vier Jahren in Berlin lebt und mit einer Theorie über den kompletten Wiederaufbau der Berliner Mauer konfrontiert, damit sich die Touristenhorden endlich nicht mehr über die mickrigen Mauerreste beschweren, die das wiedervereinte Berlin ihnen am ehemaligen Todesstreifen präsentiert.

Auch „Konserve“ bricht mit freiem Oberkörper und barfuß aus der üblichen Vortragsform aus, während er zur Erschaffung eines „neuen Mannes“ aufruft. Die zwei Frauen im Teilnehmerfeld sprechen schnell und emotional; nach der Vorrunde ist für sie Schluss. Für Julian Heun dagegen geht es weiter: Er vertritt Berlin bei den Deutschen Meisterschaften 2012 in Heidelberg und plant die Veröffentlichung seines ersten Romans.

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