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Politthriller: Und der Engel spielt dein Lied

Raúl Argemís Politthriller "Und der Engel spielt dein Lied" ist ein Genrehybrid mit Überraschungen.

Es beginnt wie im Western: Zwei Männer wollen miteinander abrechnen. Nachdem er acht Jahre im Gefängnis gesessen hat, trifft El Negro auf seinen ehemaligen Chef, den Polaco. El Negro glaubt, er sei verraten worden. Zumindest hätte ihn der Polaco aus dem Knast holen können. Dieses freudlose Wiedersehen zieht sich wie eine Filmszene in mehreren Schnitten durch Raúl Argemís Roman „Und der Engel spielt dein Lied“. Unterbrochen wird es von Rückblenden, die klären, was bisher geschah.

Dem Western-Intro zum Trotz ist Argemís Roman vor allem ein ausgezeichneter Krimi, der formal und inhaltlich viel bietet. Er erzählt von argentinischen Kleinkriminellen, der Militärdiktatur Jorge Rafael Videlas und ihrem Terror gegen Oppositionelle sowie von der Geschichte der argentinischen Einwanderungsgesellschaft.

Dass diese Großthemen nur en passant auftauchen, ohne deswegen weniger eindrücklich zu sein, gehört zur Stärke des Romans. In seinem Zentrum steht jedoch El Negro und das Handwerk der kleinen Delinquenten. Da der Staat Videlas ins illegale Geschäft drängt, insbesondere in das mit Drogen, wird der Markt für Normal-Verbrecher kleiner.

Der Polaco und seine Leute müssen sich arrangieren, sie operieren unter Duldung von Polizei und Militär oder kooperieren mit ihnen. Diktatur und Verbrechen bilden so die schönste Allianz. Die eigentlichen Gegner des Militärs sind die Oppositionellen, die von Videla gefoltert und hingemetzelt werden. El Negro war im Gefängnis in Kontakt mit Guerilleros gekommen, bewahrte aber Distanz. Zum Erkenntnisgewinn der Lektüre gehört, dass selbst in einer Diktatur wie der argentinischen zwei Welten nebeneinander existieren können: eine auf den ersten Blick unpolitische, in der eine weltweit umjubelte Fußball-WM stattfindet.

Und eine politische, in der Menschen verschwinden und aus Flugzeugen in den Río de la Plata geworfen werden. Dass Argemí die politische nur andeutet, ist umso bemerkenswerter, als er selbst zur Guerilla gehörte und 1974 inhaftiert wurde. Erst nach dem Übergang Argentiniens zur Demokratie kam er 1984 frei. Seitdem arbeitet Argemí als Journalist und Schriftsteller. Seit 2000 lebt er in Barcelona.

Ebenso beiläufig wie die politische Geschichte erzählt Argemí die der unterschiedlichen argentinischen Herkünfte. Dass seine Figuren El Polaco oder La Paraguaya heißen, hat seinen Grund: Argentinien ist ein klassisches Einwanderungsland. Neunzig Prozent der Argentinier stammen seit der großen Einwanderungszeit zwischen 1880 und 1930 von Italienern, Spaniern, Deutschen oder Polen ab. In den letzten Jahren kommen Migranten vor allem aus lateinamerikanischen Nachbarländern und aus China.

Polcaos Vater war mit einem Freund, beides polnische Juden, nach Buenos Aires gekommen, wo sich ihre Wege trennten – der eine führte in die Kriminalität, der andere in den politischen Widerstand. Der Krimiplot ist unspektakulär, ohne unglaubwürdig zu sein. Es geht um Drogendeals, Prostitution und eine Frau zwischen zwei Männern. Entscheidend ist, dass Argemí Politik und Kulturgeschichte subtil in den Plot integriert. Und mit einer ausgeklügelten Zeitstruktur und raffinierten Perspektivwechseln erzählt. Nicht zu vergessen: Der Western-Showdown hält in diesem Genrehybrid auch noch eine Überraschung parat.

Raúl Argemí: Und der Engel spielt dein Lied. Roman. Aus dem Spanischen von Susanna Mende. Unionsverlag, Zürich 2010. 192 S., 16,90 €.

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