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Pop-Art: Experiment Glauben

Wiederentdeckt: Das Kölner Museum Ludwig zeigt die Pop-Art der Ordensschwester Corita Kunst im Wettbewerb mit den Farben der Großstadt.

Seltsames verleitet zum Scherz: „Treiben Sie hilflos in den Weiten der Avantgarde? – Sister Corita bietet Halt und Orientierung!“ Tatsächlich irritiert die Vorstellung, dass ausgerechnet eine Ordensschwester aus Los Angeles die Zusammenhänge von Lebenspraxis, Kunst und Politik in seltener Prägnanz vermitteln konnte. Ein wenig scheint es, als habe sich das Kölner Museum Ludwig auf undogmatische Lehrmeister der Wahrnehmung und des Verstehens kapriziert. Zur bis zum 29. Juli verlängerten Tomas- Schmit-Ausstellung gesellt sich nun der Einblick in das Schaffen einer hierzulande weitaus unbekannteren Figur der späten Moderne: Sister Corita. Der im Namen repräsentierte Stand erweckt vielerorts jene unangenehme Neugier, die ansonsten um kunstschaffende Psychatrieinsassen kreist.

Das Besondere an Sister Corita erschließt sich nicht durch ihre Tracht, noch wäre ihr Werk auf diese zu reduzieren. Gleichwohl steht sie für dramatische Wendungen in den Biografien von Mary Corita Kent und des Ordens, als dessen Mitglied sie berühmt wurde. Als 18-Jährige trat sie der Immaculate Heart Community bei. 1848 in Gerona begründet, begleitete der Orden seine spanischsprachige Gemeinde an die amerikanische Westküste. Ab den zwanziger Jahren löste er sich aus der ethnischen Bindung, so dass Frauen wie die irischstämmige Corita beitreten konnten.

Mit Abschlüssen in Kunstgeschichte an der ordenseigenen Kunstschule sowie an der Universität von Kalifornien begann sie in den fünfziger Jahren ihre Lehrtätigkeit am Immaculate Heart College. Der Tatendrang ihrer Institutsleitern Magdalen Mary motivierte sie zu Experimenten in Lehrpraxis und eigenem Kunstschaffen. „Experimenteller Tatendrang“, das Credo der sechziger Jahre. Das Zweite Vatikanische Konzil trug diese Aufbruchstimmung in die Kirche hinein. Coritas Orden öffnete sich dieser Erneuerung, traf auf regionalen klerikalen Widerstand und staunende weltliche Anerkennung.

In diesem Klima entstanden wie aus dem Nichts die in Köln gezeigten abstrakten Drucke aus Day-Glo-Farben und typografischen Elementen. Die zweigeteilte Ausstellung präsentiert einen Teil der Werke inmitten der Pop-Art-Sammlung des Ludwig Museums und lässt sie in unmittelbarer Nähe zu Warhol gut aussehen. Der Gedankengang scheint klar: Ein an der späten, modernen Avantgarde geschulter Blick für Formen und Oberflächen trifft auf die Popkultur der Zeit.

Coritas Sprache vermittelt zwischen neuem Testament und aktuellem gesellschaftlichen Geschehen, daneben verknüpft sie Großgelettertes mit umfangreichen handschriftlichen Sequenzen, oft Zitaten aus der musikalischen Popkultur. Ihre Quellen reichten von den Beatles und Jefferson Airplane bis hin zu so unbekannten Bands wie Spanky & Our Gang, von denen sie einen vollständigen, seinerzeit heftig umstrittenen Text in eine Arbeit einfügte.

Im religiösen Kontext erscheinen diese Drucke wie ein Zurück zum Abbildverbot der Zehn Gebote, eine trotz ihres Appellcharakters stille Wendung zu Wort und Form. Im Wettbewerb mit den Farben und Werbeslogans der Großstadt schuf Corita ihre Arbeiten, die schließlich auch Menschen zeigten – als manipulierte Reproduktionen von Pressefotos.

Das Religiöse war auch in ihrer Lehrtätigkeit gegenwärtig. Besucher sollten sich die Zeit nehmen, Baylis Glascocks auf einem Monitor flimmernden Film „On Teaching and Celebration“ anzusehen. Er übertrifft beinahe die Bilder, da er Coritas Strategien verdeutlicht. Die hellwache Lehrerin mit dem offenen Lächeln sprach und agierte so klar wie konsequent. Dass sich heutige Künstlergrößen wie Ed Ruscha und Mike Kelley auf Corita berufen, verwundert keinesfalls. Es ist bedauerlich, dass die englischsprachigen Originale nicht einmal untertitelt wurden, geschweige denn, dass ein Katalog in deutscher Sprache vorläge.

So verpasst mancher, wie Corita Theorie unmittelbar ins Leben übersetzte. Sie lud Größen verschiedenster Disziplinen, darunter Buckminster Fuller, Jean Renoir, Alfred Hitchcock oder John Cage ein, um vor ihren Klassen zu sprechen. Und sie formulierte einprägsame Maximen: „Siehe alles als ein Experiment“, „Hab Selbstdisziplin“, „Beginne nie mit einer inhaltlichen Idee, konzentriere dich zuerst auf Formen und Farben oder worauf auch immer dein Interesse stößt“.

Kein Wunder, dass sie bald ein Star der Lehre wurde. Doch all das behagte ihr nicht; sie zog sich zurück und verließ 1968 den Orden, der bis heute auf ihre Leistungen verweist. Nur zwei Jahre nach ihrem Ausstieg folgte auch der Orden den Prämissen der eingeforderten, gleichwohl umstrittenen Liberalität und öffnete sich für Männer und Frauen aller Konfessionen. So liegt es heute nahe, dass die evangelische Kirche die Ausstellung bezuschusst – immerhin hat Coritas Bild- und Text-Ästhetik dort die besseren Abnehmer gefunden. Wo der Vatikan gerade mit voller Kraft hinter das Zweites Vaticanum zurückrudert, können Einzelgänger wie Sister Corita dort nicht länger auf Gegenliebe hoffen. Dafür dürfen wir sie nun im Kreise der Kunstgeschichte begrüßen, nicht nur als Pop-Künstlerin, sondern als eine der seltenen Vertreterinnen dezidiert christlicher Kunst in der Avantgarde des 20. Jahrhunderts.

Museum Ludwig Köln, bis 2. September. Begleitbuch: Julie Ault, Come Alive! The Spirited Art of Sister Corita. Four Corner Books, London 2006, 29 €.

Oliver Tepel

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