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Kai Müller.

© Kai-Uwe Heinrich

Blog Simple: Eddie Argos und Paddy Moloney lesen Fußnoten der Geschichte

Tagesspiegel-Redakteur Kai Müller legt eine neue Popkolumne auf. In der ersten Folge geht es um unmusikalische Musiker, den Tag, als Conny Kramer starb, und irische Ex-Pats.

Blog Simple
"The world is full of complainers.
But the truth is, nothing comes with a guarantee.
You’re on your own" 

Er ist der unmusikalischste Musiker, den es gibt, aber ein wundervoller Beifahrer. Er gibt keine Ruhe, bis der richtige Radiosender eingestellt ist. Quasselt in einer Tour. Dreht das Radio lauter, um beim Reden keinen Song zu verpassen. Und kurbelt zum Rauchen das Seitenfenster herunter, so dass das Radio noch lauter sein muss. Die Rede ist von Eddie Argos, dem Sänger der britischen Neopunk-Band Art Brut. Wobei Sänger nicht ganz trifft, was er Eddie Argos mit seinem Mikrophon macht. Eigentlich spricht er die ganze Zeit bloß hinein, rezitiert Gedichte und erzählt seltsame Geschichten, in denen er selbst die Hauptrolle spielt, während seine Begleitmusiker im Hintergrund einen Song spielen. Er ist also einer dieser sympathischen Burschen, die nichts richtig können, aber mit großer Hingabe.

Ich wäre gerne dabei gewesen, als er mit seiner Freundin durch Kalifornien fuhr und „Jimmy Mack“ im Radio lief, ein Song von Martha & the Vandellas. Der Legende nach soll sich Eddie gar nicht mehr eingekriegt haben, so verlogen fand er die Soul-Nummer. „Jimmy, Jimmy, oh Jimmy Mack, when are you coming back?“, lautet der Refrain. Ein Kerl ist also abgehauen und die Verlassene versucht, ihn wieder zurück zu gewinnen. Was soll daran falsch sein?

Alles, meinte Eddie. Tatsächlich wäre Mitleid mit Titelheld Jimmy Mack viel angebrachter, als die im Soul beliebte Schuldzuweisung. Wenn man den Song nur mal richtig ernst nehmen würde. Das tut natürlich meistens niemand (außer Eddie), und so ist Sängerin Martha Reeves damit durchgekommen, einen Typen mit ihrer Junge-komm-bald-wieder-Tirade zu überziehen und für ihr Unglück verantwortlich zu machen, dabei müsste sie nicht unglücklich sein. Und sie ist es auch gar nicht.

Eddie hat verdammt gute Gründe, dieser Frau fernzubleiben. Käme er nämlich wieder, so müsste er erst mal einen Nebenbuhler verdrängen, der sich in seiner Abwesenheit an sein Mädchen rangemacht hat. Sängerin Martha Reeves tut so, als ginge es um die eine große Liebe, aber ihre Sehnsucht trägt Züge einer Erpressung. „I wanna say“, singt sie, „I'm not getting any stronger, I can't hold out very much longer / Trying hard to be true, but Jimmy, he talks just as sweet as you.“ Mit anderen Worten: Der andere Typ hat alles, was Jimmy auch hat, plus die Leidenschaft eines Verführers. Wozu braucht sie Jimmy Mack dann noch?

Es ist unüblich, Songs daraufhin abzuklopfen, was sie verheimlichen, und noch unüblicher ist es, ihre Fehler zu korrigieren. „Fixin’ the Charts 1“ von Eddie Argos und seiner Freundin Dyan Valdes ist da die wohltuende Ausnahme (erschienen unter dem Projektnamen Everybody is in the French Resistence…Now). Wobei die Musik dieses Albums mit dem Furor der Umwertung nicht mithalten kann. Es ist jedenfalls eindeutig interessanter, neben Eddie im Auto zu sitzen und ihm dabei zuzuhören, warum ein falscher Song, trotz der Millionen von Dollars, die er eingespielt hat, falsch bleibt, als ihn einen richtigen singen zu hören.

In Argos’ Response-Song „Hey! It’s Jimmy Mack“ meldet sich der Gescholtene selbst zu Wort. Das ist in etwa so originell wie die Antwort des Spardosen Terzetts auf Juliane Werdings „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Gewiss, jeder hat sich schon gefragt: Warum regt sich die Sängerin bloß so fürchterlich auf über den Absturz eines Drogenjunkies, der die Kurve nicht mehr kriegt, was doch abzusehen gewesen sein muss (es hat ganz harmlos angefangen mit Haschisch!). Aber dann geht der Response-Song des Spardosenterzetts – in der Version mit Wiglaf Droste – doch an der Sache vorbei. Hier geht Conny Kramer nur mal eben Zigaretten holen und ist ganz verwundert, als er in die Wohnung zurückgekehrt seine Freundin aufgelöst in Tränen auf dem Boden liegen sieht. „Juliane, warum regst du dich so auf?“, fragt das Spardosen Terzett sinngemäß. Ich habe gelacht, beim ersten Mal. Aber eigentlich ist es billig, Juliane Werdings Sentimentalität als Hirngespinst hinzustellen – und der Typ ist wieder der coole Macker.

Ich stelle mir vor, „Am Tag, als Conny Kramer starb“ aus Sicht der Eltern erzählt zu bekommen, die hilflos der Drogenkarriere ihres Sohnes zusehen müssen. Das wäre ein Song, der mich interessieren würde. Eine Korrektur schwebt auch Paddy Moloney, dem Kopf der irischen Folkformation Chieftains, vor. Er ist auf eine Bande von Deserteuren gestoßen, die im mexikanisch-amerikanischen Krieg 1846-48 aus der Yankee-Armee geflohen waren und die Seiten gewechselt hatten. Ihr Anführer war Captain John Riley. Seither gilt er als Unperson der US-Geschichte. Nur in Mexiko wird das Andenken der San Patricios, in einer ganzen Reihe von Volksliedern bewahrt.

Moloney kapierte intuitiv, warum die Männer in Batallionsstärke zu den Mexikanern übergelaufen waren. Handelte es sich doch überwiegend um irische Landsleute, die in die USA ausgewandert waren. Aber: „Vertrieben aus ihrer Heimat nach Jahren kolonialer Unterdrückung und den verheerenden Folgen der Hungersnot, wurden sie zum Militärdienst gezwungen, wo sie oft unter Offizieren mit denselben englischen und protestantischen Ansichten dienen mussten, die ihnen schon daheim das Leben schwer gemacht hatten. Misshandelt, als unwillkommen und unzuverlässig geschmäht und in einen Krieg hineingezogen, den sie nicht verstanden, sind ihre Beweggründe nicht schwer zu verstehen.“ Die kleine Armee irischer Überläufer wurde bei Churubusco aufgerieben. Den Wenigen, die das Gemetzel überlebten, wurde ein „D“ für Deserteur aufs Hinterteil gebrannt.

Obwohl Moloney zunächst wenig über das blutige Kapitel irischen Eigensinns in Erfahrung bringen konnte, wusste er doch eines ganz sicher: Die San Patricios hatten sicher Musik gemacht. Hey, es waren Iren! Und: die Mexikaner hatten bestimmt nicht tatenlos zugehört. Moloney musste die Songs aus jener Zeit nur wieder aufstöbern. Der unvermeidliche Ry Cooder half ihm dabei. So kann man jetzt auf dem von Ry Cooder mitproduzierten, unfassbar guten Album „San Patricio“ Dudelsäcke und Mariacchi-Trompeten, Geigen und Flamenco-Gitarren in ein und demselben Song hören. Dabei geht es um das Lagerleben, um Tänze und Saufgelage und mehr, als man heute ahnen kann, um katholisches Leidenspathos. Wenn in „March To Battle (Across The Rio Grande)“ schwere Paukenschläge das Schritttempo vorgeben, Schwärme von Piccolo-Flöten und Sackpfeiffen die grünen Hänge Irlands heraufbeschwören und Liam Neesons Stimme davon erzählt, dass man lieber verrecken wolle in den Sands of Mexico, als eine weiße Flagge hissen, dann bekommt das Wort „Verräter“ einen anderen Klang.

Von Kai Müller

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