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Barenboim

© dpa

Daniel Barenboim: Musik erzieht zum Menschen

Daniel Barenboim über die Berliner Opernfrage, das Schillertheater, „Tristan“ in Mailand – und seinen 65. Geburtstag.

Anruf in der Mailänder Scala, wo Daniel Barenboim gerade zusammen mit Patrice Chéreau Wagners „Tristan“ probiert, Premiere ist am 7. Dezember:

Maestro, wie geht es Tristan, wie geht es Isolde?

Oh, sehr gut. Ich muss sagen, dieser Chéreau ist ein verdammt begabter Regisseur (lacht). Sie wissen wahrscheinlich nicht, dass „Tristan“ das Stück unserer Freundschaft ist, denn Chéreau hätte das schon 1981 in Bayreuth mit mir machen sollen. Aber dann war er so ehrlich, zu sagen, ich schaffe das nicht. Fünf Jahre lang den „Ring“ zu betreuen auf dem Grünen Hügel und dann gleich „Tristan“ – da kann aus Wagners Tetralogie nur eine Pentalogie geworden sein! Ich habe das sehr gut verstanden. In den neunziger Jahren gab es noch einen Versuch, das klappte aus persönlichen Gründen nicht, also wir beide reden seit 26 Jahren über „Tristan“. Unglaublich!

Hat sich Ihrer beider Sicht auf das Stück verändert?

Na, ich habe inzwischen natürlich ein bisschen mehr Erfahrung mit der Partitur (lacht). Und vielleicht ist es ganz gut, ein Vierteljahrhundert auch andere Dinge gemacht zu haben, um jetzt zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Ich bin mit dieser Arbeit sehr glücklich. Vor allem, weil Chéreau außergewöhnlich genau den Text analysiert und anhand seiner Textkenntnis jeden einzelnen Charakter des Stücks sozusagen maßschneidert. Da er ein begnadeter Schauspieler ist, kann er den Darstellern überdies unzählige wertvolle Hinweise geben. Ich denke, ich verrate jetzt nicht zu viel – er hat verstanden, dass diese Oper nicht nur ein Kammerspiel ist. Was in der Intimität passiert zwischen Isolde und Brangäne, zwischen Kurwenal und Tristan, das wird erst groß und klar, wenn auch das Öffentliche mit in den Blick rückt, der Raum auch für den Chor. Außerdem wird der sterbende Tristan im dritten Akt nicht gerade mit einem Gummiboot unterwegs sein …

Apropos, was sagen Sie zu Bayreuth, zur Hängepartie um die Nachfolge Wolfgang Wagners?

Eigentlich nichts (lacht). Vielleicht nur so viel: Bayreuth ist ein so außergewöhnlicher Ort, dass auch die künstlerische Qualität außergewöhnlich sein und bleiben muss. Es darf nicht passieren, dass das Niveau erodiert. Sonst verlieren die Richard-Wagner-Festspiele ihre Existenzberechtigung.

Können strukturelle Querelen wie diese das Künstlerische im Mark treffen und beeinträchtigen?

Die Gefahr besteht, natürlich. Überall. Sie leben in Berlin, ich lebe in Berlin, wir wissen, wovon wir reden.

Sie werden nun 65 …

Ja, ab sofort kann ich in Berlin zum halben Preis U-Bahn fahren!

Und welche Vorteile versprechen Sie sich sonst, beispielsweise in der Opernfrage?

Ich bin nicht der Sprecher der drei Opernhäuser, dahingehend habe ich auch keine Ambitionen. Aber was für die Staatsoper gilt, so denke ich, das gilt auch für die anderen beiden Häuser. Es ist unbedingt notwendig, dass jedes Haus selbstständig wird. Künstlerisch und wirtschaftlich.

Raus aus der Opernstiftung?

Das habe ich nicht gesagt. Ob mit Stiftung oder ohne, das ist für mich gar nicht der Punkt. Was mich beschäftigt, ist die Tatsache, dass die drei Häuser vielfach daran gehindert werden, ihre Selbstständigkeit zu entwickeln. Für uns in der Staatsoper ist das jedenfalls ein sehr starkes Bedürfnis.

In den noch laufenden Verhandlungen hat der Bund das Geld für die Renovierung Ihres Hauses an die Bedingung geknüpft, der Staatsoper künftig 10 Millionen Euro mehr Subventionen zu geben. Das werden die Deutsche Oper und die Komische Oper nicht goutieren.

Selbstverständlich nicht. Aber diese 10 Millionen sind kein Geschenk, damit wir uns etwas Schönes kaufen gehen, sondern sie bedeuten das Minimum dessen, was wir brauchen, damit dieses Haus weiter gut funktioniert. Letzten Endes kämen wir mit diesen zusätzlichen Geldern genau auf das Budget zurück, das wir zuletzt 2003 hatten – vor so vielen Jahren! Und selbstverständlich werden die anderen Institutionen auch ihre Bedürfnisse und Ansprüche anmelden. Aber man darf kulturpolitisch, und das ist meine feste Überzeugung, nicht nivellieren im Sinne von: Wir behandeln alle gleich. Nivellieren heißt immer nach unten korrigieren. Ich habe diese Metapher schon öfter gebraucht: Ein Ehepaar hat drei Kinder und möchte diese drei Kinder behalten - natürlich! Aber die Kinder wachsen auch, und man darf ihnen ihre Selbstständigkeit nicht vorenthalten.

Wären Sie denn gerne in die Obhut des Bundes hinübergewandert, die Staatsoper als Bundesoper, als Nationaloper?

Auch das ist für mich letztlich zweitrangig. Obwohl diese Frage natürlich eine ganz andere Einstellung zu unserem Haus verlangt hätte, hier geht es ja nicht nur um Geld. Selbstverständlich bin ich dem Bund sehr dankbar dafür, dass er sich voraussichtlich so großzügig an der Renovierung beteiligt, und ich bin auch dem Land Berlin dankbar, dass man dort zu akzeptieren scheint, dass wir zusätzliche Mittel brauchen. Aber wir müssen „zuhause“ so agieren dürfen, wie wir es für richtig halten. Wenn wir das am Ende nicht gut machen sollten, dann kann man uns immer noch rausschmeißen.

Für was brauchen Sie die zehn Millionen?

Für die tägliche Organisation unserer Arbeit, für die Staatskapelle, für unsere Bibliothek. Das sind alles sehr praktische Notwendigkeiten, da ist vieles indiskutabel. Einiges sind noch Erblasten aus der ehemaligen DDR, anderes ist unserer künstlerischen Entwicklung geschuldet. Als ich hier angefangen habe, wurden viele Stücke noch auf Deutsch gesungen, stellen Sie sich vor! Also das reicht vom Notenmaterial bis hin zu Marketingfragen. Und wir haben uns ja wirklich sehr verändert. Kein Erfolg ist umsonst zu haben. Wenn ein Orchester wie die Staatskapelle international einen so guten Ruf hat und von seinen Reisen derart viel Geld zurückbringt nach Berlin, dann kann es doch nicht sein, dass mit diesem Geld kollektive Rücklagen oder Polster angelegt werden, ohne uns zu fragen! Nein, wir müssen mitbestimmen können, wie und für was dieses Geld wieder ausgegeben wird.

Zum Beispiel für das richtige Ausweichquartier während der dreieinhalbjährigen Umbauphase der Lindenoper ab 2010? Es wird nun das Schillertheater.

Dass Peter Mussbach und ich unterschiedliche Vorlieben gehabt hätten, ist in der Öffentlichkeit falsch dargestellt worden. Der Admiralspalast ist akustisch sehr gut, hätte aber im Bühnenbereich riesige Probleme aufgeworfen. Kaum etwas selbst aus unserem kleinen Repertoire wäre dort spielbar gewesen. Überhaupt sind die Räumlichkeiten dort sehr beengt. Im Schillertheater haben wir diese Probleme nicht, zumal man es einigermaßen gut umbauen kann.

Haben Sie ein Problem damit, dass Sie sich während der Umbauzeit so weit in den ehemaligen Westen Berlins vorwagen?

Was ist die Identität Berlins? Der „ehemalige Westen“, der „ehemalige Osten“? Nein. Ich finde, fast 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sollten wir uns langsam daran gewöhnt haben, dass wir in einer Stadt leben und nicht in zwei feindlichen ideologischen Lagern. Insofern habe ich kein Problem damit, nein.

Sie geben am heutigen Donnerstag in der Philharmonie mit Zubin Mehta und der Staatskapelle ein Konzert zugunsten des Musikkindergartens, den Sie in Berlin ins Leben gerufen haben.

Sie sehen: Ich mache an meinem Geburtstag genau das, was mir gefällt und was ich wichtig finde. Der Kindergarten lebt bislang hauptsächlich von Spendengeldern, er verfügt über keine kontinuierliche Finanzierung. Das ist nicht gut, und darauf möchte ich aufmerksam machen. Es handelt sich hier ja nicht um Musikerziehung, sondern um Erziehung durch Musik. Die Musik wird bei uns mehr und mehr in einen Elfenbeinturm abgeschoben, sie ist immer weniger Bestandteil unseres normalen, alltäglichen Lebens. Auch das ist nicht gut: weder für die Musiker noch für das Publikum. In den vergangenen 70, 80 Jahren haben wir, was die Professionalierung des Musiklebens und alles Soziale betrifft, große Fortschritte gemacht, vom technologischen Fortschritt ganz zu schweigen. Gleichzeitig scheint das allgemeine Bedürfnis nach Musik dramatisch zu sinken. Das sind die Symptome. Wir aber müssen gegen die Krankheit selbst kämpfen, dagegen, dass die Musik kein notwendiger Teil unserer Erziehung zum Menschen mehr ist.

Das Gespräch führte Christine Lemke-Matwey.


Zur Person

Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim wurde am 15.11.1942 als Nachfahre russischer Juden in Buenos Aires geboren. Nach der Gründung Israels siedelte die Familie 1952 dorthin um; im gleichen Jahr gab er in Salzburg sein erstes Klavierkonzert. Von 1991–2006 leitete Barenboim das Chicago Symphony Orchestra; seit 1992 ist er Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper und Leiter der Staatskapelle. Mit Edward Said gründete er 1999 das West-Eastern Divan Orchestra mit jungen israelischen und palästinensischen Musikern.

Heute spielt Barenboim im Benefizkonzert zugunsten des Musikkindergartens Berlin in der Philharmonie mit der Staatskapelle Beethovens 4. und Liszts 1. Klavierkonzert. es dirigiert Zubin Mehta. Voraussichtl. Restkarten.

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