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Der feine Unterschied: Platte oder Player

Kolja Reichert über eine runde Sache.

Mal ehrlich: Pink Floyd auf dem MP3- Player zu hören – es fühlt sich wie Betrug an. Dieser warme, satte Sound des analogen Zeitalters in den Reproduktionsschleifen der digitalen Technik, die, kaum größer als eine Packung Kaugummi, in jede Hosentasche passt. Dem Plattenfetischisten sträuben sich angesichts dieser Respektlosigkeit die Haare seiner Reinigungsbürste. Musik hören, findet er, sei doch weit mehr, als einen Knopf zu drücken. Musik hören bedeute, die Schallplatte behutsam aus ihrer Papphülle gleiten zu lassen, sie mit möglichst wenig Körperkontakt zwischen den Händen zu halten, das Vinyl sanft auf den Teller zu betten und den Tonarm an der richtigen Stelle abzusenken, damit die Nadel ihren Weg zur Mitte antreten kann. Aus dem leisen Rauschen und Kratzen erhebt sich dann der majestätische Beginn von „Dark Side Of The Moon“. Die Musik spielt im Hier und Jetzt: Ein gelegentlicher Blick vom Phonophilen-Sessel hinüber zum Plattenteller versichert, dass hier ein Tonabnehmer harte, ehrliche Arbeit verrichtet.

Der MP3-Player löst die Musik von der Materialität. Digitale Daten wandern durch’s Internet und bringen sie von überall überallhin, leicht und unaufhaltsam wie Blütenstaub. Alben stehen oft schon Wochen vor dem Veröffentlichungstermin im Netz, Zeit und Raum verlieren an Bedeutung. Alles für alle, überall. Die Musikgeschichte hängt in alphabetischer Ordnung und ständiger Verfügbarkeit am Körper. In drei Klicks von Dave Brubeck zu Timbaland. 50 Tage lang kann ein 80-Gigabyte-Gerät Musik spielen, ohne sich einmal zu wiederholen. Das wirft Fragen auf: Will ich das alles wirklich hören? Welche Musik ist die richtige für meine Stimmung? Oder, grundsätzlicher: Kann ich Musik überhaupt noch genießen, wenn sie mich überall begleitet? Setzt wahrer Kunstgenuss nicht Maß und Beschränkung voraus?

Schallplatten altern mit, die Zeit hinterlässt an ihnen ihre Spuren. MP3s altern nicht, sie klingen immer gleich. Würde der Plattenladenbesitzer Rob in Nick Hornbys „High Fidelity“, statt seine Vinylsammlung nach vergangenen Liebesgeschichten zu sortieren, sorgfältig am Laptop die Dateiinformationen bearbeiten?

Mit dem iPod gewinnt der Musikgenuss allerdings eine neue Sinnlichkeit, eine Erfahrung von Schwerelosigkeit, dank eines Elements, das Gegensätze wie „An“ und „Aus“ oder „Anfang“ und „Ende“ in einer ewigen Kreisbewegung auflöst: dem „Clickwheel“. Hier gleitet keine Nadel durch Rillen, hier fährt der Daumen über einen Kunststoffring um Lied und Lautstärke zu steuern. Beim Plattenspieler geht die Bewegung von außen nach innen und endet dort. Beim iPod geht sie im Kreis, immer und immer weiter. Alles ist verfügbar. Doch es gibt kein Ankommen.

Schlaflos im Nachtzug. Das Display grüßt fahl. Der Daumen fährt über den Kunststoff, hält inne bei „G“ wie Gustav Mahler, und lässt Janet Baker singen: „Ich bin der Welt abhanden gekommen“.

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