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Udo Jürgens Musical

© dpa

Musical: Der Kaviar wird knapp

Stapellauf in Hamburg: das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ erfindet die Revue-Operette neu.

Einige Textzeilen hatten wir fast schon vergessen. Die erste Strophe von „Ich war noch niemals in New York“ zum Beispiel: „In meinem Herzen flattert leise / ein kleiner bunter Schmetterling./ Der schickt die Sehnsucht auf die Reise, / wenn ich von meinen Träumen sing.“ 900 Songs hat Udo Jürgens in seiner langen Karriere veröffentlicht. Mit 16 gewann er seinen ersten Schlager- preis. Das war 1950. Seitdem ist er nicht mehr vom weißen Flügel aufgestanden.

Bis vorgestern: Da saß der Sänger im Hamburger Operettenhaus, um sich ein Musical anzusehen, das der Unterhaltungskonzern Stage Entertainment mit seiner Musik bestückt hat. Kaum sind die Lichter aus, beginnt die Band im Orchestergraben zu rocken: „Ohoho, oh yeah! Aber bitte mit Sahne“, ist der Ouvertüren-Opener, dann folgt, mit Glockenspiel, „Mit 66 Jahren“, schließlich rauscht der Synthie mit der „New York“-Melodie auf. Und schon sind wir wieder mittendrin im Universum des Udo Jürgen Bockelmann. Der Mann aus Kärnten hat deutsche Hitparadengeschichte geschrieben, er hat den Lebenssoundtrack einer Generation geprägt, die in den Siebzigern jung war, und – ja, doch – ein paar Hymnen zum nationalen Kulturerbe beigesteuert.

Wenn 23 seiner bekanntesten Lieder jetzt die Partitur zu einer „romantischen Komödie“ bilden, sieht das auf den ersten Blick nach einem Ritt auf der Erfolgswelle von „Mamma Mia“ aus, jener Show mit Abba-Diskokrachern, die seit Jahren weltweit Millionen in die Theater lockt. Auch die Stage Entertainment hat viel Geld mit dem Abba-Stück verdient, erst in Hamburg, dann in Stuttgart und Essen, derzeit in Berlin. Da lag die Idee nahe, ein Pendant für den deutschen Markt zu entwickeln. 150.000 Fans hatten bereits vor der Premiere für Preise zwischen 40 bis 110 Euro Tickets erworben. Vier Jahre hat die Kreativabteilung der Stage Entertainment an ihrer ersten Eigenproduktion herumgeknetet. Es hat sich gelohnt. „Ich war noch niemals in New York“ ist tatsächlich kein „Mamma Mia“-Klon geworden, sondern etwas Eigenes: die Neuerfindung der Revue-Operette.

Die Geschichte ist simpel. Die erfolgreiche TV-Moderatorin Lisa hat alles im Griff – bis auf ihre Mutter. Als die jedoch mit einem Verehrer namens Otto aus dem Altersheim abhaut, um unter der Freiheitsstatue zu heiraten, sieht Lisa es als ihre Tochterpflicht an, der Rentnerin ihre Flausen auszutreiben. Im Büro der Heimleitung trifft sie auf Ottos Spross Alex, einen allein erziehendenVater und Playboy-Fotografen, der ihr sofort unsympathisch ist. Trotzdem landen beide samt Alex’ Sohn Florian auf dem Kreuzfahrtschiff gen New York, wo es nach einigen Verwicklungen zwischen Eltern, Kindern, Enkel und Lisas Entourage natürlich zum Happy End mit Doppelhochzeit kommt. Dass die Dramaturgie an allen Ecken und Enden klappert, macht nichts. Besser funktionierten die Libretti der Revue-Operetten aus den zwanziger Jahren auch nicht. Als das Genre im Schatten des Kinos in seine blecherne Epoche trudelte und mit „Blume von Hawaii“, „Maske in Blau“ oder „Rose von Stambul“ letzte Bühnenerfolge einfahren konnte, waren die Stücke längst Vehikel für Schlager und Ausstattungspomp. Genau das bietet auch „Ich war noch niemals in New York“. Da verwandelt sich das Fernsehstudio blitzschnell in einen Wellnessbereich, da wird per Drehbühne von der Hochzeitssuite über das Treppenhaus zur Restaurantterrasse des Kreuzfahrtschiffs gezappt, da darf sich der Zuschauer im zweiten Akt gar als Flaneur auf dem Ozeanriesen fühlen (Ausstattung: David Gallo). Und Kostümbildner Yan Tax spendiert den Darstellern für jedes Bild einen Satz regenbogenbunter Gewänder.

Die Sponsoren schieben sich dabei mächtig ins Bild: ein Touristikunternehmen zum Beispiel, dessen Name nicht nur auf dem Dach der traditionsreichen Spielstätte an der Reeperbahn prangt, sondern dessen Logo und Kataloge auch in der Reisebüro-Szene deutlich sichtbar ausgestellt werden. Eine Reederei ließ es sich etwas kosten, dass die Story auf der „MS Deutschland“ spielt, ihrem Flaggschiff, das entgegen dem üblichen Altersdurchschnitt auf der Operettenhausbühne nun von den jungen Mitgliedern des 18-köpfigen Ensembles bevölkert ist. Eine Autofahrt wird auf einem überlebensgroßen Navigationsgerät nachgezeichnet, und zur Pause trägt Teenager Florian einschlägige Fast-Food-Tüten herein.

Zwar hat das Produktionsteam um Christian Struppeck und Gabriel Barylli versucht, die Chose ein wenig zu ironisieren, wenn Lisa beispielsweise mit Blick auf den Hamburger bellt: „Wäre es nicht einfacher, mich mit einem Kissen zu ersticken?“ Doch letztlich bleibt der Abend eine Werbeverkaufsveranstaltung, und man wundert sich, dass die Besucher am Ausgang nicht auch noch zum Erwerb von Heizdecken genötigt werden.

Wer sich aber vom schamlosen Product Placement nicht die Laune verderben lässt, hat Spaß an dieser Show, die gar nicht erst versucht, in der gedanklichen Tiefe mancher Udo-Jürgens’schen Chansons zu schürfen. Dieser Produktion geht es nicht um die Haltung, die ja auch im Wort Unterhaltung steckt, wie es der Sänger fast philosophisch formuliert. Nein, Regisseur Glenn Casale setzt auf perfekt getimtes Entertainment, auf Ohnsorg-Sound für die Alten und „Caveman“-Gags für den Geschlechterkampf zwischen Jägerfrau und Sammlermann. Wer das MDR-Fernsehballett mag, wird die von Kim Duddy choreografierten Tanzszenen lieben, und bei den kleinen Überraschungsknallern johlt der Saal: Wenn Florian, der Jüngste an Bord, „Mit 66 Jahren“ anstimmt oder das „Ehrenwerte Haus“ ein schwules Paar rausekeln will. Lisas unzertrennliche Assistenten sind überhaupt die heimlichen Diven der Show. Fred und Kostas (ja, er singt den „Griechischen Wein“!) dürfen ihre Love Story mit einer „Titanic“-Pose auf dem Traumschiff krönen.

Udo Jürgens übrigens, der 100-Millionen-Schallplatten-Mann, nützt den Medienrummel rund um die Premiere als finalen Karrierekick und bringt am 4. Januar noch einmal ein Album heraus. Er habe, verspricht der 73-Jährige, durchaus noch Textzeilen zu bieten, die wir uns merken sollten. Diese zum Beispiel: „Der Urwald macht schlapp, die Gletscher hau’n ab, und, schlimmer noch, bald wird der Kaviar knapp.“

Operettenhaus Hamburg, Tickets ab 40 Euro, Infos: www.musicals.de.

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