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Deutsche Oper: "Jeanne d'Arc"-Happening überzeugt in Berlin

Die Oper "Jeanne d'Arc - Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna" von Walter Braunfels hat an der Deutschen Oper Berlin ihre szenische Uraufführung erlebt. Schlingensiefs Inzenierung entpuppte sich als spektakuläres Heiligendrama - zu Musik des 20. Jahrhunderts.

Christoph Schlingensief war abwesend und an diesem Abend doch sehr präsent. In Walter Braunfels' Oper "Jeanne d'Arc" wird der Regisseur, der sich von der Öffentlichkeit aus persönlichen Gründen zurückgezogen hat, immer wieder ins Bild gesetzt. Ob in Videoprojektionen oder in Zitaten - die Deutsche Oper Berlin erlebte am Sonntag die szenische Uraufführung des Passionsspiels um Frankreichs Nationalheldin als Schlingensief-Abend mit all den Zutaten, die auch beim Bayreuth-"Parsifal" oder zum Wagner-Happening im brasilianischen Manaus für Furore gesorgt hatten.

Fast drei Stunden lang kreist das Schlingensief-Personal auf der Bühne: Priester, Nonnen, Kinder und Kleinwüchsige, leibhaftige Schafe, Ziegen, Steckenpferde, ein spastischer Ballett-Tänzer und Rollstuhlfahrer. Die nach Aufzeichnungen des 47-Jährigen entstandene Inszenierung entpuppt sich als gigantisches mittelalterliches Heiligendrama, als barockes Hochamt zu Musik des 20. Jahrhunderts.

"Jeanne d'Arc" als Ausdruck Braunfels' persönlicher Erfahrungen

Fast siebzig Jahre hatte es gedauert, bis die zwischen 1938 und 1942 komponierte Oper endlich als Bühnenfassung aufgeführt wurde. Dabei war Braunfels (1882-1954) einer der wichtigsten Komponisten der Weimarer Republik und zuweilen erfolgreicher als Richard Strauss. Doch dann fiel er dem doppelten Vergessen anheim: kaltgestellt von den Nationalsozialisten, verkannt in den Nachkriegsjahren.

Braunfels, der einer jüdischen Familie aus Frankfurt entstammte und dessen Vater zum Protestantismus konvertiert hatte, verarbeitet in der "Heiligen Johanna" auch persönlichen Lebensstoff und Glaubenserfahrungen. Denn auch Braunfels zweifelte am Glauben - und am Katholizismus. Anhand von historischen Akten rekonstruierte er den Prozess gegen Jeanne d'Arc. Zunächst als Befreierin von Orleans im Hundertjährigen Krieg gegen die Engländer verehrt, wurde Johanna 1431 als Ketzerin wegen Häresie und Dämonenanbetung verbrannt. 1920 wurde sie heiliggesprochen.

Erfolg für Kirsten Harms

Für die szenische Neuproduktion hatte sich vor allem der Enkel des Komponisten, der Architekt Stephan Braunfels, eingesetzt. Er gewann den Dirigenten Ulf Schirmer, ein Braunfels-Spezialist, der dem Orchester der Deutschen Oper einen feinnervigen Klang entlockt - und dafür umjubelt wird. Auch die Sänger wurden am Premierenabend stürmisch gefeiert, allen voran die Amerikanerin Mary Mills in der Titelpartie, Anna Fleischer als Katharina und Morten Frank Larsen als Johannas Kampfgefährte Gilles de Rais. Doch es war auch ein Erfolg für die Intendantin Kirsten Harms, die sich immer wieder für vergessene Werke an der Deutschen Oper stark macht.

Für die Produktion hatte Schlingensief im Dezember 2007 eine Nepal-Reise unternommen und dort den Umgang mit Todesritualen auf Video dokumentiert. Es sind zum Teil makabre Bilder von Leichenverbrennungen. Das Regie-Team (Anne-Sophie Mahler, Sören Schuhmacher, Carl Hegemann) projiziert die Videos auf das Bühnenbild. Die Rituale werden mit liturgischen Elementen zu einer eindringlichen Bilderwelt verschmolzen - eine Regie im strengen Wortsinn ist es nicht. Auf Transparenten werden Anmerkungen wie "Hier fällt eine Kuh vom Schnürboden" oder "Hier fehlt ein Ritual" gezeigt - eine Verbeugung vor Ideengeber Schlingensief.

Zwischen den Leinwänden und Projektionsflächen erzählt der zweifelnde Katholik Schlingensief den Weg der Jeanne d'Arc vom Hospiz zum Scheiterhaufen als Krankengeschichte. Eine riesige Lunge hängt in der Luft, und Johannas Herz, das bei ihrer Verbrennung wie durch ein Wunder unversehrt bleibt, wird am Ende wie eine Monstranz über die Bühne getragen. (nim/dpa)

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