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24/7: Die Sterne: Groove und Größenwahn

Eine der besten Platten des Frühjahrs: Mit „24/7“ gelingt den Sternen die Fusion von Disco und Dada.

Die Gitarre stottert funky, der Rhythmus stampft, ein Synthesizer fiept. Eine helle, leicht heisere Stimme skandiert Erlösungsverse: „Wohin, zur Hölle, mit den Depressionen? / Ich gehe in die Disco, ich will da wohnen / Ich gehe in die Disco und bringe den Depri mit / Na, wie wäre es? Wechselschritt.“ Gegen die Krise, die Botschaft ist klar, hilft nur eins: Tanzen. Hallend verdoppelt sich der Gesang, eine Endlosschleife aus Rettungsplänen und Vernichtungsfantasien: „Gesunde Ernährung und viel Sport / Eine neue Wohnung, ein anderer Ort / Das könnte helfen, das kannst du tun / Richtig essen, eine Revolution / Rollende Köpfe, Kanonaden / Einfach mal im Blut deiner Feinde baden.“

So grandios beginnt eines der besten Pop-Alben dieses Frühjahrs. Schon der Titel ist eine Referenz an das Rund-um-die-Uhr-Prinzip des Kapitalismus: „24/7“. Die Sterne, die in den neunziger Jahren noch „Fickt das System“ sangen, haben ihren Frieden mit der Welt gemacht. Sie mischen nun Groove und Größenwahn, ihr neuntes Studioalbum ist eine Hymne auf den Hedonismus.

Der programmatische Song heißt „Convenience Shop“, Nachbarschaftsladen: „Wir sind der Convenience Shop und wir haben für dich auf, 24/7 / Wir sind dein Convenience Shop, wir sind deine Sklaven / Was können wir denn für dich tun, was möchtest du denn haben?“ Das klingt nicht böse oder ironisch, sondern bloß gut gelaunt. Eine stur pumpende Bassline, ein paar spitze E-Piano-Akkorde und das Gezischel eines Hi-Hat-Beckens, mehr braucht es nicht, um die eckig eiernden Zeilen Dancefloor-kompatibel zu machen. Musik, so muss man die Selbstausbeutungseuphorie des Stücks wohl verstehen, ist doch vor allem eins: eine Dienstleistung.

Dabei schienen die Sterne bereits klinisch tot zu sein. Die beste Zeit der Hamburger Band waren die mittleren und späten neunziger Jahre, als sie Hits wie „Universal Tellerwäscher“ oder „Was hat dich bloß so ruiniert?“ landeten und vom Goethe-Institut als Kulturbotschafter in die USA geschickt wurden. Doch mit dem Album „Irres Licht“, für das sie 2002 vom Independent-Label L’age d’or zur damaligen Großfirma Virgin wechselten, begann der Abstieg. Während Blumfeld und Tocotronic, die Mitstreiter aus der sogenannten Hamburger Schule, sich musikalisch runderneuerten, wirkten die Sterne ausgebrannt. Ihre vorerst letzte Platte „Räuber und Gedärm“ stieß 2006 nur noch auf wenig Resonanz.

„24/7“ markiert einen Neubeginn, den die Sterne dem Produzenten Mathias Modica zu verdanken haben. Modica, der mit seinem DJ-Projekt Munk und seinem Label Gomma Records als eine Art Nachlassverwalter des Munich Sound der siebziger Jahre gilt, hat aus den Diskursrock-Veteranen nun gewissermaßen DancefloorAvantgardisten gemacht. „Es ging um eine Rückbesinnung auf Sounds und Strukturen“, sagt Sterne-Sänger Frank Spilker. Modica setzte auf forcierten Minimalismus. Schlagzeug, Bass und Gitarren, das übliche Instrumentarium einer Rockband, wurden akustisch aufgenommen, dann aber so lange nachbearbeitet, bis der Unterschied zwischen den live eingespielten und den elektronisch abgerufenen Klängen unhörbar geworden war.

Auf der Strecke blieben dabei auch die Vorstellungen von „Authentizität“ oder „Echtheit“, Leitbegriffen der Rock’n’Roll- Kultur. Es gibt auf „24/7“ kein Gitarrensolo mehr, nur noch Loops und den Pulsschlag der elektronischen Beats. „Wir haben unsere Stücke zunächst auf wenige tonale Ereignisse reduziert und dann versucht, das in eine aufführbare Form zu bringen“, erzählt Spilker. Eine Vorgehensweise, die die bisherige Arbeit der Band auf den Kopf stellte und zu Konflikten führte. Keyboarder Richard von der Schulenburg warf während der Produktion in einem Hamburger Studio das Handtuch. „Er wollte wieder so klingen wie auf dem Album davor“, sagt Spilker. „Aber die Absicht war ja gerade, so nicht mehr zu klingen.“ So sind die Sterne nun zum Trio geschrumpft, zu dem neben Frank Spilker der Bassist Thomas Wenzel und Schlagzeuger Christoph Leich gehören.

Disco, das ist eine Musik, aber mehr noch ein Ort. „Ein altmodischer Begriff“, findet Spilker. „Heute würde man Club oder Bar dazu sagen.“ Die Disco ist eine Gegenwelt, ein Raum, in dem man für ein paar Stunden dem Alltag entkommen kann. Für Spilker, der 1966 in der ostwestfälischen Provinz geboren wurde, war das Forum Enger ein solcher Ort, ein von Musikenthusiasten betriebenes Jugendzentrum, in dem regelmäßig Bands aus England und Amerika auftraten. Dort begann Spilker von einer Musikkarriere zu träumen. Seine Band Arthur Dent & die Sterne gründete er schon als Schüler, nach dem Umzug nach Hamburg wurden daraus die Sterne.

Die Sterne haben immer schon gerne mit Slogans und Redensarten hantiert, die Vorbilder für ihre stark rhythmusorientierte Musik stammten nicht nur aus dem Indierock, sondern auch aus dem Hip-Hop. Dieser Mut zum Crossover ist auch auf „24/7“ zu spüren. Da legen sich jamaikanische Dancehall-Grooves über die Gentrifizierungsskizze „Stadt der Reichen“, in der Spilker gehetzt raunt: „Aus dem Weg, ich möchte investieren“. Und das mantraartig aus nur leicht voneinander abweichenden Vier-Wort-Sätzen zusammengepuzzelte Schlussstück „Passwort“ swingt sogar sanft brasilianisch.

„Mich interessieren die Klischees von Disco“, sagt Spilker. „In den achtziger Jahren gab es ja noch dieses klassische Feindbild: Punk war das Gute und Disco das schlichtweg Böse. Daran habe ich auch geglaubt, bis ich irgendwann erkannte, dass zum Beispiel die großartigen Blondie mindestens ebenso sehr Disco waren wie Punk.“ In den besten Momenten gelingt den Sternen die Fusion von Disco und Dada. Das schönste Stück des Albums heißt „Deine Pläne“. Es besteht aus einer fröhlich hüpfenden Synthesizermelodie, viel Hall und einem Gaga-Text: „Deine Pläne stehen / Du solltest meine sehen / Ich lade tausend Leute ein / Wir feiern in den Morgen hinein / Und dann gehen wir noch mal raus / Wir gehen an und gehen aus.“

Live bleiben die Sterne eine Rockband. Bei einem Auftritt im Hamburger Thalia-Theater, bei dem sie das neue Material erstmals in ihrer Heimatstadt präsentieren, spielen sie die elektronischen Sounds mit Gitarre, Schlagzeug, Bass und Orgel nach. Das Konzert findet auf der Hinterbühne des Theatersaals statt. Die Lightshow hält sich in Grenzen, über dem eisernen Vorhang glimmen fünf blaue Neonröhren. Spilker gibt den Entertainer. Von den anfangs reservierten, später zunehmend begeisterten Zuschauern fordert er: „Bitte nur auf die 2 und die 4 klatschen.“ Der fast zwei Meter große Sänger hüpft in eckigen Bewegungen über die Bühne, zu „Neblige Lichter“ steigt er ins Publikum hinab. Eine Zeit lang kann man seinen Kopf noch über der wogenden Menge erkennen, dann verschwindet er zwischen den Tanzenden.

„24/7“ von den Sternen erscheint heute bei Materie Records/Rough Trade.

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