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Helikopter-Quartett

© dpa

Musikfest: Hoheiten der Lüfte

Der Mann hat Mut. Beim „Musikfest Berlin 08“ setzt Winrich Hopp auf drei tiefgläubige Katholiken: auf die komponierenden Orgelvirtuosen Anton Bruckner und Olivier Messiaen sowie auf Karlheinz Stockhausen, dessen Art, an seinem Klangregiepult zu sitzen, Hopp stets an einen Organisten erinnert hat.

Der Mann hat Mut. Beim „Musikfest Berlin 08“ setzt Winrich Hopp auf drei tiefgläubige Katholiken: auf die komponierenden Orgelvirtuosen Anton Bruckner und Olivier Messiaen sowie auf Karlheinz Stockhausen, dessen Art, an seinem Klangregiepult zu sitzen, Hopp stets an einen Organisten erinnert hat.

Drei Katholiken! Ausgerechnet im erzatheistischen Berlin! Ja, gerade hier, findet der künstlerische Leiter des Musikfests. Mit seinen Programmzusammenstellungen will der promovierte Musikwissenschaftler „Konstellationen schaffen, die aus sich selber etwas zu erzählen beginnen“. Spricht’s und knüpft in ein paar Sätzen ein Beziehungsnetz zwischen dem Tonsetzer-Dreigestirn, das vom 4. bis 21. September im Festival-Mittelpunkt stehen wird. Da ist zum Beispiel dieses Streben gen Himmel. Zum Lobe Gottes haben sie ihre Werke geschrieben, jeder auf seine Art, aber eben immer mit einem religiösen Transzendenzbedürfnis. Diese Werke wollen abheben, den Luftraum erobern. Der Himmel ist ihre eigentliche Heimat. Darum ist es keine Eventhascherei, wenn zum Abschlusswochenende des Festivals die Orchester in den Hangar 2 des Flughafen Tempelhof umziehen, um dort Stücke zu spielen wie Messiaens „Des Canyons aux étoiles“. Von den Felsschluchten zu den Sternen.

Und dann ist da ja auch noch der Hang seiner drei Komponisten zur „monolithischen Monumentalität“. Die Schlüsselwerke von Bruckner, Messiaen und Stockhausen sind allesamt abendfüllend, dulden keine weiteren Stücke neben sich. Für einen Festival-Organisator also die denkbar größte Herausforderung. Genau das macht Winrich Hopp Spaß: Unmögliches möglich zu machen, Widersprüchliches zusammenzudenken. Sein Rüstzeug hat sich der 47-Jährige als Dramaturg in München bei der Neue-Musik- Konzertreihe „musica viva“ sowie bei der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen erworben. 2006 holte ihn Berlins Festspiele-Chef Joachim Sartorius dann in die Hauptstadt. Hopps Aufgabe: Den ehemaligen Festwochen des Westens ein neues Profil zu geben.

2004 war das legendäre Festival, dessen Gaststars allherbstlich den Duft der großen weiten Welt in der Mauerstadt brachten, zum „Musikfest Berlin" umbenannt worden. Das Prinzip eines Jahresmottos, unter dem die vielfältigen, genreübergreifenden Aktivitäten gebündelt wurden, hatte sich unter der Ägide des von 1973 bis 2000 amtierenden Intendanten Ulrich Eckhardt totgelaufen. André Hebbelinck, Sartorius’ erster Musik-Mann, vermochte mit seinen Experimenten jedoch den Wunsch des Geld gebenden des Bundeskulturministeriums nach internationalem Glanz nicht zu erfüllen. Winrich Hopp dagegen gelang der Spagat zwischen Geist und Glamour schon in seiner ersten Spielzeit: Einerseits präsentierte er Spitzenorchester aus Europa und den USA, die sich aufgrund der niedrigen Berliner Preisstruktur unsubventioniert kaum, noch in die Hauptstadt holen lassen. Andererseits bearbeitete die Verantwortlich aber auch so lange, bis sie sich bereit erklärten, nicht mit dem üblichen Tournee-Showstücken anzurücken, sondern bei Winrich Hopps dramaturgischem Konstellationen mitzumachen. 2007 ließ er Claude Debussy, Charles Ives und Edgar Varèse miteinander kommunizieren, ab Donnerstag sollen nun Bruckner, Messiaen und Stockhausen Musiker wie Zuhörer zu Gedankenflügen animieren.

Hopps erster Gesprächspartner ist dabei stets Simon Rattle. Nachdem der kurzzeitige Philharmoniker-Intendant Franz Xaver Ohnesorg die Zusammenarbeit mit den Berliner Festspielen aufgekündigt hatte – um ein Konkurrenzfestival aufzuziehen – bildet das Spitzenorchester nun wieder eine Hauptsäule des Musikfests. Rattle wird mit Bruckners Neunter, Messiaens „Turangalila“-Sinfonie und Stockhausens „Gruppen“ alle Schwerpunkte bedienen. Barenboims Staatskapelle, Metzmachers DSO, Zagroseks Konzerthausorchester und Janowskis RSB sind mit je einem Programm eingebunden.

Bei der Wahl der Gäste gestattet sich Winrich Hopp die Freiheit, das New York Philharmonic Orchestra nicht einzuladen, obwohl es im September auf Europa-Tournee ist. Stattdessen holt er sich lieber die Göteborger Symphoniker, weil er deren Programme spannender findet. Kurt Masur und das Orchestre National de France sollen ruhig in Bonn einen Beethoven-Sinfonien-Zyklus absolvieren – Hopp holt sich dafür aus der französischen Hauptstadt drei Formationen, die neugierig auf seine Tonsetzertrilogie sind: das Ensemble Intercontemporain stemmt einen Zwei- Stunden-Messiaen im Hangar, das Orchestre de Paris konfrontiert eine Messiaen-Rarität mit Ravel und Zemlinsky und die Originalklang-Spezialisten vom Orchestre de Champs-Elysées schließlich wagen sich an Bruckners Achte.

Ob sich diese Konzerte ausverkaufen lassen? Winrich Hopp antwortet mit einer Gegenfrage: Machen nicht 800 Zuhörer, die wirklich der Sache wegen kommen, viel glücklicher als 2400 Ticketkäufer, die nur dabei sein wollen ? 2007 lag die Auslastung übrigens bei 95 Prozent. „Das Wichtigste ist doch, dass die Zuhörer am Abend spüren, dass hinter den Programmen eine Obsession steckt: die der Macher wie auch die der Musiker.“ Wer will da widersprechen?

„Musikfest Berlin 08“: 4. - 21. September. Das Präludium am Donnerstag mit dem „Theatre of Voices“ ist ausverkauft, für das Concertgebouworkest Amsterdam mit Mariss Jansons am Freitag gibt es Restkarten. Weitere Infos unter www. berlinerfestspiele.de oder Tel: 254 89 100.

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