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© Montage: TSP

Jury-Preis wird erstmals vergeben: Soundcheck-Award 2009 - Die Shortlist der besten Alben des Jahres

Seit drei Jahren streiten jeden Freitag vier Musikkritiker im „Soundcheck“ auf Radioeins über aktuelle CD-Neuerscheinungen. Oft geht es bei der von Tagesspiegel und Radioeins initiierten Runde kontrovers zur Sache, selten gewinnt ein Album die Zustimmung des gesamten „musikalischen Quartetts“. Deshalb wird die Debatte jetzt weitergetrieben. Erstmals soll in diesem Jahr ein Soundcheck-Award an das „beste Album 2009“ vergeben werden. Hier die Shortlist - diskutieren Sie mit!

Ein Wahlgremium von 38 Musikkritikern, Labelmachern, Musikern und Konzertveranstaltern hatte bis 22. Dezember Zeit, den maßgeblichen künstlerischen Entwurf des Jahres zu ermitteln. Da es sich um einen Qualitätspreis handelt, spielen bei der Vergabe kommerzielle Kriterien keine Rolle. Es geht um Musik!

Für den Award wurden nur jene Alben nominiert, die in einer Soundcheck-Sendung eine „4 x Hit“-Wertung erhalten hatten. Aus 16 Alben, die es auf diese Weise auf die Longlist geschafft hatten, sind folgende vier Platten für das Finale auserkoren worden: 

KANDIDATEN FÜR DEN SOUNDCHECK AWARD 2009 (DIE SHORTLIST)

Blakroc, Clean (V2)

Rock this way: Das Blues-Duo The Black Keys aus Akron, Ohio, trifft sich in einem Brooklyner Studio mit der Crème de la Crème des Ostenküsten-HipHop und legt eine alte Verbindung frei zwischen Rap und Blues. Die findige Produzent und Labelmacher Damon Dash fungiert hier als Kuppler. Die Devise lautet: „If it doesn’t make dollaz, then it doesn’t make sense.“ Das war für Kooperationen dieser Art – Run DMC mit Aerosmith, Jay-Z mit Linkin Park – schon immer ein Beweggrund.

Während Gitarrist Dan Auerbach und sein Kompagnon und Schlagzeuger Patrick Carney an minimalistischen, schleppenden Rhythmen feilen, stolzieren RZA und Reakwon, Mos Def, Q-Tip und Pharoa Monch durch die Tür, lümmeln sich kiffend aufs Sofa und werden langsam vom herben Charme der E-Gitarre gepackt.

Grizzly Bear, Veckatimest (Warp)

Wo die Fleet F

oxes im letzten Jahr aufgehört haben, macht das Quartett aus Brooklyn auf seinem dritten Album weiter: Psychedelischer Kammerpop, Chorgesang im Stile der Beach Boys und verästelter Elektrofolk haben sich voll entfaltet und der Band den Durchbruch verschafft.

Von den Kollegen der Fleet Foxes als „Album des Jahrzehnts“ gefeiert, steht „Veckatimest“ für den seit ein paar Jahren anhaltenden Boom der Independent-Szene von Williamsburg, der Hits auch mit komplexen musikalischen Formen ohne eingängige Melodien gelingen.

Phantom Band, Checkmate Savage (Chemical Underground)

„Sehr lange funktionierte unsere Musik überhau

pt nicht“, gesteht der Gitarrist. Zu viele Querköpfe, zu viele Ideen. Das Sextett aus Glasgow wechselte so lange Namen und Stile, bis es sich selbst nicht mehr zu fassen bekam. Auftritte arteten in öffentliche Proben aus, bei denen das Kollektiv aus studierten Juristen, Sozialarbeitern und Lehrern weiße Schutzanzüge trug.

Das Debütalbum der spielwütigen Chaostruppe ist ein alchimistisches Feuerwerk. Aufgenommen im Studio von Franz Ferdinand – als die gerade nicht da waren - verbindet es Krautrock, britischen Folk, Doo-Wop und Elektro.

The XX, XX (XL/Beggars)

In England ha

t diese junge Band einen Hype ausgelöst. Sie stellt trotz optischer Übereinstimmung den Gegenentwurf zum in die Saiten dreschenden Retropunk dar, denn die vier stets in schwarz gekleideten Londoner setzen auf Minimalismus und Transparenz. Der melancholische Duettgesang von Romy Madley Croft und Oliver Sim gibt dem Debüt „XX“ einen düsteren Zauber. Leider hat der ganze Trubel das Schulfreunde-Quartett mittlerweile auseinandergerissen: Keyboarderin und Gitarristin Baria Quereshi hat die Band verlassen. The XX machen als Trio weiter.

Um „das beste Album des Jahres“ aus den verbliebenen Anwärtern herauszufiltern, wird sich im Januar eine neunköpfige Jury zu vertraulichen Beratungen zurückziehen. Die Bekanntgabe des Preises findet auf dieser Website statt.

Außerdem waren nominiert:

Antony & The Johnsons, The Crying Light (Rough Trade)
Er trat in den Pop als das große Andere, ein absonderliches transsexuelles Wesen, das sich früh schminkte und in Gothic-Klamotten zur Schule kam, wo es von Mitschülern mit Steinen beworfen wurde. Zwischen den Drag Queens und in den Undergroundclubs von New York lebte Antony Hegarty auf. Wobei vor allem seine wimmernde Stimme für Furore sorgte. Wenn Elvis Presley die Hautfarben transzendiert hat mit einer Stimme, die klang wie die eines Schwarzen, vereint Antony auch noch beide Geschlechter. Sein samtweicher Tenor ist alles: schwarz, weiß, männlich, weiblich. Mit seiner dritten Platte entwirft der 38-Jährige die Vision einer naturmystischen Verschmelzung, die ihn von dem Makel erlöst, ein Außenseiter zu sein.

Bombay Bicycle Club, I heard the Blues, but I shook them loose (Universal)
Schon der Titel ihres Debütalbums lässt keinen Zweifel aufkommen, dass hier Kenner der Pophistorie am Werk sind. Zitiert wird eine Verszeile aus der ersten LP der stilprägenden HipHop-Combo A Tribe Called Quest. Durch das Dutzend Gitarrenpop-Songs vom Bombay Bicycle Club zieht sich eine Lichterkette an Verweisen. Umso erstaunlicher, dass das Quartett aus London gerade erst der Under-Ager-Szene minderjähriger Pop-Afficionados entwachsen ist. Produziert hat das Ganze Jim Abbiss, der auch schon den Debüts von den Arctic Monkeys, Editors und Kasabian den letzten Schliff verliehen hat.

The Dead Weather, Horehound (Sony)
Hinter dem Bandnamen verbirgt sich die neue Soupergroup um Tausendsassa Jack White. Der White-Stripes- und Raconteurs-Gitarrist ist eben noch in dem Film „It might get loud“ als wilder Erneuerer des Blues gefeiert worden, da greift er zu seinem ursprünglichen Intsrument – dem Schlagzeug. An der Gitarre steht ihm Dean Fertita von den Queens of the Stone Age allerdings in Nichts nach. Und mit The Kills-Sängerin Alison Mosshart ist eine Furie des Postpunk dabei. Vielleicht bleibt „Horehound“ das einzige Album des Ensembles, doch es gräbt im Blues nach einer Brutalität und Härte, die Heavy Metal schon lange nicht mehr aufbringt.

Dear Reader, Replace Why with Funny (City Slang)
Noch ein Debüt: Cherilyn MacNeil und Darryl Torr kommen aus einer gated comunity von Johannesburg. „Ich höre kein Kwaito, geboren wurde ich nicht in Soweto“, singt MacNeil und erklärt damit, warum ihre Musik, statt sich an folkloristischen Wurzeln abzuarbeiten, Teil der Indienationale ist, also jenes globalen, von Genres entkoppelten Pop-Sounds, der nach dem Zerfall der Tonträgerindustrie zur Weltmusik aufgestiegen ist. Produziert wurde das mit Waldhörnern, Glockenspielen, Chören und Streichern üppig instrumentierte Album von Brent Knopf, der als Mitglied der Indie-Band Menomena aus Portland, Oregon, das Bindegleid zur einer Hochburg dieser Musik darstellt, einer Musik, die klinge, als wäre man – wie MacNeil erläutert, „so erfüllt, dass man explodieren könne und dann über sich selbst lachen bei dem Gedanken, was für ein melodramatischer Hirni man doch ist“.

Ebony Bones, Bone of my Bones (PIAS)
Soap-Sternchen sattelt auf Sängerin um. Ebony Thomas, Jahrgang 1982, hat schon eine Karriere als TV-Star hinter sich, als sie im Sommer ihr Debütalbum unter dem Namen Ebony Bones veröffentlicht. In 53 Episoden der TV-Serie „Family Affairs“, einer britischen Entsprechung zur „Lindenstraße“, hat sie mitgewirkt. Als die Sendung 2005 eingestellt wird, geht Miss Thomas ihrer Leidenschaft für knallbunte selbstgemachte Fantasiekleider - und noch verrücktere Songs nach. Auf peitschenden House-Beats zelebriert sie ein flippiges Diskotheater.

Empire of the Sun, Walking on a Dream (EMI)
Den Preis für die verrückteste Kostümierung haben die beiden Australier Luke Steele und Nick Littlemore bereits gewonnen. Mit Fantasie-Uniformen, Federschmuck im Haar und futuristischem Hippie-Gestus inszenieren sie sich als kosmische Sternwanderer. Retrofuturistisch auch ihre Musik: kalte Synthesizer-Hymnen, entrückter Gesang. Das erinnert stark an den Neonglanz der achtziger Jahre, wobei die Fantasie stärker ist als das Original.

Fleur Earth Experiment, Soul des Cabots (Melting Pot Music)
In der DDR und im Kongo liegen die Wurzeln von Fleur Mouanga, der Sängerin und Frontfrau dieser sechsköpfigen Band aus Köln. Auf ihrem Debüt spielt sie einen lässig groovenden Soul mit deutschen Texten. Der Albumtitel bedeutet so viel wie „Straßenkötersoul“, was diese Musik sehr gut umschreibt. Denn sie teilt zwar einige Schlüsselreize mit Neo-Soul-Größen wie Joy Denalane, doch anstelle des glatten, perfekt arrangierten Sounds pflegen Fleur Earth Experiment das Dreckige, und Eckige.

Richard Hawley, Truelove’s Gutter (Mute)
In Sheffield zu leben, scheint bei empfindsamen Naturen auf’s Gemüt zu schlagen. Nach „Coles Corner“ und „Lady’s Bridge“ hat Richard Hawley bereits zum dritten Mal ein Album nach einem Ort in seiner Heimatstadt benannt, und die Songs dazu werden immer düsterer. Der 42-Jährige, der in den Neunzigern erst bei der völlig erfolglosen Band Longpigs und dann an der Seite von Jarvis Cocker bei den sehr erfolgreichen Band Pulp gespielt hat, versinkt mit seiner steinerweichenden Croonerstimme in einem Meer der Melancholie. Dazu braucht er nicht mal mehr die sinfonischen Arrangements der Vorgängeralben, was den bis zu elfminütigen Songs auf „Truelove’s Gutter“ eine unentrinnbare Direktheit verleiht.

Inner Space, Kamasutra (Crippled Dick)
Kobi Jaeger drehte 1968 im Zuge der „sexuellen Revolution“ einen der damals üblichen „Aufklärungsfilme“. Jetzt erscheint erstmals der Soundtrack zu dem zu Recht vergessenen Erotikwerk. Der ist zwar ähnlich unspektakulär. Aber die ausgedehnten Improvisationen, pseudoasiatischen Klangflächen, schräg-bluesigen Sequenzen und stoischen Rhythmen deuten bereits an, was ein Jahr später aus den Musikern werden sollte: Die legendäre Kölner Band Can.
 
Patrick Watson, The Wooden Arms (Universal)
Man neigt dazu, Patrick Watson als Soloprojekt eines verschrobenen Singer/Songwriters am Piano zu betrachten, der das Glück einer exzellenten Begleitband hat. Tatsächlich wäre Watsons Virtuosität – er hat klassisches Klavier studiert und danach viel Jazz gespielt – wohl nicht erblüht, wenn er nicht auf seine drei Mitstreiter getroffen wäre. Auf dem zweiten Album der Formation zeigt sie, was sie wirklich kann. Nach monatelangem Touren geht sie ins Studio, wo Watsons brüchiger Gesang, die filigrane Theatralik seiner Songs sowie das Wechselbad aus Kammermusik, Jazz und Rock in einen hypnotischen Strudel geraten.

Wu-Tang-Clan meets the Indie Culture Vol. 2 (iHipHop)
Die einflussreichste und innovativste HipHop-Crew der neunziger und frühen nuller Jahre und die düsterste Clubmusik der Jetztzeit treffen aufeinander, das Ergebnis klingt erstaunlich. RZA, GZA, Method Man und die ihre Mitstreiter aus New York/Staten Island, das sie selber als „Shaolin“ mystifizieren, haben ihr Track-Material von Dubstep-DJs aus London remixen lassen. Ultratiefe Bässe, melodramatische Syntesizerfanfaren, elegische Chöre lassen eine sehr atmosphärische, fast filmische Musik entstehen. Dazu werden Gewaltfantasien und „Nigga“-Selbstbezichtigungen gerappt, einmal hört man den klickenden Aufprall einer leeren Patronenhülse auf dem Boden. Schön auch ein fast philosphisches Mantra: „inhale – exhale.“ Einatmen, ausatmen. Weiter leben. 

Yeah Yeah Yeahs, It's Blitz (Universal)
Berühmt wurde das New Yorker Duo mit krachigem Neopunk. Doch wenden sich Sängerin Karen O, Nick Zinner und Brian Chase schon nach zwei Alben gelangweilt von kurzen, stürmischen Rocksongs ab und stattdessen Synthesizern zu. Es entsteht ein Dance-Album, das, von E-Gitarren flankiert, den Freudentaumel der Disko transzendiert. „Heads Will Roll“, lautet das Versprechen.


Die Jury

Andreas Müller (Moderator), Arne Willander, (Rolling Stone), Bernd Begemann (Musiker), Carsten Wehrhoff (Radioeins), Christian Schröder (Tagesspiegel), Christian Seidl (BamS), Christine Heise (freie Musikjournalistin), Christof Ellinghaus (Cityslang), Esther Kogelboom (Tagesspiegel), Detlef Diederichsen (Haus der Kulturen der Welt), Elissa Hiersemann (Radioeins), Gudrun Gut (Musikerin), Guido Moebius  (Musiker, Promoter), Helmut Heimann (freier Musikjournalist), Jens Balzer (Berliner Zeitung), Johnny Waechter (SZ-Magazin), Jörg Wunder (Tagesspiegel), Jürgen König (Radioeins), Kai Müller (Tagesspiegel), Laf Überland (freier Musikjournalist), Lorenz Maroldt (Tagesspiegel), Markus Hablizel (freier Musikjournalist), Martin Böttcher (freier Musikjournalist), Martin Rabitz (Trinity Concerts), MC Lücke (Radioeins), Nadine Lange (Tagesspiegel), Patrick Wagner (Louisville Records), Peter Radszuhn (Radioeins), Robert Stadlober (Schauspieler, Musiker), Ruben Jonas Schnell (ByteFM, NDR), Simon Brauer (Radioeins), Steen Lorenzen (Radioeins), Thomas Gross (Die Zeit), Tobias Rapp (Der Spiegel), Uwe Viehmann (Netzjournalist), Vivian Perkovic (freie Musikjournalistin), P.R. Kantate (Musiker), Heiko Zwirner (tip).

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