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Konzertkritik: Dick Dale im Roadrunner's Club

Wie cool kann einer noch mit 73 sein! Wie laut! Und wie beeindruckend als Gitarrist! Dick Dale kann es noch wie früher, wie vor 50 Jahren. Vielleicht sogar noch besser.

Vorglühen im proppenvollen Roadrunner's Club: mit der heißen Berliner Punkabilly-Truppe "Bonsai Kitten", Bier und Rock 'n' Roll. Nach der Umbaupause noch mehr Hitze, Gedränge und Gequetsche im Saal, noch mehr Lautstärke von der Bühne. Ein ruppig knurrender Bass, treibendes Schlagzeug. Eine kompakte Rhythmustruppe, zwei junge Wuschelköpfe, zimmern ein kräftiges, stabiles Fundament aus solide rockendem Blues.

Von irgendwo schreit eine elektrische Gitarre in Höllenlautstärke. Woher kommt die? Noch nicht zu sehen. Doch, da kommt Dick Dale, während er seine goldglitzernde Stratocaster mit einem schweren Riff bearbeitet, zu den beiden jüngeren Begleitern auf die Bühne gestiegen. Groß und aufrecht, in schwarzer Lederjacke, mit Stirnband und langem, schütterem Pferdeschwanz, lässig tänzelnden Rockerbewegungen und einer Mimik wie in Stein gemeißelt.

Wie cool kann einer noch mit 73 sein! Wie laut! Und wie beeindruckend als Gitarrist! Dick Dale kann es noch wie früher, wie vor 50 Jahren. Vielleicht sogar noch besser. Mit allen Wassern gewaschen.

Am 4. Mai 1937 in Boston geboren, hatte er in den frühen 60er-Jahren mit seiner Gruppe The Del-Tones eine Menge exquisiter Singles und LPs veröffentlicht. Und gilt seitdem als "King of Surf Music". Er selbst hatte allerdings nie so recht gewusst, was das eigentlich sein soll: "Surf-Musik"?

Man hätte es auch "Dschungel–" oder "Tiger-Musik" nennen können, hatte er im Interview erzählt - weil er und seine Gitarre manchmal fauchen wie ein Raubtier. Damals musste wohl einfach ein Name her für diesen außergewöhnlichen Instrumentalstil - ein auffälliges, selbstklebendes Etikett: "Surf Music".

Müsste man heute jemandem den Begriff "Surf Musik" erklären, würde man antworten: So wie Dick Dale Gitarre spielt, das ist Surf: Der Sound einer Stratocaster durch einen alten Fender-Röhren-Verstärker mit starkem Hall und Vibrato. Mit dem gewissen Twang in den tiefen Lagen und metallisch scharfem Kreischen in den höheren.

Darauf versteht Dale sich immer noch ausgezeichnet. Auf seinen speziellen Dick-Dale-Sound, dessen individuelle Spieltechnik kaum nachzuahmen ist. Als Linkshänder spielt er zwar eine entsprechende optisch "spiegelverkehrte" Gitarre, allerdings sind deren Saiten in umgekehrter Reihenfolge aufgezogen - als hätte er eine reguläre Rechtshänder-Gitarre einfach umgedreht. Und plötzlich steht alles auf dem Kopf.

Ein weiteres Markenzeichen des Dick-Dale-Surf-Sounds sind seine extrem dicken Saiten, die er trotzdem noch mit kräftigen Fingern auf dem Griffbrett zerrt und zieht und vibrieren lässt, zu knochentrockenem Stakkato-Anschlag mit dem Plektrum, manchmal wie ein schnelles Mandolinen-Tremolo.

Dale spielt ein endloses Medley aus seinen unzähligen alten Songs – immer nur ein paar Takte eines vertrauten Themas - und weiter zum nächsten Stück. Ein paar zugeglühte Fans brüllen ständig "Nightrider! Nightrider! Nightrider".

"No", sagt Dale, das spielt er nicht. Will er nicht. Da bleibt er stur. Er habe nie eine Setliste, und jeden seiner Songs würde er ohnehin jedes Mal anders spielen. Statt "Nightrider" gibt es "Ghostriders In the Sky", kurz angespielt, und schon ist da wieder ein neuer Einfall, ein anderer Song, während der "King Of Surf" lässig über die Bühne stolziert, Indianergeheul anstimmt, mit der Faust in die Luft boxt.

Ganz viel scheint unmittelbar aus dem Moment heraus zu entstehen: alles wird ineinander verwoben: Hendrix' "Foxy Lady"-Riff, Link Wray's "Rumble", eine fröhliche Country-Nummer, mit von oben aufs Griffbrett getupften Flageoletts, Flamenco-Anklänge. Ein bisschen "Smoke On The Water", sowie ein Tribut an den großen Johnny Cash mit "Folsom Prison Blues" und ein gesungenes "Ring Of Fire"-Fragment. Fetzen von Ray Charles' "What'd I Say". "Louie, Louie", "House Of The Rising Sun", "Hey Bo Diddley", "Who Do You Love", "Shake Rattle And Roll und eine rührende mexikanische Jukebox-Schnulze. Dazwischen immer wieder die schönen alten, eigenen Sachen: "Surf Beat".

Mit faszinierender Leichtigkeit und ganz ungeplant schüttelt der coole alte Mann die Stückchen aus dem Ärmel. Und die Begleiter ziehen kräftig mit, wissen sofort, wo's langgeht, wenn Dale mit kurzem Kopfnicken und Handzeichen die Richtung weist.

Dazwischen bläst er Mundharmonika und Trompete, gibt eine witzige Louis-Armstrong-Persiflage, macht wirbelnde Kunststückchen am Schlagzeug, behämmert mit den Stöcken rhythmisch den Bass seines Mitmusikers. Und wenn er spürt, dass er gesanglich nicht ganz auf der Höhe ist, lässt er einfach die Fans weitersingen. "Bring It On Home To Me". Nach satten anderthalb Stunden, kommt noch "Misirlou", das rasante Instrumentalstück, durch das Dick Dale mit Quentin Tarrantinos Film "Pulp Fiction" auch beim jüngeren Publikum bekannt wurde, und das ihm heute begeistert an der Gitarre hängt.

Dale, der schon zweimal den Krebs besiegt hat, ist ein zäher Bursche, ein echter Rock 'n' Roller, den offenbar nichts so schnell umhaut. Ein außerordentlicher Musiker, einer der großen Überlebenden. Und einer der großen "Unabhängigen", der nicht müde wird, jungen Nachwuchsmusikern immer wieder den guten Rat zu geben, sich nicht an die Musikindustrie zu verkaufen. Recht so.

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