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© dpa

Konzertkritik: Jan Delay: Ich möchte, dass ihr meine Lieder mitsingt

Jan Delay verkauft zwar nicht so viele Platten wie Peter Fox, bringt aber mit seiner großartigen Band Disko No. 1 einen Laden wie die Columbiahalle allemal zum Kochen.

Was wäre das Leben ohne Herausforderungen? Jan Delay etwa geht die Tatsache, dass ihm Peter Fox den Rang als Deutschlands Rapper Nummer eins abgelaufen hat, sportlich an. Von der Papierform her hat Hamburgs Primus wenig Chancen: Delays aktuelles Album „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ blieb weit hinter den Verkaufszahlen von Fox‘ „Stadtaffe“ zurück. Und wo dem Seeed-Sologänger durch sprachliche Verdichtung zeitgenössische Großstadtpoeme gelingen, reserviert Delay seine originellen Begriffsverknüpfungen für das redundante Abbilden mikrokosmischer Szene-Befindlichkeiten.

Doch jetzt ist Konzert. Und aus allen Nähten platzender kann die Columbiahalle gar nicht sein. Fashiontechnisch gibt es volle Punktzahl: Jan Delay wirkt mit strahlend weißem Anzug samt festgewachsenem Hut, purpurfarbenem Hemd und Brilli im Ohr wie aus dem Ei gepellt. Ein schelmischer Discoking, der seine Untertanen mit funkelndem Szepter dirigiert. Seine Band Disko No. 1 unterwirft sich dem modischen Diktat und präsentiert eine Kollektion, deren Farbspektrum von zartem Taubenblau bis zu kräftigem Karmesinrot reicht. Eine zehnköpfige Begleitband ist noch nichts Besonderes, aber selten wird deren Potenzial so ökonomisch ausgenutzt.

Drummer Jost Nickel und Bassmann Ali Busse verlegen ausgehärtete Rhythmus-Fundamente, über die Loomis Green, die Gitarre im vertikalen Anschlag haltend, sauber verfugte Funk-Licks hochmauert. Keyboarder Love Jones zieht massive Zwischendecken ein, während das agile Posaune-Trompete-Saxofon-Trio für Belüftung sorgt. Über allem aber schweben die Stimmen von Esther Cowens, Ngone Thiam und Myra Maud: Backgroundsängerin wäre als Berufbezeichnung eine Herabwürdigung für die Grazien, die in schimmernden Paillettenkleidern über die Bühne wirbeln und das dauernasale Genöhle ihres Chefs durch geschmeidige, an Soul-Göttinnen wie die Supremes erinnernde Gesangssätze konterkarieren.

Mehr Steilvorlagen kann man sich kaum wünschen als Bandleader. Eine Rolle, an der Jan Delay mit ironischer James-Last-Gestik Gefallen findet. Er verausgabt sich vorbildlich: Hat tanzend, rappend, armewedelnd, powackelnd bald das feine Hemd durchgeschwitzt und kämpft lustvoll um die Begeisterung des ja oft als reserviert geltenden Berliner Publikums. Seine Stichelei, als die Leude bei „Large“ nicht enthusiastisch genug mitkreischen, hier seien es ja wie in Dortmund oder Balingen, steckt das ausgelassene Auditorium genauso locker weg wie Walter-Momper-Witze oder die Falschbezeichnung einer stadtbekannten Currywurst-Institution als „Kaluppke“. 

Die Wucht des hervorragend gemischten Sounds tut allen Songs spürbar gut, auch wenn Delays parasitäre Herangehensweise an die Musikgeschichte noch deutlicher wird. Aber wenn zu den Beats von House Of Pains "Jump Around" oder MC Hammers „U Can‘t Touch This“, das ja selbst schon geklaut war, die Halle bebt, fallen Originalitätsvorbehalte kaum ins Gewicht. Wie es sich für eine gute Party gehört, steigert sich die Hitdichte: Auf den Freeze-Dance von „Disko“ mit eingebautem Eddie-Van-Halen-Gedächtnis-Gitarrensolo folgt das rasante „Oh Johnny“, der zehnminütigen Bandvorstellung mit putzigen Rapeinlagen fast aller Mitglieder jagt das superfunkige „Klar“ hinterher, das Delay mit propellerndem Mikrofonarm zum tosenden Finale treibt.

Aber noch ist nicht Schluss: Die melodramatische Feuerzeugballade „Hoffnung“ ist verdammt nah an Westernhagen und Naidoo gebaut, aber vielleicht auch der Larger-than-Life-Popmoment, der aus einem Genrehelden einen Star für die Allgemeinheit macht. Delay und Disko No. 1 bedanken sich für den Jubel mit einem wüsten „Pump up the Jam“-Rave und der „Remmi Demmi“-Verbeugung an die Kollegen Deichkind, ehe nach fast zwei Stunden der Sternenhimmel aufgeht: Vor zehn Jahren hat Jan Delay Nenas paradigmatischen Achtziger-Hit „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ in eine zeitlupenhafte Reggae-Nummer verwandelt. Ein Geniestreich, mit dem man immer noch Tausende glückstrunken nach Hause schicken kann.

Jörg W, er

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