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Westernhagen ohne Hut und stromlinienförmige Designerklamotten.

© dpa

Konzertkritik: Westernhagen im Postbahnhof

Westernhagen schiebt die runde, rosarot getönte Brille hoch, greift sich das Mikro - die Band rockt formidabel mit den vielen Gitarren, Bass, Schlagzeug, Saxofon, Hammond-B3 und einem Backgroundsängerpaar

Einige Verzweifelte stehen vor dem Postbahnhof, fragen flehentlich, ob man nicht noch eine zweite Einladung hätte, ob man sie mit reinnehmen könne?

Drinnen gibt Westernhagen ein exklusives Clubkonzert für etwa 500 geladene Gäste: Presseleute, Fanclub, Freunde und Geschäftspartner von Air Berlin, des Sponsors der bevorstehenden Westernhagen-Tour, die am 8. Oktober in der Mannheimer SAP Arena beginnt, und die ihn nach sechs Jahren Tournee-Pause wieder durch diverse Großarenen führen wird. All die scheußlichen, seelenlosen Sporthallen, die mehr für Boxkämpfe, Eishockey und Basketball taugen als für Konzerte.

Umso erfreulicher ist es natürlich für die wenigen Privilegierten, den vielleicht größten deutschen Rockstar Westernhagen, einmal im intimeren Rahmen erleben zu können: ganz dicht dran, mit lebensgroßen Akteuren auf der Bühne, ohne meterhohe Videoleinwände und den ganzen sonstigen aufgeblasenen wagnerianischen Stadion-Schnickschnack. 

Um viertel nach zehn kommt eine Band auf die Bühne, ohne Intro-Bombast, ohne Rauchzeichen - lässig, cool, Rock 'n' Roll. Ziemlich jung sehen sie aus, drei Gitarristen an der Rampe. Ist das die Vorgruppe? Nein - da kommt Westernhagen aus der Tiefe der Hinterbühne nach vorne gedribbelt. Und sieht gar nicht mehr so aus, wie er auf den letzten Tourneen noch ausgesehen hatte: kein, Hut, keine stromlinienförmigen Designerklamotten. Dafür ein übergroßes, weißes XXL-Herrenoberhemd mit riesigem Kragen. Die Haare hat er etwas loddelig lang nach hinten in den Nacken wachsen lassen, was ihm mit seinem Oberlippenkinnbart nicht mehr so dandygeckenhaft wie früher aussehen lässt, eher ein bisschen prollig. Oder ist das jetzt sein spezielles "Kleiner-Clubgig-Outfit"?

Egal. Er schiebt die runde, rosarot getönte Brille hoch, greift sich das Mikro unter tosendem Jubel der Fans vom Fanclub und knödelt in seiner unverwechselbaren Westernhagen-Art: "Jesus, gib mir dein Leben..." Und die Band rockt formidabel mit den vielen Gitarren, Bass, Schlagzeug, Saxofon, Hammond-B3 und einem Backgroundsängerpaar.

Er schaffelt sich rein in eine Art deutsche Version von Chuck Berrys "Sweet Little Sixteen, wobei die Band stark an eine Kreuzung aus den Stones und den Faces erinnert. Oder auch den Black Crowes, wenn man will. "Es geht mir gut" heißt der Song von 1994, und dem 61-jährigen Westernhagen scheint es tatsächlich gut zu gehen. Er lacht und freut sich über die enthusiastischen Fans, die die Arme nach ihm recken, und über seine rasante Band, die in schwerem Boogie vorangrummelt mit kreischendem Slide-Gitarren-Solo.

Der Sänger wirft das große Hemd von sich, steht jetzt nur noch da in schwarzem T-Shirt und schwarzem Schal und schnulzt zur Akustikgitarre: "Durch deine Liebe". Willy DeVille hätte so etwas singen können, bei Westernhagen klingt es ein bisschen schlagerig nach Roland Kaiser.

Die Band, die hauptsächlich aus Amerikanern besteht, wird immer besser. Einer der Gitarristen wechselt an Keyboards, ein anderer spielt zu einer Ballade feine Pedal-Steel-Licks auf der Stratocaster, und sein Passmann schlittert rasant mit dem Bottleneck über den Hals einer Duesenberg-Gitarre.

"Wir haben drei Wochen geprobt, und es war als legte ich mich in ein Bett mit Seidenbezügen", schwärmt Westernhagen von seinen Musikern, "diese Jungs sind unglaublich!"

Ja, sie sind wirklich gut, obwohl sie eigentlich mehr kratzig klingen als seidig. Die ideale Ergänzung zum stimmlos knödeligen Shouten ihres Frontmanns. Das instrumentale Ende von "Alleine" haben sie dann tatsächlich fast notengetreu bei "Stay With Me" von den Faces ausgeliehen.

Und immer wieder pustet der alte englische Haudegen Frank Mead ins Saxophon, dessen feuriges Tröten wir erst kürzlich hier im Postbahnhof mit Bill Wyman's Rhythm Kings bewundern konnten.

"Hey Hey" kreischt Westernhagen im gleichnamigen Song von seinem jüngsten Album "Williamsburg". Er könnte auch "Hey Bo Diddley" singen, von dem der Beat stammt und von dem das Stück befeuert wurde. Wie andere von Muddy Waters. Oder von Eric Burdon and War, mit Wah-Wah-Schmackel-Schmackel-Funk-Gitarre.

Westernhagen raspelt seine alten Hits "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" und "Sexy" als wären sie ganz neu und frisch, woran natürlich auch die exquisite Band gehörigen Anteil hat.

Der Postbahnhof rockt und nach 28 Songs in über zwei Stunden sind alle erschöpft und zufrieden. So gut kann es in einer Sportarena niemals werden.

Westernhagen "Live 2010":

8.10. Mannheim – SAP Arena

10.10. Stuttgart – Schleyerhalle

11.10. München – Oympiahalle

13.10. Frankfurt – Festhalle

16.10. Köln – Lanxess-Arena

17.10. Dortmund – Westfalenhalle

20.10. Leipzig – Arena

21.10. Berlin - O2 World

24.10. Hannover – TUI Arena

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