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Madonna

© AFP

Madonna wird 50 - na und?: Alter? Ego!

Golf, Praktikum, Umhängetasche: Warum endlich Schluss sein muss mit dem Generationen-Gerede. Eine Polemik. Und ein Geburtstagsbuch für die Pop-Diva Madonna.

André Gorz beginnt sein Büchlein „Brief an D.“ mit den Worten: „Bald wirst Du jetzt zweiundachtzig sein ... Du bist um sechs Zentimeter kleiner geworden, Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und immer noch bist Du schön, graziös und begehrenswert.“ Von etlichen Kommentatoren eines anderen Geburtstags wird heute vielerorts ungefähr Folgendes zu lesen sein : Madonna wird heute unglaubliche 50 Jahre alt und sieht in ihren hautengen Leggins immer noch besser aus als der Großteil der 20-Jährigen, die – nur halb so gelenkig wie die Queen of Pop –, derzeit überall auf der Welt auf deren aktuelle Hitsingle „Give It 2 Me“ tanzen.

Es mag etwas weit hergeholt sein, die literarische Liebeserklärung des französischen Philosophen an seine lebenslange Liebe, mit der er gemeinsam in den Freitod ging, und die Floskeln zeitgeisterschöpfter Journalisten in einen Abschnitt zu werfen. Und dennoch umschließen sowohl die intime Liebeserklärung wie die routinierte Hommage einen gemeinsamen Sehnsuchtskern: den der Unvergänglichkeit von Schönheit, von Achtung und Beachtung, von Geliebtwerden. Immaterielle, zeitlose Werte also.

Jedoch – und hier endet die Parallele: Die Zeit scheint endgültig vorbei zu sein, in der Sehnsüchte sich ohne einen wie auch immer gearteten Akt des Konsums ins eigene Erleben überführen ließen. Das Zeitlose vulgarisiert sich zur Alterslosigkeit, die wiederum nur in einem Klima absoluter Altersfixiertheit zum Statussymbol werden kann. Eines, das man sich mühsam erarbeiten muss.

Noch keine 15 Jahre ist es her, da gaben vor allem Frauen ab einem ihnen schlüssig scheinenden Punkt ihr Alter einfach nicht mehr an oder schenkten sich ein paar Jährchen. Bei Schauspielerinnen hieß das im Branchenjargon „Spielalter“. Das konnte gut und gerne bis zu zehn Jahre mehr oder weniger umfassen. In der Regel eher weniger. Seitdem das Internet mit all seinen biografischen und lexikalischen Einträgen diese Hintertür dauerhaft verriegelt hat, laboriert man nicht mehr an Zahlen, sondern am Körper und an Gesichtsteilen, an Lebensgewohnheiten und styling statements, um so alt auszusehen, wie man sich fühlt.

Allerdings schnappt auch hier gleich wieder die Dialektikfalle zu: Frauen wie Madonna sehen für 50 gut aus, was sie mit 20 für 20 vielleicht gar nicht so unbedingt taten. Oder – um den alten Chauvi-Kalauer „Die muss erst mal so alt werden, wie sie jetzt schon aussieht“ zu variieren: Diese Frauen müssen erst mal so jung gewesen sein, wie sie jetzt wieder aussehen.

Begriffe man jedwedes Alter als Aggregatzustand der Persönlichkeit oder gar als Seele und nicht als Festigkeitsgrad von Binde- wie Bindungsgewebe, wie herrlich ließe sich ein zuordnungsfreies Leben führen. Eine Generation, das wären einfach nur die 20, 30 Jahre, die einen nach oben von den Eltern und nach unten von den Kindern trennen. Hinzu kämen höchstens noch die Zäsuren von Katastrophen historischen Ausmaßes.

Über die unmittelbare Nachkriegsgeneration schrieb Wolfgang Borchert 1946 in seinem kurzen Prosastück „Generation ohne Abschied“: „Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist Abgrund.“ Ja, genau jener Wolfgang Borchert, mit dem ein paar Jahrzehnte später die Generation Gesamtschule von Deutschlehrern so lange gequält wurden, bis sie sich kollektiv dem Golfkauf zuwandte. Jener Borchert, an den sich die „Generation Praktikum“ nur dunkel erinnert, weil sie hauptberuflich die Eltern um Unterhalt anbetteln muss und von dem die „Generation Doof“ wahrscheinlich annimmt, er sei mal Bundeskanzler gewesen. Ein Accessoire wie das der Generation Umhängetasche hat er wahrscheinlich auch nie getragen.

Wolfgang Borchert ist 1947 mit 26 Jahren gestorben, in einem Alter, in dem die Verfasser all dieser – nunja wir nennen es Bücher über ihre jeweilige Generation darüber nachzudenken begannen, wie man den Begriff konsequent entkernen kann. Wie bei jeder Luxussanierung, sieht es auch im Inneren der Begriffsfassade „Generation“ hübsch hässlich aus. Ein willkürlicher Stil- und Begriffsmix, in dem sich die Generationsvertreter häuslich einrichten, weil Denken zwar schön ist, aber Arbeit macht. Was man etwa bei der letzten nicht primär konsumistisch konzipierten Generation sehen kann, den 68ern, oder, wie sie inzwischen gern tautologisiert werden, den Alt-68ern.

Da war eine Menge Theorie drin. Die wollte und musste angelesen und diskursiv auf den Prüfstand gestellt werden. Diskurs, jaja, ist schon gut, lassen wir die Kampfbegriffe und bleiben wir im Bild: Natürlich gibt es auch hier, in den luxussanierten Begriffsruinen, raffgierige Makler in Gestalt von Lektoren und Redakteuren. Man sieht sie vor sich, wie sie in Verlags- und Programmkonferenzen unruhig auf und ab gehen, um bei Gelegenheit zu rufen: „Hat mal wieder jemand eine neue Generation am Start? Irgendwas mit hohem me too-Faktor?“ Konsumistisches Trotteltum ist jedoch nicht nur in den hauptberuflichen Generationsmanufakturen auszumachen: Dazu reicht die Erinnerung an Hubertus Heil, wie er auf dem Zukunftskongress der SPD in Nürnberg eher erfolglos versuchte, die Genossen zum Skandieren von „Yes! We! Can!“ zu bewegen.

Aus der Geborgenheit im Ritual althergebrachter Strukturen ist ein Stochern im Nebel auf dem Allgemeinplatz geworden. Irgendwo hofft man, auf ein Stück Identität zu treffen, auf einen Begriff, der mehr ist als nur ein Wort, also eine Verheißung. Das allerdings kann weder Latte Macchiato noch Lebensabschnittspartner noch Botox noch Aszendent sein.

Wie also könnte es gehen? Vielleicht lohnt sich der Blick in die USA. Wenn man dort einen Job sucht, ist man angehalten, seine Erfahrung und seine inhaltliche Qualifikation ins Formularfeld zu führen. Nicht angeben hingegen darf man in seinem Lebenslauf unter anderem seine Größe, sein Gewicht, seine Charaktereigenschaften und übrigens auch nicht sein Alter (und damit das Sternzeichen). Wer also ernsthaft und diskriminierungsfrei bei der Selbsterkenntnis vorstellig werden möchte, kann das ja mal so herum probieren. Ein Abenteuer wäre es allemal.

Die Autorin leitet die Medien- und Künstleragentur „Barbaralla“ mit Sitz in Köln und Berlin.

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