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König, Ritter, Edelmann. So sah Jackson sich selbst – und ließ sich entsprechend für seine Privatkollektion porträtieren. Foto: cinetext

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Michael Jackson: Verrannt in alle Ewigkeit

Zombie-Pop zwischen den Stilen: Heute erscheint Michael Jacksons posthumes Album "Michael". Schon die vorab veröffentlichte Single "Hold My Hand" ließ Schlimmes befürchten.

Von Jörg Wunder

Ein einziges Video erklärt, warum „Michael“, die erste posthume Platte mit unveröffentlichten Songs von Michael Jackson, unvermeidlich war. Zu „We Are The World“, dem von Jackson mitkomponierten Benefizsong aus dem Jahr 1985, findet sich ein spektakuläres Allstar-Ensemble im Studio ein: Lionel Richie, Ray Charles, Tina Turner, Stevie Wonder, Diana Ross, Bruce Springsteen, Bob Dylan und etliche weitere Berühmtheiten geben sich buchstäblich das Mikrofon in die Hand. Und dann rückt die geballte Pop- Prominenz respektvoll beiseite, als er die Bühne betritt: Michael Jackson, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn.

„Thriller“ entwickelt sich gerade zum bestverkauften Album aller Zeiten. Jackson ist 26 Jahre alt, strahlend schön, ein begnadeter Sänger und Tänzer. Er ist Mitte der Achtziger tatsächlich, was er in künstlerischer Hinsicht nie wieder wurde, als Projektionsfläche aber bis heute geblieben ist: der größte Popstar der Welt.

Bei jeder verstorbenen Popberühmtheit von Jimi Hendrix und Johnny Cash bis zu Kurt Cobain oder auch Joe Strummer machten findige Geschäftsleuten zu Lebzeiten unveröffentlichte Aufnahmen der Nachwelt zugänglich. Wie könnte da der berühmteste von allen mit fünfzig sterben, ohne dass versucht würde, aus seiner Hinterlassenschaft maximalen Profit zu schlagen?

So überraschte es kaum, als der Michael Jackson Estate einige Monate nach Jacksons Tod einen 250 Millionen Dollar schweren Deal mit Sony Music bekannt gab, der bis zu zehn neue Alben mit unveröffentlichtem oder neu zusammengestelltem Material des Verstorbenen vorsieht.

Doch schon beim ersten gibt’s Probleme. Zur Veröffentlichung von „Michael“ sieht sich die Plattenfirma gezwungen, die Authentizität der Aufnahmen zu verifizieren. In der Fangemeinde rumorte es, einige der zehn „neuen“ Stücke könnten womöglich gar nicht von Jackson selbst gesungen worden sein. Gegen diese geschäftsschädigenden Gerüchte wird eine Heerschar von Spezialisten in den Zeugenstand berufen, als handele es sich um ein Gerichtsverfahren. Produzenten, Tontechniker, Musiker, Musikwissenschaftler und „prominente Personen aus der Musikindustrie“ bestätigen die Echtheit. Dann ist ja alles gut.

Oder auch nicht. Denn die Problematik von „Michael“ liegt auf einer viel tieferen Ebene. Dass kein einziger der neuen Songs an die Brillanz von Jacksons Klassikern heranreicht – geschenkt. Niemand hat wohl ernsthaft ein neues „Don’t Stop ’Til You Get Enough“, „Billie Jean“ oder „Dirty Diana“ erwartet. Doch schon die vorab veröffentlichte Single „Hold My Hand“ ließ Schlimmes befürchten. Eine seifige R-’n’-B-Ballade mit dem Rapper Akon als Duettpartner, dessen Stimme ohne die beschönigende Wirkung des Autotune-Effekts komplett gegen Jacksons immer noch elegante, etwas dunkler gewordene Phrasierung abfallen würde.

Akon, dessen Karrierezenit überschritten sein dürfte, ist eine überraschende, von Jackson selbst initiierte Wahl, die wie die weiteren Gastauftritte Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit aufkommen lassen: Weder der ausrangierte Hip-HopGangster 50 Cent, der eine längliche RapPassage zu dem soliden Dancefloorstampfer „Monster“ beisteuert, noch der abgetauchte Lenny Kravitz, dessen Gitarren- und Bassgeprotze den Rock-Crossover von „(I Can’t Make It) Another Day“ verunstaltet, gehören zur Pop-Elite des Jahres 2010. Oder auch nur zu der von 2008, als die Rohfassungen der Aufnahmen entstanden sind.

Es gibt zwei mögliche Lesarten für „Michael“, und beide sind wenig schmeichelhaft. Entweder entscheidet man sich dafür, dass die neuen Stücke reiner Zombie-Pop sind: das Resultat einer perfiden Verwertungsmaschinerie. Das hätte mit dem, was Jackson als Nachfolger für sein letztes Album „Invincible“ aus dem Jahr 2001 vorschwebte, nichts zu tun. Was die Belanglosigkeit der meisten Stücke erträglicher macht: Wer weiß, vielleicht hätte Jackson ja zu alter Form zurückgefunden und mit den richtigen Kollaborateuren – man denkt dabei eher an jemanden wie Kanye West – noch mal eine richtig große Platte hinbekommen.

Oder aber, und diese Interpretation wird von der Plattenfirma und allen Beteiligten gestützt, „Michael“ ist tatsächlich der im Sinne des Verstorbenen zu Ende produzierte Entwurf für das, was ohne seinen Tod ein reguläres Michael-Jackson-Album hätte werden können. Dann wäre es das Zeugnis eines verzweifelt um Modernität bemühten, aber komplett desorientierten Musikers. Ein beunruhigender, aber naheliegender Gedanke.

Michael Jackson war lange vor seinem Tod ein Anachronismus. Wie ein dekadenter Potentat schien der „King of Pop“ dem zeitgenössischen Musikgeschehen entrückt. Schon mit seinem 1991er-Album „Dangerous“ hatte er den Anschluss an aktuelle Entwicklungen der Black Music verpasst.

Als in der handwerklichen Tradition von Soul und Funk verwurzelter Virtuose konnte er seine Fähigkeiten in den grandiosen Arrangements, die Quincy Jones für seine drei Meisteralben „Off the Wall“, „Thriller“ und „Bad“ komponierte, optimal entfalten. Die großen Umwälzungen in den späten Achtzigern, als mit Hip-Hop neue, am Computer programmierte Produktionstechniken die hergebrachten Studio-Sessions in den Hintergrund drängten, hat Michael Jackson nie vollzogen. Da die Perfektion von „Thriller“ nicht reproduziert werden konnte, waren seine späteren Alben seltsame Zwitter – nicht wirklich aktuell, aber auch nicht mehr von der gediegenen Klasse von einst.

Unter diesem Manko leidet auch die neue Platte. Immer wieder blitzt Genialisches auf: der federleichte Doo-Wop- Einschlag von „(I Like) The Way You Love Me“, der bohrende Groove von „Behind The Mask“. Doch die Produktion ist zu bieder, um die Stücke übers Mittelmaß hinauszuheben. Weniges ist völlig misslungen, doch in den Kanon der besten Michael-Jackson-Songs wird es keins der neuen Stücke schaffen.

So spiegelt „Michael“ ein grundlegendes Dilemma wider, in dem der Künstler seit Ewigkeiten steckte. An den geradezu messianischen Erwartungen einer Öffentlichkeit, die die Sehnsucht nach einem wahrhaft globalen Popsuperstar – was weder Madonna, Prince, Robbie Williams oder Justin Timberlake je sein konnten – in einer zersplitternden Weltwahrnehmung auf ihn projizierte, musste schon der lebende, leidende Mensch Michael Jackson scheitern. Der tote Musiker hat da erst recht keine Chance.

„Michael“ erscheint bei Sony Music.

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