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Rammstein

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Interview mit Paul Landers: "Musiker wird man, um Komplexe zu kurieren."

Der Gitarrist von Rammstein, Paul Landers, spricht über die grausamen Deformationen der Liebe, einen Porno-Dreh in Berlin und die Prägung durch die DDR.

Es beginnt mit Kirchenchor und Hall in der Stimme. „Wer wartet mit Besonnenheit,/ der wird belohnt zur rechten Zeit/ Nun, das Warten hat ein Ende,/ Leiht euer Ohr einer Legende.“ „Rammlied“ heißt dieser Song, der wie ein Rammbock die Tür zum sechsten Album der ostdeutschen Band aufstößt. Es ist genau die Art Lied, die man schreibt, um im Konzert nicht mit einem alten Hit anfangen zu müssen – dafür gemacht, die wartende Fangemeinde auf das Gruseltheater einzustimmen. „Bist du traurig und allein“, fährt Sänger Till Lindemann im Ton eines Märchenerzählers fort, „hier sind wir, schalte ein“. Das ist ein auch unter Rappern gängiges Prinzip des Selbstlobs. Aber auch genau der Song, den die Band selbst brauchte, um zu ihrem Sound zurückzufinden. Mit „Rammlied“ sei der Knoten geplatzt, erzählt Paul Landers, Gitarrist der Band, im Interview. Vier Jahre ist es her, dass Rammstein ein Studioalbum veröffentlicht haben. Es folgten ausgedehnte Tourneen und ein Jahr, das sie getrennt voneinander verbrachten, „weil wir es uns leisten konnten“, so Landers. Als sie wieder zusammenkamen, hätten sie sich „verzettelt“, seien „überfordert“ gewesen, seufzt Landers. „Wir meinten es zu gut, das Material stellte sich uns in die Quere.“


War Ihnen klar, dass es ein Themen-Album über die Liebe und ihre grausamen Deformationen werden sollte?

Bei uns wird hinter fast allem ein Konzept vermutet. Aber wir machen nur, was uns Spaß macht. Im Nachhinein würde ich fast selber denken, dass es ein Konzept gegeben haben muss. Es passt einfach zu gut, für die erste Single ein Pornovideo zu drehen, das man unzensiert nirgendwo gucken kann. Aber das war gar nicht beabsichtigt. Die Idee hatte der Regisseur. Aber er musste uns zum Porno-Dreh nicht überzeugen.

Durften Sie sich Ihre Rolle aussuchen?

Normalerweise kümmern wir uns um alles selbst, was manchmal quälende Wochen dauert, aber hier wurde uns die Entscheidung abgenommen. Wir gingen in ein Berliner Bordell und haben uns nicht weiter eingemischt.

Wie darf man „Pussy“ verstehen? Ist Pornographie für Sie eine andere Art zu sagen, wie möchten tun dürfen, was wir wollen?

Es fällt uns als Band schwer, unser eigenes Werk zu benennen und Spuren, die wir hinterlassen, zu deuten. Wenn wir das besser könnten, würden wir vermutlich nicht solche Sachen anstellen. Unsere Musik entsteht in einem naiven Unbewusstsein.

Sie wurden schon in der DDR als Rockmusiker und Mitglied von Feeling B berühmt. Wo ist der Spaßpunker Paul Landers bei Rammstein geblieben?

Der hat in den Osten gehört. Das System DDR hat den Funpunker in mir hervorgerufen, und das System BRD den Brachialmetaller. Nach der Wende kam mir Feeling B nur noch albern vor. Wir hatten ja auch mit Feeling B versucht, das Land zu reflektieren, in dem wir lebten, als mit dem Mauerfall dieses Land verschwand, mussten auch wir uns wenden. Es gibt bestimmt Leute, die sich festgekrallt haben, aber ich schaue nicht zurück. Wir wurden mitgewendet. Mir tun Funpunk-Bands heute leid. Bei Feeling B musste ich immer gute Laune haben und zeigen, dass ich gut drauf war. Auch wenn mir gar nicht danach war. Morgens um elf schon ein Bier? Ey, na klar! An Rammstein ist schön, dass ich grimmig in der Gegend rumstehen darf und es passt trotzdem ins Unterhaltungskonzept. Dass genieße ich. Ich muss mich zur Fröhlichkeit nicht mehr zwingen.

Rammstein als Terrorkommando in der Spaßgesellschaft?

Wir befanden uns in der DDR am Rand, plötzlich standen wir in der Mitte, auf so einer lustigen Harlekin-Bühne. Also haben wir uns wieder einen Rand gesucht. Rammstein bewegen sich an der Grenze des Erlaubten, des guten Geschmacks, uns geht es um die Abgründe dessen, was die Menschen fabrizieren. Da wühlen wir drin herum.

Aber Ihr steht mitten im kommerziellen Erfolg.

Das war nicht gewollt. Der Plan war, dass wir uns in den Keller stellen und fiese Musik machen, monoton, stampfend und verärgert.

„Liebe ist für alle da“ handelt im Wesentlichen von Perversionen. Die Sexualisierung der Sprache und Bilder ist noch nie so weit getrieben worden. Es geht um prominente Kidnapping-Fälle wie Amstetten. Aber für den Horror, der beschrieben wird, ist die Musik zu aufgeräumt. Als sei die Spurensicherung schon da gewesen. Wo ist die schroffe, martialische Härte geblieben?

Bei „Wiener Blut“ war es quasi Till Lindemanns Auftrag, sich mit Fritzl zu beschäftigen, der seine eigene Tochter in einem Verließ gefangen hielt und vergewaltigte. Mich gruselt der Song. Unsere Vorstellungen von Brutalität liegen nicht nur zehn Prozent über der Norm. Wir schießen weit über das hinaus, was in Deutschland als schicklich gilt.

Das wollen Sie auch?

Wir merken oft gar nicht, wo wir eine Grenze übertreten. Wir sind eine explosive Mischung. Ich stelle mir vor, wie Leute, die uns nicht leiden können, sich vorstellen, dass wir beisammen sitzen und uns überlegen: ,Was können wir denn jetzt noch machen, um zu provozieren? Inzest hatten wir, Sodomie und Vergewaltigungen auch.' Aber so funktioniert das nicht. Sätze wie ‚Haut die Bullen weg wie Stullen' wären uns zu blöde. Wir stellen an uns selbst den Anspruch, ein widerliches Thema möglichst filigran anzupacken. Wir sind nicht die „Bild“-Zeitung.

Gibt Euch die Band die Möglichkeit, psychische Komplexe auszuagieren?

Auf jeden Fall. Musiker wird man, um Komplexe zu kurieren. Musiker müssen sich anhimmeln lassen, damit es ihnen gut geht. Und Metalmusiker, die sich auf der Bühne schrecklich gebärden, sind meistens ganz freundlich, weil sie dort ihre Aggressionen ausleben können. Ich durfte jetzt im Dienst einen Pornofilm drehen. Wer darf das schon?

Wer will das? Aber vielleicht kompensieren Sie damit, dass Sie sich als Rockmusiker ständig entblößen müssen, ohne es zu wollen. Jetzt übertrieben Sie einfach mal, um sich von dem Druck zu befreien?

Sie würden keinen Pornofilm machen wollen? Ist doch mal interessant. Porno hat ja nichts mit Sex zutun. Es ist die mechanische Darstellung von Sex. Ich habe meinen Blick dadurch erweitert. Dass der „Pussy“-Clip von der Bundesprüfstelle gesperrt wurde, dafür kann ich auch nichts. Ich bin der Meinung, dass man alles ausprobiert haben muss, sonst kann man nicht darüber reden. Durch unser Werk haben wir schon einiges erlebt. beim „Pussy“-Dreh saßen wir vorher wie beim Zahnarzt im Raum. Da hatte ich Bammel.

In den Texten von Till Lindemann geht es oft um das kleine verängstigte Kind, das sich von der Welt zurückzieht. Im „Haifisch“- Song sitzt es in der Tiefe des Ozeans und weint, was das Zeug hält, aber keiner kann es sehen. Nur das Meer wird salzig.

Männer sind oft kleine Kinder. Manche werden Pyrotechniker, andere Feuerwehrmänner. Es ist gut, wenn Jungs, die nicht erwachsen werden wollen, sich etwas zum Spielen suchen.

Darum gibt es Rammstein?

Ich bin schon recht infantil. Einerseits war ich gezwungen, erwachsen zu werden als Vater von Kindern, die keinen Kumpel brauchen. Andererseits bin ich noch recht unreif. Uns wird ja nicht geglaubt, dass wir vieles aus reiner Naivität tun.

Wie auch. Sie identifizieren sich mit den Aggressoren. Auch diesmal nehmen Sie die Rolle des inzestuösen Vaters ein, der seinem Kind erklärt, wie er gleich im Verlies über es herfallen wird. Sie müssen doch die Verlockung des Bösen spüren?

Die Band will so etwas selbst von uns. Die macht mit uns manchmal, was wir als Einzelner in der Form gar nicht gewollt hätten. Um zu einem gewissen Ergebnis zu kommen, benutzt sie uns, so dass wir ein Pornovideo gedreht haben und ich jetzt so tue, als sei das ganz normal.

Was sagen denn Frauen dazu, dass sie zum Schlachtfeld erklärt werden?

Werden sie das?

Eine Zeile wie „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“ ist eindeutig.

Den Satz finde ich gut. Holen Sie mal Luft und freuen Sie sich dran. Wie kann denn jemand das Wort Blitzkrieg so tadellos benutzen, dass es endlich mal eine witzige Wendung nimmt. Allein dafür hat sich 15 Jahre Bandgeschichte gelohnt. An dem Satz können sie ermessen, wie sie drauf sind. Wer das abscheulich findet, muss an sich arbeiten, weil er noch zu verklemmt ist. Wir dürfen lockerer sein. Wer die Metapher beschmunzelt, hat es schon ein bisschen geschafft. Sie ist nicht gefährlich.

Fällt in dieselbe Kategorie, dass Sie ihre Köpfe auf dem Cover der „Pussy"-Single auf nackte Frauenkörper gesetzt haben?

Weil es in dem Song heißt, „Germany, you got a pussy“, denken jetzt einige, wir würden damit Angela Merkel meinen.

Mit jedem Album haben Sie ein Tabu gebrochen. Irgendwann gibt es keine Tabus, gegen die Sie verstoßen könnten. Was dann?

Es wird immer einen Geschmackskanon geben. Meine Band der Zukunft sieht so aus, dass sich der Sänger gentechnisch manipulieren lässt und einen riesigen Kopf hat, damit man ihn auf großen Bühnen besser sieht. Der Schlagzeuger hat sich vier Arme anmontieren lassen. Ich denke an Musiker, die sich für ihre Musik umbauen lassen. Richtige Freaks. Ich mache mir um uns keine Sorgen. Es wird immer Themen geben, die die Gesellschaft aufregen. Gute Kunst wird anecken.

Wahrscheinlicher ist doch, dass sich die Gesellschaft mit Ihnen arrangiert.

Um uns zu verstehen, ist ein Vergleich mit Tarantino hilfreich. Der macht auch lustige Filme, die voller Grausamkeiten stecken. Was ich gut finde: Dass wir uns nicht winden. Früher haben wir noch versucht, uns aus der Affäre zu ziehen. Heute stehen wir zu dem, was wir machen. Wenn ich bei den Toten Hosen wäre, würde ich Fragen beantworten müssen wie, ob wir immer noch mit dem Schlafsack bei unseren Fans übernachten oder im Hotel. Was macht ihr mit eurem ganzen Geld? Ist das nicht ein Widerspruch zwischen Punk und Reichtum? Dann müsste ich mich herausreden und sagen: ,ja, ja, wir spenden viel. Und verdienen ja auch gar nicht so viel.’ Das müssen wir nicht und das freut mich. Wir können sagen, dass wir provozieren wollen, dass es uns Spaß macht zu polarisieren und dass es uns erstaunt, wie einfach das geht.

Sie müssen nur damit umgehen lernen, dass das Bild, das die Menschen von Ihnen haben, nichts mit der Realität zutun hat. Der Gruselrocker passt nicht zum Familienvater, der mit dem Fahrrad durch Prenzlauerberg radelt.

Das ist doch immer so.

Keineswegs. Viele Musiker arbeiten stark an der eigenen Glaubwürdigkeit, damit Kunstfigur und realer Mensch nicht auseinander fallen.

Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass eine Diskrepanz zwischen dem Rammstein-Mitglied und der Privatperson besteht. Bei uns gibt es Dienst und es gibt Privat. Ich kann jedenfalls unbehelligt in eine Kaufhalle gehen, das ist mir viel Wert.

Wie sehr spiegelt sich in Rammstein der Osten wieder?

Wir haben mehr oder weniger 25 Jahre im Osten verbracht, das hat uns geprägt. Für mich war die DDR ein absolutes Paradies. Denn sie bestand aus lächerlichen Gesetzen, die riesige Lücken ließen, um prächtig darin zu leben. Auch die Pioniere, Militärparaden, das Marschieren war lustig. Und gewiss hat uns auch die Parteipropaganda geprägt. Wir wagen jedenfalls heute mehr als es Westler tun würden. Wir denken nicht so weit voraus und sind nicht ängstlich. Wir machen es einfach. Meine Erfahrung war, dass Westmusiker viel zu gut spielen konnten und alles kannten, was es gab. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als eigene Lieder zu schreiben. Wir kannten nichts, so isoliert wie wir groß geworden sind. Und außerdem beherrschten wir unsere Instrumente nicht gut genug. Da waren eigene Lieder der einzige Ausweg, damit es wirklich gut wurde. Ich glaube, unsere Jugend in der DDR hat einen großen Einfluss auf Rammstein.

Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall?

Ja, einen ganz großen. Ohne die DDR gebe es uns genau so wenig wie ohne den Westen. Wir sind ein Zwei-Komponenten-Gebilde.

Das Gespräch führte Kai Müller

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