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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Neue Pop-Tipps aus Berlin: Spreelectro: Kleine Soundskizzen und ein Mann mit Maske

Der DJ und Musikjournalist Martin Böttcher empfiehlt für unsere Serie "Spreelectro" Gutes aus der Hauptstadt. In dieser Folge stellt er einen Mix des Watergate-Clubs vor, ist überrascht von kleinen Soundskizzen eines Franzosen und trifft einen sächselnden Maskenmann, der den perfekten Sound für Langstreckenflüge macht.

Redshape – Square (Label: Running Back)

Künstler und ihre Verkleidungen, das ist ein uraltes Ritual. Masken zum Beispiel können furchteinflößend, erotisch, komisch oder auch sehr geheimnisvoll erscheinen. Und sie sind sehr, sehr wirkungsvoll, wenn man anonym bleiben will, aber trotzdem auf sich aufmerksam machen möchte. Technoproduzent Redshape ist das perfekte Beispiel dafür: Noch immer wissen nicht viele, wer genau sich hinter der roten Theatermaske verbirgt. Ich jedenfalls hatte ihn mir ganz anders vorgestellt, bevor ich ihn letztes Jahr interviewte: als eine Art US-Comic-Superhelden. Dann aber traf ich auf einen sympathischen jungen Mann, dessen sächsischer Akzent klarmachte, dass er noch gar nicht so lange in Berlin zu Hause ist. Die Musik von Redshape ist tief in der Techno-Tradition Detroits verwurzelt, aber  nie vorhersehbar. Sein neues Album war für mich zuerst Enttäuschung, dann eine echte Entdeckung: Immer noch düster, aber sehr viel verspielt-experimenteller als auf seinem vorigen Album geht es auf „Square“ zu. Kopfhörermusik, perfekt geeignet für Jetlag verursachende Langstreckenflüge oder scheinbar endlose Überseefahrten mit dem Schiff. Musik also für Gelegenheiten, bei denen Zeit ihre eingespielte Rolle aufgibt. Der Mann mit der Maske hat’s, auch wenn ich kurz dran zweifelte, einfach drauf.

Watergate – X (Watergate Records)

Mit Jubiläen ist das ja so eine Sache: Auf der einen Seite guter Anlass, noch mal zurückzuschauen, um sich an die besten und schlechtesten Momente der vergangenen Jahre zu erinnern. Auf der anderen Seite auch ein bisschen Ausdruck von Ratlosigkeit: War ja ganz schön, aber wie geht es jetzt weiter? Das Watergate zum Beispiel: Ziemlich genau zehn Jahre existiert dieser Club nun, zehn Jahre im Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Friedrichshain, zehn Jahre, in denen sich die Gegend an der Oberbaumbrücke noch einmal extrem gewandelt hat und zum Partymittelpunkt Berlins geworden ist. Zufall oder weise Voraussicht? Das Watergate jedenfalls war von Anfang an dabei und feiert das nun mit einer Compilation: Fast 30 exklusive Tracks, nicht als Nonstop-DJ-Mix, sondern einzeln auf zwei CDs gepresst. Sie stammen von den DJs und Produzenten, die im Watergate so auftreten, von Tiefschwarz bis Butch, von Henrik Schwarz bis Oliver Koletzki und bewegen sich zwischen House und TechHouse, routiniert, melodisch, leider ohne herausragende Hits. Ein bisschen also wie das Watergate selbst: Den Titel „Bester Club Berlins“ wird man wohl niemals mehr bekommen, aber deshalb muss man ja nicht gleich mit dem Feiern aufhören. Ach ja, wer das Watergate anders als ich doch für den besten Club Berlins hält, für den gibt es sogar eine Deluxe-Ausgabe: CDs, DVD, Fotoband, Vinylplatten, Poster, sogar ein beigelegter Gästelistenplatz. Aber nicht vergessen: Der ist vielleicht gar nicht nötig, ins Watergate kommt man nach wie vor einfacher rein als ins Berghain.

Rone – Tohu Bohu (Infiné)

In Frankreich ist ein Tohuwabohu, das größtmögliche Durcheinander, einfach nur ein „Tohu Bohu“. Aber der seit einiger Zeit in Berlin lebende Franzose Erwan Castex alias Rone führt uns mit dem Titel seines zweiten Albums ziemlich in die Irre. „Tohu Bohu“ ist nämlich gar nicht so durcheinander, wie es der Titel verspricht, sondern sehr gezielt verspielt: Kleine Soundskizzen treffen auf große Melodien, Electronica und Trance und Bassmusic und Ambient und HipHop tun sich zusammen, um aus dem Einheitsbrei (und manchmal ja auch Einerlei) der elektronischen Dance Music auszubrechen. Und auch wenn es Rone nicht so beabsichtigt hat: Sein Eröffnungsstück „Tempelhof“ erinnert mich die ganze Zeit an meine erste Flugreise: Mit dem Propellerflugzeug vom Flughafen Tempelhof nach Hamburg. Damals war ich fünf Jahre alt, von elektronischer Musik sprach niemand, aber leicht und unbeschwert sein, das ging ja auch in Vorwendezeiten. Vor allem als kleiner Zwerg, der von Mauern und Grenzen noch keine Ahnung hatte.

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