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Pet Shop Boys

© dpa

Neues Album: Pet Shop Boys: Die Welt als Ware und Vorstellung

Hippies des Kapitalismus: Die Pet Shop Boys und Empire of the Sun träumen sich mit neuen Alben aus der globalen Krise.

Keiner kennt die Schwächen des Kapitalismus so gut wie die, die ihn lieben. Aufstieg und Kollaps, Glück und Depression liegen beieinander, oft sind sie nicht zu unterscheiden. Das wusste schon Karl Marx. Die Revolution, die Neil Tennant und Chris Lowe im Sinn haben, besser bekannt als Pet Shop Boys, ist weniger blutig, aber ebenso radikal: Man brauche kein reicher Hollywoodstar zu sein, singt das britische Duo in gewohnter bis zum Zerreißen gespannter Ambivalenz, auch ein tolles Auto bringe einen nicht weiter, man müsse nicht mal unbedingt Macht besitzen und schön sein, „obwohl das durchaus hilft“, gestehen sie. Unersättlichkeit ist das Problem. „You need more, you need more“, hechelt Sänger Tennant wie ein Pawlowscher Hund. „You need more, you need Loooove.“

Es ist der alte Hippietraum von der alles heilenden Liebe, der in „Love etc.“ zelebriert wird. Doch kommt er nicht als die große Alternative zum Warenfetischismus daher, der Bankmanager und andere Wirtschaftslenker abstrus hohe Gehälter für sich reklamieren lässt. Liebe ist kein Ausstieg. Auch von ihr, sagen die Pet Shop Boys, kann man eigentlich nie genug kriegen.

Mit ihrem zehnten Album liefern die beiden Engländer den Soundtrack zur aktuellen Wirtschaftskrise – kostümiert als gleichförmiges, blechernes Pop-Versprechen. „Yes“ hat alles, was ein Pet-Shop- Boys-Album ausmacht: der synthetische Minimalismus blasser Computer-Beats, mächtige, zum Chor anschwellende Refrains, dezente politische Anspielungen („Building A Wall“) und jene kühle Noblesse, die man Sänger Tennant gerne als intellektuelle Überheblichkeit anlastet.

Seit die Pop-Stilisten 1986 mit „Please“ aus der Anonymität einer Journalisten- und einer Architekten-Karriere traten, ist das Duo auf die Kunst der Verknappung abonniert. Doch die Art, wie sich „Yes“ ausgerechnet aus der deprimierenden Krise erhebt, ist ein Ereignis für sich. Während alle Welt nur daran denkt, die Folgen des Zusammenbruchs einzudämmen, während sogar Depeche Mode das Schlamassel mit dem Wut- Schrei „Wrong“ verdammen, halten die Pet Shop Boys hartnäckig am Positiven fest: Da werden „Beautiful People“ als die besseren Zeitgenossen gefeiert; in „Pandemonium“ darf sich Kate Moss an die schöne Zeit mit Pete Doherty erinnern; es geht um die selige Macht des Endes („Legacy“) – und Neubeginns („The Way It Used To Be“). Und immer wieder wird die Wende beschworen: „I believe/We can change/We can make it more than a dream“, heißt es. Yes, we can!

Die Liebe als System sprengende Kraft treibt die Pet Shop Boys von jeher um. Dabei klingen ihre Songs überhaupt nicht sentimental. Vielmehr als würde eine technokratische Hölle mit sich selbst spielen. Darin schwingt die Idee mit, dass selbst die naivste Boy-meets-Girl- Geschichte  – wie sie in „West End Girls“, „It’s A Sin“, „Always On My Mind“ oder „Suburbia“ immer wieder von den Pet Shop Boys selbst variiert wurde – aus der Entfremdungstristesse wieder hinausführt. Imagination ist alles.

Vom Glauben an den ,Lovesound Pop’ lassen Tennant und Lowe auch mit 54 und 49 Jahren nicht ab. Und geschätzte 50 Millionen verkaufte Platten geben ihnen Recht. „It’s something ... like magic, it’s changing everything in sight“ singen sie in „All Over The World“ über die weltverändernde Qualität eines Welthits. Das ist nicht eben originell. Aber mehr Erklärung braucht man auch nicht, jedenfalls nicht in den vier Minuten, die dieser herrliche elegische Song dauert.

Die Zeiten sind gut für den elektronischen Pop-Schamanismus. Wenn die Furcht vor sozialem Abstieg wächst, kommen Synthie-Bands genau richtig. Mit ihren uneigentlichen Texten und körperlosen Stimmen machen sie die drohende Entfremdung zum ästhetisch vorempfundenen Erlebnis – statt Gegenwehr zu leisten. Das ist eine Art Urlaub vom Ich, was dieser Tage auch zwei Jungs aus Australien versprechen, die mit „Walking on a Dream“ ihr sagenhaftes Debüt vorlegen.

Luke Steele und Nick Littlemore machen genau dort weiter, wo die Pet Shop Boys heute stünden, wenn sie nicht ebenfalls weitergemacht hätten. Unter dem eigentümlichen Projektnamen Empire of the Sun recyclen die Burschen von down under den Teil des Eighties-Pop, der immer schon besonders durchgeknallt war. Sänger Steele fällt durch einen über die Augen geschminkten weißen Balken, blondierte Haare und einen Hut auf, der wie ein Lampenschirm aussieht. Littlemore trägt die Uniform eines Kürassiers – aufgeknöpft, versteht sich, damit man die Perlenkette auf der nackten Brust sieht.

Der Eskapismus des Pop à la Pet Shop Boys wird hier ins Reich explodierender Sterne und kosmischer Verschmelzungen getrieben. Die süßlich-herbe Musik von Empire of the Sun hat die Desillusionierung, deren Schleifspuren oft unschöne Nebengeräusche erzeugen, längst abgehakt. Sie glaubt an nichts und kann umso hemmungsloser Fantasy-Romane und Filmplakate nie gedrehter Star- Wars-Episoden erfinden. Das ist so bodenlos und in seiner New-Age-Verspieltheit entrückt, dass man nicht genug davon kriegen kann. „Jeder Song, der über sein Genre hinauswächst, ist Pop“, sagt Chris Lowe im „Spex“-Interview. Aber sogar Pop kann über Pop hinauswachsen.

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