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Sonic Youth

© Universal

Neues Album: Sonic Youth: Abfall für die Ewigkeit

Wucht und Weisheit: Sonic Youth arbeiten mit ihrem neuen Album „The Eternal“ weiter am Gesamtkunstwerk Rock.

Für Popmusiker, diese Agenten der Gegenwart, ist das Museum das Letzte. Nur Sonic Youth wollten da immer schon hin. Als Bildende Künstler, die sie neben ihrem Musikerdasein geblieben sind, waren sie viel zu schlau, um nicht zu wissen, dass das Museum genau der richtige Ort ist, um ihren auseinanderstrebenden Interessen einen ganzheitlichen Rahmen zu geben. In weißen Räumen sieht alles wie Absicht aus.

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich die Kunst aufgab, als ich bei Sonic Youth anfing“, ist von Gitarrist Lee Ranaldo dieser Tage zu lesen. Er hatte als Assistent des Bildhauers David Klass gearbeitet, als ihn Thurston Moore und dessen Freundin Kim Gordon Anfang der achtziger Jahre in die gemeinsame Band lotsten. Zwar sei es selbst im kunstnahen New Yorker Underground vielen unverständlich gewesen, meint Ranaldo, „dass ein Künstler auch jemand sein kann, der sich eine Gitarre umhängt“. Heute besteht darüber kein Zweifel mehr, obwohl noch immer die Selbstverständlichkeit fasziniert, mit der Sonic Youth den Kunst-Begriff für sich reklamieren.

Tatsächlich haben die drei, zu denen sich nach einigen Umbesetzungen Steve Shelley als fester Schlagzeuger gesellte, den primitiven Rock-Aggressionen ein höchst artifizielles Klangbild entgegengesetzt. Sie schaffen mehr Skulpturen aus Lärm und Disharmonie, als dass sie Songs spielen. Gitarren, Verstärker und Effektgeräte nutzen sie von jeher wie Schneidbrenner und Marmorsägen. Und sie legen verzerrte, eigentümlich gestimmte und „präparierte“ Gitarrenakkorde samt dem Fiepen elektrischer Rückkopplungen übereinander, wiederholen sie mit seriellem Gleichmut, bis sich die idiosynkratische Krachlandschaft herausmendelt, an der sich Myriaden an Rockbands abarbeiten.

Wie sehr dieses Noise-Bild auch auf andere Künstler abfärbt, war zuletzt in der Kunsthalle Düsseldorf zu besichtigen. „Sensational Fix“ hieß die breit angelegte, um das Werk von Sonic Youth kreisende Wanderausstellung (zu sehen bis 20. September in Malmö). Größtenteils von der Band selbst kuratiert, liefern die Installationen, Videoarbeiten, Collagen, Plakate und Fotos einen Überblick dessen, womit sich einzelne Bandmitglieder abseits von Studio und Konzertbühne beschäftigen. Da ist zum Beispiel Kim Gordons „Reverse Karaoke“, ein multimediales Spiel, das die Besucher auffordert, zu Gordons Gesang andere Instrumente zu spielen. Es gibt Zeichnungen von Patti Smith, Videoclips von Gus van Sant (in dessen Cobain-Film „Last Days“ hatte Gordon mitgespielt) und einen von Christian Marclay gestalteten Raum, dessen Boden mit alten Vinylplatten ausgelegt ist.

Als Bestandsaufnahme des New Yorker Underground, der sich zeitgleich mit Sonic Youth in der interdisziplinären No-Wave-Szene formierte, eignet sich die Ausstellung allerdings nicht. Dafür ist sie zu sehr dem Credo der Band verpflichtet, das etwas kein Zentrum haben, sondern möglichst viele Einflüsse aufsaugen sollte, „die nur in ihrer Vielfalt Sinn ergeben“ (Ranaldo).

Ein Bild für dieses Adaptionsverfahren ist der Farbwirbel, der jetzt das Cover von „The Eternal“ ziert, dem 16. Album der Band. Das „Sea Monster“ betitelte Gemälde von John Fahey ist das enigmatische Gegenstück zur kreiselnden, alles verschlingenden Musik, mit der Sonic Youth ihr sonst dezentes Spiel mit der eigenen Kunstambition ungewöhnlich offen treiben. Jeder Song deutet auf einen anderen Einfluss hin: Schon die Anfangsakkorde von „Sacred Trickster“ sind derart schief und verstolpert, dass man den Kunstanspruch mit Händen greifen zu können meint. „Ich wünschte, ich könnte Musik auf einem Baum wachsen lassen“, ruft Sängerin Kim Gordon und imitiert die neurotische Unrast eines Yves Klein.

Es folgt mit „Anti-Orgasm“ eine Hommage an Uschi Obermaier, die Kommune I und die Erkenntnis, dass politischer Radikalismus sexfeindlich wirkt. „Leaky Lifeboat“ schickt sich an, einem Ausspruch des Beat-Poeten Gregory Corso Nachdruck zu verleihen, nach dem das Leben auf der Erde einem leckgeschlagenen Rettungsboot gleicht. Und mit „Malibu Gas Station“ wird der Moment besungen, da Britney Spears ohne Unterwäsche aus ihrem Wagen ins Blitzlichtgeflacker fällt. So geht es weiter: Referenzen an Dead C, Neu!, Kevin Ayers oder MC5 umreißen in zwölf Songs das Kraftfeld einer Musik, die eigentlich sehr homogen ist.

Wundersamerweise ist daraus nicht das Album hervorgegangen, das man angesichts solch einer Referenzhölle befürchtet. Die meisten Verweise sind akademisch: nicht mehr als Schleifgeräusche in der Sonic-Youth-Maschine. Das Diskursgesäusel funktioniert seit Gründung der Band 1981 als „Wegweiser in eine subkulturelle Wunderwelt“ („Guardian“). Was immer in diesen Strudel gerät, und sei es noch so abstrus, setzt eine Menge Leute auf entsprechende Fährten. Nicht zuletzt daraus beziehen Sonic Youth ihren Status als Avantgarde-Band. Sie wissen eher als das Publikum, womit es sich als Nächstes beschäftigen wird.

Hexerei ist das nicht. Dass Musik Kunstwerke wie Christian Marklays knirschenden Vinylteppich inspirieren kann, liegt auf der Hand. Doch zu den gern geglaubten Meta-Hypothesen der Sonic-Youth- Hipness zählt, dass auch Kunstwerke Musik hervorbringen können. Als würden sich Popmusiker je an etwas anderem als Popmusik orientieren. Das ist auch bei Sonic Youth nicht anders, die sich dann doch für „eine ganz normale Rockband“ halten, wie Ranaldo in einem Anfall von biederem Rockismus sagt. Am liebsten zitieren sie sich noch immer selbst.

So tauchen natürlich auch auf „The Eternal“ jene strudelnden Akkordmeditationen auf, die einem aus „Theresa’s Sound World“ schon einmal entgegensprangen. Es ist diese Eigendynamik von Abstoßungs- und Anziehungseffekten, die Sonic Youth zum Prototyp einer Indieband gemacht haben. Das Frühwerk noch fest im unabhängig organisierten, selbstausbeuterischen Underground und seinen Kleinlabels verankert, wagten sie 1990 den Sprung in professionellere Gefilde. Mit „Kool Thing“ und einem Vertrag mit dem Major Label Geffen landeten sie ihren ersten Hit. Es folgten kommerziell einträgliche Jahre und eine Reihe glatter Alben („Goo“, „Dirty“), die man aber so nicht stehen lassen wollte, weshalb Sonic Youth ihre Plattenfirma mit experimentelleren und schroffen Werken beinahe zwang, sie vor die Tür zu setzen.

Sonic Youth haben eine „Position“ besetzt, wie es im Kunstjargon heißt. Mal klingen sie härter, mal weicher, mal melodiöser, mal experimenteller, aber die Struktur ist immer dieselbe. „The Eternal“ fügt sich da prächtig ein, nachdem die Band sich zuletzt mit der Wiederaufführung ihres kanonischen „Daydream Nation“-Albums ungehemmt der Selbstretroisierung hingegeben hatte. Die neuen Songs sind durchsichtig arrangiert, stellenweise richtig schön. Selbst das wuchtige, tiefschürfende „What We Know“ balanciert das Kaputte grandios mit dem Erhabenen aus. In dieser Wall of Noise ist wieder viel Weisheit eingeschlossen – das Leben selbst ist eben auch eine Kunst.

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