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US-Rapper im Interview: Questlove: "Nur Party feiern, das ist vorbei"

Der amerikanische Rapper Questlove (The Roots) über Obamas Wahlsieg und die politische Verantwortung des Hip Hop.

Mister Thompson, Sie haben sich im Wahlkampf für Barack Obama engagiert. Was empfinden Sie jetzt nach seinem Sieg?

Natürlich bin ich glücklich, ich habe mich schließlich für ihn abgerackert. Die letzte Regierung der USA vertrat eine verrückte Minderheit von Amerikanern, mit dieser Wahl haben wir unsere Regierung zurückgewonnen. Obama hat die Menschen aufgerüttelt, das ist großartig. Viele, die sich ehrenamtlich für ihn engagierten, waren vor einem Jahr noch desillusioniert und gleichgültig. Die historisch hohe Wahlbeteiligung zeigt, dass mittlerweile nur noch wenige so denken. Trotzdem gibt es Leute, denen angesichts seiner Präsidentschaft angst und bange wird. Ich spreche nicht von irgendwelchen Rassisten, sondern von den Ignoranten in der Mitte unserer Gesellschaft. Das betrübt mich.

Was bedeutet Obamas Sieg für die Schwarzen in den USA?

Es ist das erste Mal in der Geschichte der USA, dass weiße Amerikaner die Gelegenheit haben, einen Afroamerikaner wirklich kennenzulernen und zu sehen, wie Afroamerikaner wirklich sind.

Ging das bisher nicht? Knapp 13 Prozent der US-Bürger sind Afroamerikaner.

Das Image der Afroamerikaner wird fast ausschließlich durch die Unterhaltungsindustrie geprägt – als das einzige Feld, auf dem Schwarze öffentlich in Erscheinung getreten sind. Hip-Hop spielte dabei eine große Rolle. Obama hat nun die Chance, die Vorurteile zu korrigieren, die über Schwarze verbreitet werden. Seine Person zeigt, dass ein arabischer Name nicht in jedem Fall bedeutet, dass man Moslem ist. Und die Tatsache, dass man Moslem ist, bedeutet nicht, dass man Terrorist ist.

Viele Europäer nehmen Obama fast als Erlöser wahr.

Ich habe recherchiert, bevor ich mich entschloss, ihn zu unterstützen, und habe keine Kritik an ihm vorzubringen. Wer jetzt noch an Obama zweifelt, würde auch an jedem anderen Präsidenten zweifeln, der nicht in das System der US-Politik der letzten 100 Jahre passt. Einige glauben wohl, ein Schwarzer in einer Führungsposition werde sich an den Weißen für die Sklaverei und all das andere Leid rächen, das sie den Schwarzen zugefügt haben. Das ist Blödsinn. Obama hat eher das Format eines Mahatma Gandhi oder eines Nelson Mandela. Er könnte die Heilung sein, die die Nation so dringend braucht. Auch wenn keine Chance besteht, in vier oder acht Jahren alle Fehler der letzten Jahre wiedergutzumachen.

Welche Fehler meinen Sie?

Ich meine die Folgen eines egoistischen Politikstils, wie ihn die Republikaner gepflegt haben. Ihr einziges Verdienst in der jüngeren Geschichte der USA war die Entstehung des Hip-Hop.

Das müssen Sie erklären.

Die Republikaner haben den Musikunterricht in den Schulen abgeschafft, lancierten die kulturelle Verdrängung Schwarzer in Gegenden wie der South Bronx in New York und zwangen sie so, den Hip-Hop zu erfinden. Schwarze lernten, aus nichts etwas zu machen. Sie konnten es sich nicht leisten, Instrumente zu kaufen, also spielten sie Platten über selbst gebaute Lautsprecher ab. Ohne die Armut der Schwarzen gäbe es keinen Hip-Hop.

Er entwickelte sich auch zu einem effektiven Sprachrohr. Sie sprachen selbst einmal vom „CNN der Schwarzen“.

Das ist vorbei. In den letzten 15 Jahren haben sich Hip-Hop-Künstler darauf konzentriert, vor den Problemen zu flüchten, und nur noch eine große Party gefeiert. Auch ich habe mich früher gern mit Musik abgelenkt. Aber viele Hip-Hopper vermeiden es nun geradezu zwanghaft, die politischen Verhältnisse anzusprechen – in einer Zeit, die zu den ernstesten Abschnitten der US-Geschichte gehört.

Meinen Sie die Finanzkrise?

Auch. Unsere Wirtschaft hat sich selbst zerfetzt. Ich frage mich, ob sich Hip- Hop-Künstler auch weiterhin jene materielle Besessenheit erlauben können, die sie seit einiger Zeit zelebriert haben. So viele Entlassungen wie jetzt gab es seit der großen Depression von 1923 nicht mehr. Die Auswirkungen des Börsencrashs auf den Normalbürger sind offensichtlich. Ich danke Gott, dass ich einen tollen Job habe und nicht wieder bei null beginnen muss. Aber viele Amerikaner müssen das.

Vor allem wohlhabende US-Bürger?

Der Finanzkrise markiert einen Punkt, an dem reiche Amerikaner erstmals eine Ahnung davon bekommen, wie der sogenannte kleine Mann sich fühlt. Viele Weiße taten gerade so, als ob die Welt unterginge. Afroamerikaner haben den Börsencrash meist mit weniger Bestürzung aufgenommen. Das überrascht mich nicht. Die relative Gleichgültigkeit hat damit zu tun, dass viele Schwarze an Tragödien gewöhnt sind; sie wissen, wie es ist, den Kürzeren zu ziehen und nicht zu wissen, wie man den nächsten Tag überleben soll. Die Amerikaner, die jetzt den Weltuntergang ausrufen, haben vielleicht gerade 500 Millionen Dollar in Aktienportfolios verloren. Wenn du vorher eine Milliarde hattest, bleiben dir immer noch 500 Millionen. Wenn du aber im Jahr nur 90 000 Dollar verdienst und die Kreditraten für dein Haus nicht mehr zahlen kannst, endest du in Amerika ganz schnell auf der Straße.

Welche Ziele kann Obama realistischerweise erreichen?

Obama kann unmittelbar Einfluss auf die Energiekrise nehmen, indem er ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit weckt, für Hybrid-Autos und regenerative Energien wirbt und uns so unabhängiger von fremdem Öl macht. Kurz, er kann die Agenda von Al Gore auf den Weg bringen. Noch wichtiger aber ist, dass er einen neuen Politikertypus repräsentiert, der nicht in Korruption und krumme Geschäfte verstrickt ist, sondern sich für die Menschen interessiert.

Aber wird er sich auch den systemimmanenten Abhängigkeiten von Politik entziehen können?

Wenigstens ist er bereit zuzugeben, dass unser Gesellschaftsmodell Schwächen hat. Die meisten Politiker sprechen immer nur davon, wie großartig unser Land ist und dass wir die Besten seien. Obama spricht auch andere Wahrheiten aus. Ich hoffe, dass er damit auch den tausenden Senatoren, Kongressabgeordneten und Bürgermeistern in den USA Mut macht, ehrlich zu sein.

Sollten auch Popmusiker mehr Mut zu politischen Statements haben?

Davon war ich lange Zeit überzeugt. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich unbedingt die politische Meinung von jemandem wie Britney Spears hören möchte. Es wäre genauso seltsam, wie wenn ich mit meiner Band The Roots einen Song wie „Gimme More“ oder „Womanizer“ verfassen würde. Ich bin selbst DJ und lege gern Songs von Britney auf. Alles hat seine Zeit. In einem Club, in dem jeder gut drauf ist und den Alltag zu vergessen versucht, würde ich die Leute niemals auffordern, über den Zustand der Welt nachzudenken. Trotzdem sollten Hip-Hop-Künstler wieder mehr Verantwortung übernehmen.

– Das Gespräch führte Michael Schneider.

Ahmir „Questlove“ Thompson ist Chef, Drummer und Produzent der Hip-Hop-Band The Roots. Ihr aktuelles Album: „Rising Down“ (Universal). Am 27. 11. treten sie im Berliner Huxleys auf.

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