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Andere Stimme, neuer Look. Renée Fleming.

© Andrew Eccles

Renée Fleming: Das Übermich

Die amerikanische Sopranistin Renée Fleming singt in der Waldbühne – und überrascht mit einer Pop-CD.

Sie liebt das weite Rund von New Yorks Metropolitan Opera mit seinen rund 4000 Plätzen. Ihre Stimme steigt darin empor bis in die letzte Reihe, füllt das Haus und ist zugleich erfüllt von Freiheit. Renée Fleming, die gefeierte amerikanische Sopranistin, taucht die größten Säle in Gold und beherrscht sie mit müheloser Eleganz. Eine Diva der Perfektion, begnadet mit einer Stimme, die aus der Tiefe kommt und zum Himmel strebt, die unendlich luxuriös und doch nie verschwenderisch ist.

All diese Kostbarkeiten hat Renée Fleming abgelegt für ihr neuestes Album – ebenso wie ihre exquisiten Abendroben. Die von ihr dominierte offene Bühne schrumpft zur winzigen Box in einem Aufnahmestudio, in der nur wenige Zentimeter vor ihr ein riesiges Mikrofon lauert. Hierher kommt sie in den frühen Morgenstunden, wenn die Stimme noch mit dem Phlegma ringt und tiefer liegt, wie zwischen zerwühlten Laken. Und singen soll sie eigentlich auch nicht, zumindest nicht mit ihrem vierfach Grammy-prämierten Organ. Sprechen vielmehr – und die Diva hinter sich lassen. Denn es entsteht kein neues Opernalbum, kein Lied- Recital. Renée Fleming interpretiert Coverversionen von Popsongs. Arcade Fire statt Armida, The Mars Volta statt Marschallin, Leonard Cohen statt Leoncavallo.

Der Mann, der die Starsopranistin dazu brachte, die Seiten zu wechseln, heißt Peter Mensch. Der New Yorker Musikmanager steuert auch die Geschicke der Band Metallica und überraschte Labelchefs mit einer Blindprobe aus „Dark Hope“, wie Flemings Cover-Album rauchig-raunend heißt. Keiner in der Runde erkannte, wer da so sinnlich aufgeraut Peter Gabriels „In Your Eyes“ interpretiert. „Könnte Annie Lennox sein“, mutmaßt einer. „Ihr habt sie schon unter Vertrag“, kontert Mensch, „in eurer Klassikabteilung.“

An Opernsängern, die glauben, auch Jazz und Pop singen zu können, herrscht kein Mangel. Zumindest kommerziell sind diese Missverständnisse oft ein Erfolg. Eine traumhafte, klassisch ausgebildete Stimme ist aber kein Generalschlüssel zum Herz der Musik. Peter Mensch und seinem Produzenten David Kahne gelingt es, die Crossover-Falle zu umgehen. Weil sie für Renée Fleming nicht nur ein neues Repertoire bereithalten, sondern mit ihr auch eine völlig neue Stimme erfinden. Vibratofrei aus der ungewöhnlichen Tiefe ihrer Sprechstimme entwickelt, sind Ausflüge in höhere Lagen keine Zier, sondern emotionale Grenzfälle. Und doch liegt in diesem eingedunkelten Organ die sinnliche Sicherheit einer reifen, wandelbaren Persönlichkeit.

„The Lord of Song“, vor dem Leonard Cohen in seinem „Hallelujah“ bebend steht, straft diejenigen, die keine Demut kennen. Renée Fleming entkommt seinem Zorn – wenn auch unerkannt.

„Dark Hope“ ist bei Universal erschienen. Am Sonntag singt Renée Fleming – ganz klassisch – beim Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker unter Ion Marin. Restkarten zu 19 und 26 Euro an der Abendkasse ab 18 Uhr. Das Konzert wird live vom RBB-Fernsehen und 3sat übertragen sowie im RBB-Kulturradio.

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