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Rock’n’Roll-Literatur: Lester Bangs: Gnadenlos, ehrlich, gut

Zum 60. Geburtstag des Pop-Kritikers Lester Bangs gibt es nun erstmals eine Auswahl seiner Texte in deutscher Sprache.

Der Pop-Papst trägt Schnauzbart und hat einen etwas schwammigen Körper. Man kann ihn nachts anrufen, er ist immer zu Hause, denn: „Ich bin uncool“, das gesteht er gern. So hat Philip Seymour Hoffman im Film „Almost Famous“ den Rockkritiker Lester Bangs gespielt: als nahbare Legende. Bangs war zwischenzeitlich Alkoholiker und probierte fast alle Arten von Drogen aus, 1982 starb er mit 33 Jahren an einer Medikamentenunverträglichkeit, weil er ein Grippemittel mit Valium kombinierte. Da hatte er sich mit seinen ausschweifenden Kolumnen und irrwitzigen Porträts bereits in den journalistischen Olymp geschrieben. „Almost Famous“ handelt von einem 15-jährigen Schüler, der sich einen Auftrag vom „Rolling Stone“ erschwindelt und eine Rockband namens Stillwater bei ihrer Tournee begleitet. Lester Bangs hat einen Rat für ihn: „Wenn du dir als Schreiberling Reputation verschaffen willst, musst du ehrlich und gnadenlos sein.“

Stillwater sind eine langhaarige, alle Posen des Gitarren-Mackertums be herrschende Rocktruppe, die an Seventies-Bands wie Grand Funk Railroad oder Lep Zeppelin erinnert. Beide hat Bangs verachtet. Grand Funk, mittlerweile fast vergessen, waren für ihn die Inkarnation supererfolgreichen Mittelmaßes, Led Zep „schwerfällige Faulpelze“, denen er vor allem vorwarf, dass sie aus den von ihm vergötterten Yardbirds hervorgegangen waren und den Heiligenschein einer „Supergroup“ vor sich hertrugen.

Die Yardbirds, konstatierte er bitter, mussten einfach „in einem eklektischen Morast konfuser Experimente und schlechter Entscheidungen“ untergehen. Irgendwann ging der Pioniergeist flöten, ähnlich verhielt es sich mit The Who. Die Krachavantgardisten erweiterten ihr Repertoire, „komponierten subtile exzentrische Lieder voll netter Philosophie“ und entfernten sich immer mehr von ihren Anfängen. Was „künstlerisch“ und „gut“ gemeint ist, markiert für Bangs die Abkehr von den Tugenden des Rock ’n’ Roll. Musik, die er mag, ist roh und radikal.

Ehrlich und gnadenlos zu sein, an dieses Credo hat sich Bangs ein ganzes Kritikerleben lang gehalten. Zu seinem 60. Geburtstag ist nun erstmals eine Auswahl seiner Texte in deutscher Sprache erschienen (Lester Bangs: Psychotische Reaktionen und heiße Luft, Ausgewählte Essays. Aus dem Englischen von Astrid Tillmann, Peer Schmitt, Teja Schwaner u. a., Edition Tiamat, Berlin, 399 S., 19,80 €). „Sehr viel erfordert es nicht, Scheiß zu spielen, aber den echten, wahren Scheiß zu spielen, erfordert eine besondere Vorstellungskraft“, schreibt er. Diesen „wahren Scheiß“ findet Bangs bei den Stooges und bei Velvet Underground, deren Musik nach „Zuckungen im Endstadium“ klingt, bei Garagenbands wie Count Five oder den Troggs, „schnieken Mutter söhnchen“. Der Bombastrock der Siebziger ist ihm dagegen „Auteur -Scheiße“, gemacht von „alten Fürzen“. Erst am Punk von 1977 hat er wieder Spaß.

Manchmal sind bei Bangs Hass und Liebe untrennbar miteinander verbunden. Lou Reed ist für ihn gleichzeitig Gott und ein „erbärmlicher Todeszwerg“. Ein nächtliches Interview gerät zur Mischung aus Abrechnung und Verbrüderung. Reeds Haut ist „teigig“, seine Augen „waren rostig wie zwei Kupfermünzen, die im Wüstensand liegen, über ihnen das Brummen der Hochspannungsleitungen“. Der Reporter will vom Sänger hören, dass er ein Junkie ist, aber der spielt ihm lieber eine belanglose Ron-Wood-Platte vor. Bangs faucht: „Du lügst!“ Reed mault: „Ich bin an einigen Sachen, die du zu sagen hast, interessiert, obwohl ich dich für einen Idioten halte.“ Ein Showdown am Rande des Slapsticks. Lester Bangs war, wie Greil Marcus im Vorwort bemerkt, einer der größten amerikanischen Schriftsteller. 

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