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Travis Tourauftakt in Köln

© dpa

Konzertkritik: Travis, die Wohlfühl-Berliner

Wie die britische Band Travis ihr Berliner Heimspiel im Neuköllner Huxley's routiniert kuschelnd hinter sich brachte - mit einem Glücksmoment zum Schluss.

Puh, sind die nett: Mit tadellosen Manieren stehen Travis vor der etwa dreitausendköpfigen Zuschauermenge im ausverkauften Huxley‘s und verrichten engagiert und handwerklich solide ihren Job. Ohne Starallüren, weitgehend ohne Eitelkeit – sieht man von ein paar pflichtschuldig geleisteten Gitarrenheldenposen Andy Dunlops ab. Sänger Fran Healy, der seit einer Weile in Berlin lebt, ist fast schon penetrant sympathisch. Ständig bedankt er sich für den warmen Applaus, bittet die Ordner um Toleranz gegenüber den zahllosen Handy-Amateurfilmern und betont, wie prima es gerade hier und jetzt für alle ist. Sein mit Hand auf dem Herz geradebrechtes „Meine Heimat: Berlin!“ hat mehr Street Credibility als das Gesamtwerk von Sido und löst ein begeistertes Aufjauchzen aus. Was würden die Leute erst machen, wenn mal ein richtiger Popstar wie Robbie Williams oder Justin Timberlake hierher ziehen würde?

Doch leider ist dies ein Rockkonzert, und alles, was man an Emotionen, möglicherweise Ekstase von einem solchen erhoffen könnte, wird im gnadenlosen Schmusesound von Travis glattgebügelt. Da reiht sich von „Writing to reach you“ über „Driftwood“ bis zu „Sing“ Kuschelhit an Kuschelhit, gehen die immer ähnlicher klingenden Melodiebögen spätestens nach einer Dreiviertelstunde zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Einmal meint Healy, dass er nicht Pete Doherty sei – er ahnt nicht, wie recht er hat: 100 Travis-Konzerte klingen vermutlich alle nahezu identisch. Von 100 Auftritten der Babyshambles sind mit Sicherheit 50 die reine Katastrophe, 30 fallen sowieso aus (wegen Doherty). Und die restlichen 20 sind der absolute Wahnsinn (auch wegen Doherty). Bei Travis dagegen ist nichts schräg, gewagt oder gar falsch. Abgesehen vom versemmelten Trommeleinsatz bei „Song to self“, der Healy dann auch gleich so peinlich ist, dass er seine Fans am liebsten „Men in Black“-mäßig blitzdingsen würde.

Die passive Wohlfühlstimmung überträgt sich auf‘s Publikum, dass nach 70 Minuten fast vergisst, eine Zugabe zu erklatschen. Travis kommen trotzdem brav zurück und retten das Konzert mit einem gelungenen Schlussspurt. „Selfish Jean“ ist wahrscheinlich das beste Stück, das sie je geschrieben haben, einfach deswegen, weil es einen der effizientesten Beats der Popgeschichte klaut: den des Motown-Klassikers „You can‘t hurry Love“, der auch von Iggy Pop für „Lust for Life“ recycelt wurde. Davon einmal aus dem Halbschlaf gerissen, lässt sich die Menge beim allergrößten und peinlichsten Ohrwurm „Why does it always rain on me?“ zu einem von Healy spitzbübisch choreografierten Kollektivhüpfen animieren. In diesem Verbrüderungsmoment entladen sich endlich alle Emotionen, die man zuvor vermisst hat. Da der letzte Eindruck der stärkste ist, geht man schließlich doch mit einem breiten Grinsen nach Hause.

Jörg W, er

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